AUFBLENDEN.
Mit neunzehn Jahren sah ich den Film "Der Affe im Menschen" von George A. Romero. Er handelt von einem querschnittgelähmten jungen Mann, der seinen elektrischen Rollstuhl nur per Mundsteuerung bewegen kann. Er legt sich ein Kapuzineräffchen zu, das ihm bei den Alltagsaufgaben helfen soll. Zuerst geht das gut, aber dann beginnt der kleine Affe ihn zu tyrannisieren. Der Mann beginnt sich zu wehren, und nimmt den Kampf gegen das Tier auf.
Die Geschichte vermittelt die beklemmende Verzweiflung, in der sich der Held befindet auf eine unaufdringliche, aber sehr intensive Art. Auch die Verwandlung von einem Opfer, einer Beute, in einen Jäger, der den Kampf gegen seinen Peiniger aufnimmt, kann ich aus heutiger Sicht sehr gut verstehen. Ich habe diese Verwandlung am eigenen Leib und an der eigenen Seele erlebt. Mein Peiniger heißt Guillain-Barré-Syndrom. Aber er liegt nicht mehr wie ein riesiger eiskalter Schatten auf mir, sondern ist inzwischen zu einem Weggefährten geworden, den ich jetzt gar nicht mehr als Feind betrachten kann. Ich sehe meine Krankheit mittlerweile als Lehrer. GBS hat mir viel beigebracht.
Die wichtigste Lektion: Fürchte dich nicht!
Ich habe lange gebraucht, um sie zu lernen. Aber inzwischen hat das Monster seinen Schrecken verloren.
Mit neunzehn konnte ich nicht beurteilen, wie plausibel die Aktivitäten in diesem Film sind, aber ich glaube, aus heutiger Sicht würde ich ihn nicht mehr für sehr glaubhaft halten. Eigentlich würde ich ihn ganz gerne wieder einmal sehen. Ich frage mich, wie er heute auf mich wirkt. Ich erhole mich zwar wieder von meiner Lähmung, und sie hatte auch andere Ursachen, aber das Gefühl kann ich nachvollziehen. Der Film ist vielleicht nur ein kleines Meisterwerk, zwar durchaus spannend, aber George A. Romero wird seine Zombies wohl nie abschütteln können.
Falls Sie sich jetzt wundern und fragen, ob Sie vielleicht auf dem falschen Blog gelandet sind, kann ich Ihnen versichern, dass Sie hier genau richtig sind. Auf meinem Blog geht es um mein Leben mit dem Guillain-Barré-Syndrom, aber auch um mein Leben davor. Und da fallen mir nach und nach immer mehr Parallelen auf.
Außerdem wollte ich schon lange einmal eine Filmkritik veröffentlichen. Jetzt sind es sogar zwei geworden. Ein Double-Feature. Haben Sie Popcorn?
Einer der Filme, die ich immer wieder sehen kann und der mich jedesmal genauso beeindruckt wie beim ersten Mal, als ich ihn mit sechzehn Jahren im Fernsehen entdeckte, ist Romeros "Night of the Living Dead" von 1968.
Die expressive Schwarzweißfotografie mit ihrer ausgefallenen Kameraführung, die verzerrten Bilder, die düstere Stimmung, die Romero immer dichter webt, die für damalige Verhältnisse sensationellen Schockszenen, aber auch die phantastischen, heute namentlich vergessenen Schauspieler, machen "Die Nacht der lebenden Toten" zu einem der Ur-Schreckensvisionen meiner Pubertätsjahre. Meinen Schulfreunden hat dieser Film damals nicht gefallen, aber das ist typisch. Meine Interessen waren schon immer irgendwie...strange.
Allein schon die Anfangsszene, in der eine junge Frau Blumen an das Grab ihres Vaters legt und im Hintergrund ein schlacksiger bleicher Mann in einem schwarzen Anzug auftaucht, langsam auf sie zuwankt und sie dann attackiert, ist unvergesslich. Die Athmosphäre einer unüberwindlichen Bedrohung, die Ausweglosigkeit und das Gefühl hilflos einer stärkeren und grausamen Macht ausgeliefert zu sein, während man zusieht, wie die vertraute, sichere Welt auseinanderbricht und in schwarzem Blut versinkt, sind mir seit mittlerweile dreißig Jahren unauslöschlich in Erinnerung geblieben. Dieser Film hat seinen wohlverdienten Platz als ständiges Ausstellungsstück im New Yorker Museum of Modern Art verdient.
Den Film durchzieht ein antirassistischer und spaßgesellschaftskritischer Unterton. Die Spaßgesellschaft gab es schon lange vor der Erfindung der Apps mit dem Klang von Furzkissen. Denken Sie nur an die Gladiatoren. Die hatten zwar keinen Spaß, aber das römische Publikum fand die grausamen Metzeleien sehr unterhaltsam. Offensichtlich hatte der Mensch seine brutalen Triebe noch nie unter Kontrolle.
Genauso wie die Bürgerwehr in Romeros Film, die auf fröhliche Zombiejagd geht. So bedrohlich das Verhalten dieser Wesen auch ist, sind es letztlich doch immer noch Menschen, auf die da gedankenlos geschossen wird. Der Film kam mitten während des Vietnamkriegs in die amerikanischen Kinos. Die Anspielungen auf die Massaker in Vietnam sind eindeutig. "Night of the Living Dead" ist ein durchaus politischer Film. Der Hauptdarsteller ist ein junger schwarzer Mann. Er ist der Held. Das hat es vor Romeros Film im US-Kino noch nicht gegeben. Nicht einmal Sidney Poitier durfte in Norman Jewisons Klassiker "In der Hitze der Nacht" von 1967 weiße Menschen beschützen oder gar retten.
Dieser afroamerikanische Beschützer und Lebensretter wird von den Männern der weißen Bürgerwehr für einen Zombie gehalten und am Ende des Films, als der Tag anbricht und die Nacht der lebenden Toten vorbei ist, erschossen. Keine Frage, es ist ein düsterer Film, nicht nur, weil der größte Teil davon im Schatten spielt.
Dies alles nur so am Rande, damit Sie mal sehen, dass ich auch etwas anderes schreiben kann als sentimentale Erinnerungsgesänge auf mein ach so schönes, behütetes, glückliches früheres Leben. Ich selbst wurde zu einem Zombie, allerdings zu einem bewegungsunfähigen. Die beklemmende Stimmung dieses Films ist mir wohlbekannt, nicht erst seit dem Ausbruch meiner Krankheit. Das Gefühl, Opfer einer unüberwindlichen Bedrohung zu sein, hielt bei mir noch eineinhalb Jahre nach dem Abklingen der totalen Lähmung an. Ich habe aber auch gelernt, mich gegen das grausame Schicksal zu wehren. Zumindest hielt ich es für grausam.
In Wirklichkeit war meine Erkrankung an GBS nur etwas, das eben geschehen ist. Einfach so. Ohne bedeutungsschwangere Gründe. Ohne Gerechtigkeit, aber auch ohne Ungerechtigkeit. Ich glaube, wir Menschen neigen dazu, in solch dramatische und traumatische Erlebnisse zu viel hineinzuinterpretieren. Wir wollen nicht wahrhaben, dass wir letztlich doch nur biologische Einheiten mit Ablaufdatum sind. Einfach nur so etwas derartig Beängstigendes erleben zu müssen, ist ein Gedanke, den wir ablehnen, weil wir uns wichtiger nehmen als wir wirklich sind. Und genausowenig, wie es eine Strafe ist, am Guillain-Barré-Syndrom zu erkranken, ist es ein Wunder, daraus wieder zu erwachen und zurück auf die Beine zu kommen.
Sie glauben mir nicht?
Wenn Sie selbst GBS haben, die Plateauphase überstanden haben und jetzt gelähmt vor sich hindämmern, versichere ich Ihnen eines, das traue ich mich jetz einfach:
Ihnen wird es genauso ergehen wie mir!
Sie werden wieder gesund!
Eigentlich wollte ich ja einen etwas ernsteren Beitrag über das Alltagsleben eines Menschen mit Guillain-Barré-Syndrom schreiben, aber meine alte Liebe für die Filmkunst war dieses Mal stärker.
Ich hoffe, Ihre Kritik fällt nicht allzu hart aus.
Es ist doch nur ein Film.
ABBLENDEN.