Samstag, 30. Mai 2015

Der Bopti

Bedingungslos optimistisch.
Diese Einstellung brauchen Sie, wenn Sie Fortschritte und Erfolge haben wollen. Das gilt natürlich nicht nur für Guillain-Barré-Syndrom-Patienten, sondern für alle Menschen in allen Lebenslagen.
Toll so ein Erfolgsrezept, nicht wahr?
Jetzt wissen wir endlich alle, was wir unser Leben lang falsch gemacht haben und kennen die Lösung für alle Probleme. Wir müssen nur immer bedingungslos optimistisch sein, und das jederzeit. Immer und überall. 
Nichts leichter als das!
Wie sollte uns Bobtis denn irgend etwas aus der Bahn werfen?
Uns was?
Bobtis.
Ein Bobti ist ein bedingungsloser Optimist. Das ist meine eigene Wortschöpfung. Ist mir jetzt gerade beim Schreiben eingefallen. Gut, oder?
Na ja, geht so...
Das denken Sie sich sicher gerade. Aber jetzt im Ernst: Wer wird den in einer Zeit der selbstfinderischen, erfolgsorientierten, konzeptuell erstellten, To-Do-Listen orientierten, sich mit überfliegend motiviertem Adlerblick durchs Leben fortschreitenden Zeit der Wikipedia-Bildung und des Positiven Denkens an sich selbst zweifeln? Mann, das war ein langer Satz.
Sie etwa? Zweifeln Sie? An sich selbst? An Ihrer Zukunft?
Zweifeln Sie gar daran, wieder gesund zu werden?
Oder verzweifeln Sie manchmal sogar?
Ich habe eine gute Nachricht für Sie: Das dürfen Sie nicht! Schließlich gibt es keine Probleme, sondern nur Lösungen, und das Glas ist immer halb voll. Und alle Wege führen nach Rom, das nicht an einem Tag erbaut wurde. Selbst die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Das ist das schöne am Leben: es ist ein Tageskalender mit Sprüchen zum Abreissen.
Für alle, die es nicht wissen sollten: für einen Menschen mit dem Guillain-Barré-Syndrom ist das Glas weder halb voll, noch halb leer.
Für uns ist das verdammte Glas zu schwer, um es auch nur einen Millimeter anheben zu können. Von der eigenen Stimmung und der Lebensfreude ganz zu schweigen. Am ersten Tag meiner Reha sagte ein Arzt zu mir: "Aber Ihre Lebensfreude ist noch da." Es war keine Frage. Es war eine Feststellung. Eine Art Diagnose. Dummerweise war sein Befund mit der Realität kontraindiziert. Was ich ihm erwidern wollte, waren die Worte des Dr. Faust von Goethe: "Und so ist mir das Dasein eine Last. Der Tod ist mir erwünscht, das Leben mir verhasst." Ich hoffe, dass es Ihnen nicht auch so geht. 
Wie oft habe ich mir vor dem Einschlafen gewünscht, am nächsten Tag nicht mehr aufzuwachen?
Zu oft. Viel zu oft.
Und wie oft bin ich wieder aufgewacht?
Jeden Tag.
Heute bin ich froh darüber. Aber heute bin ich auch wieder richtig wach. Noch vor einem Jahr und in dem Jahr davor war ich in einem ständigen Dämmerschlaf aus Angst und Verzweiflung. Orientierungslos. Zukunftslos. Hoffnungslos. Das lag aber nicht an meiner Krankheit, den Medikamenten oder den medizinischen Prognosen. Die Prognosen waren von Anfang an sehr gut. Nur einmal hat mir ein junger Assistenzarzt mit Tränen in den Augen gesagt, dass es sein könnte, dass ich mein ganzes Leben lang total gelähmt bleiben werde. Damals machte mir das noch mehr Angst als ich ohnehin schon hatte, aber ich war ihm gleichzeitig dankbar dafür. Er war der Einzige, der nicht diese grauenhafte "Wird-schon-wieder"-Mentalität verströmte. Alle anderen Ärzte haben mir auch die Wahrheit gesagt und mich auch hervorragend behandelt, ab er servierte mir seine Prognose auf einem goldenen Tablett mit scharfen Rändern.
Er und die Putzfrau waren meine wichtigsten Propheten. Sie erinnern sich an die Putzfrau? Sedita, oder so ähnlich, die zu mir sagte: "Mit ein bisschen Wünsch geht alles."
Und damit, mein lieber Bopti, wären wir wieder beim Thema dieses Blogposts. Bis hierhin habe ich meine Sätze mit ein bisschen Zynismus gewürzt. Aber Zynismus ist besser als Zyankali. Ich wollte immer leben. Zuerst nur überleben, dann weiterleben und jetzt wieder richtig leben. Ein neues Leben.
Vita nuova, wie Dange es nannte.
Das neue Leben.
Aber ist das ganze Leben letztlich nicht eine Göttliche Komödie? Ich zumindest kann den Witz im Wahnwitz erkennen. Wenn es mir gut geht. Den Sinn im Irrsinn. Wenn auch Sie GBS haben und dies hier lesen, haben wir beide die Hölle des Guillain-Barré-Syndroms bereits hinter uns. Andere sind nicht so glücklich wie wir. Mein Physiotherapeut hat mir gesagt, dass es hier im Behindertendorf Assista Altenhof noch einen zweiten Bewohner mit GBS gibt. Er will aber niemanden sehen und kann nur mit seinen Augen kommunizieren. Mehr darf er mir nicht sagen, wegen der Schweigepflicht. Sicher ist dieser Patient in einem ähnlichen Zustand wie ich es war. Da war ich allerdings noch auf der Intensivstation, konnte meinen Kopf bewegen und sprechen. Dieser Mann scheint sich noch im Zustand der Tetraparese zu befinden, also der vollständigen Lähmung aller vier Gliedmaßen, aber das ist nur meine Vermutung.
Ich würde ihn gerne kennenlernen. Um ihm Mut zu machen. Und um ihm zu zeigen, in welchem gesundheitlichen Zustand man mit dem Guillain-Barré-Syndrom nach zwei Jahren sein kann. Bisher war ich nicht so der Samariter- und Missionarstyp, aber das würde ich wirklich gerne tun. Vielleicht ergibt es sich ja irgendwann.
Oder vielleicht ist er gar nicht so verzweifelt wie ich es war. Ich kann mir das zwar nicht vorstellen, aber es gibt solche Menschen. So oder so, auf jeden Fall wird mein GBS-Kollege dasselbe brauchen wie wir alle. Und damit meine ich uns wirklich alle, nicht nur die GBSler.
Wir brauchen bedingungslosen Optimismus.
Aber wo kriegen wir den her?
Wenn nichts so läuft wie es soll, wenn der Weg immer länger und steiniger wird, wenn andere schon längst aufgegeben haben und sich damit zufrieden geben, lediglich zu überleben, anstatt richtig zu leben.
Freudvoll und erfüllt zu leben.
Die Antwort ist einfach, und mehr als das habe ich leider nicht anzubieten.
Wir geben nicht auf und erinnern uns immer daran, dass der Weg da ist. Auch, wenn er uns unbegehbar erscheint und wir unseren Durst nach dem Leben nicht stillen können, weil auf der Strecke nur halbleere Gläser stehen, die wir nicht aufheben können.
Der Weg ist da. Für mich, für Sie, für Dich, für uns alle.
Wenn Ihnen das reicht, um den bedingungslosen Optimismus aufzubringen, der den Weg letztlich doch noch begehbar macht, gehören Sie zu den Glücklichen und Gesegneten. Ich weiß noch immer nicht genau, ob ich selbst dazugehöre, weil das Gehen fällt mir immer noch sehr schwer, und ich muss mich dabei an einem Barren festhalten. Außerdem kann ich die Fußrücken nicht anhebn.
Früher habe ich gesagt, nicht mehr. Ich kann die Fußrücken nicht mehr anheben. Aber heute sage ich: noch nicht. Ich kann die Fußrücken nach zwei Jahren zwar noch immer nicht anheben, aber ich kann gehen. Das trägt zu meinem Optimismus bei, obwohl ich gestehen muss, dass er nicht ganz bedingungslos ist.
Noch nicht.
Wenn im Leben alles gut läuft, kann jeder ein Bopti sein. Das ist kein Problem. Ich selbst bin einer, der seine eigenen Ängste und Zweifel nicht mehr verstehen kann, wenn sie erstmal vorbei sind. Bis dahin leide ich seelisch wie ein Höllenhund, und jede kleine Unpässlichkeit wird bei mir zum Weltuntergang. Ich glaube dann, jetzt erfüllt sich mein Schicksal, und es war alles umsonst. All die Mühe, die ich mir gegeben habe, um wieder auf die Beine zu kommen, der Glaube an eine schöne Zukunft und die viele Hilfe, die mir in den letzten Jahren zuteil wurde.
Aber wenn Trudi (Sie erinnern sich...) dann nicht mehr zwickt, könnte ich schon wieder Bäume ausreissen. Dann ist die Zuversicht wieder da, die großen Erwartungen, teuren Pläne, und Bobti sieht, wie der Mann in Platos Höhlengleichnis, dass die Welt nicht nur aus Schatten an der Wand besteht, wenn man aus seiner Höhle erst einmal herausgekrochen ist.
Aber wie soll man in Momenten der Angst, der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit noch optimistisch sein? Diese schreckliche Zeit ist für mich inzwischen zwar vorbei, aber ganz aus der Höhlenhölle namens Guillain-Barré-Syndrom bin ich noch nicht draußen, doch ich kann das Sonnenlicht, die Zypressen und das Meer schon sehen.
Also wie?
Die Antwort, die ich für mich gefunden habe, lautet: Einfach weitermachen. Einfach ist es zwar nicht, aber, wenn man aufgibt, schließt sich die Höhle für immer. Uns sie ist kein schöner Ort, glauben Sie mir. Ich war lange genug dort. Aber als Mensch mit GBS wissen Sie ja, wie das ist. Wenn man sich in derselben Situation befindet wie der bedauernswerte Bursche bei Plato.
Angeschnallt. Gefesselt. Bewegungslos.
Gefangen in einem Kopfleben.
Den Weg nach draußen findet man nur durch Willensstärke. Auch wenn man, glaubt, dass sie gestorben ist, ist Sie letztlich doch noch da. Zwar nicht gerade alive and kicking, aber zumindest als leise Stimme, die beharrlich flüster:
Weitermachen.
Just do it.
Tu' s trotzdem!
Das ist einer der Motivationssätze, die mir viel geholfen haben. Ich halte mich zwar nicht immer daran, gebe aber trotzdem nicht auf. Sie bitte auch nicht. Fallen Sie nicht in das Loch der Lethargie. Sonst passiert es Ihnen, dass Sie sich mit Ihrem Schicksal abfinden. Dann verlieren Sie zwar nicht Ihr Leben, aber etwas, ohne das ein richtiges Leben nicht möglich ist:
Sie verlieren sich selbst!
Wie Sie vielleicht aus einem meiner anderen Blogartikel wissen, bin ich davonn überzeugt, dass Zufriedenheit tötet! Nicht den Körper, aber die Seele.
Also, wenn Ihr GBS-Leben auch aus einem reinen Kopfleben besteht, verlieren Sie den Kopf deswegen trotzdem nicht!
Sie werden wieder gesund!
Sie werden nicht vielleicht wieder gesund, oder die Prognosen sind gut, oder Sie könnten sich wieder erholen, nein, sagen Sie sich immer wieder,  auch wenn die körperlichen und seelischen Schmerzen stark sind, und der Weg immer länger und steiniger zu werden scheint:
Ich werde gesund!
Ich!
Tu' s!
Trotzdem!


Zufriedenheit tötet!

Samstag, 23. Mai 2015

Sei kreativ! Flieg!

Wenn Sie ein Mensch sind, der unter dem Guillain-Barré-Syndrom leidet, habe ich einen Tipp für Sie, der mir auf dem langen Weg voran ins Leben sehr geholfen hat. Vielleicht sind Sie noch in einem Stadium der Krankheit, in der Sie Ihren Kopf voll Sorgen, Ängsten und Albträumen haben. Aber Ihr Kopf ist in dieser Phase des Guillain-Barré-Syndroms das einzige Organ, dass noch richtig funktioniert.
Und lebt.
Sollten Sie nicht der Typ Mensch sein, der sein Leben durch Selbstreflexion und Kunst zu verstehen versucht, folgen Sie meinem Rat trotzdem. Sie werden sehen, dass es sich lohnt. Wenn Sie und ich allerdings Seelenverwandte sind, werden Sie sich in den folgenden Zeilen sicher wiedererkennen und schon einiges von dem, was ich jetzt empfehlen werde, praktiziert haben. Vielleicht sogar schon Ihr ganzes Leben lang?
Egal, zu welchem Menschentypus Sie gehören und unabhängig davon, in welchem Stadium der Erkrankung Sie sind, empfehle ich Ihnen:
Sein Sie kreativ!
So gut Sie können. In der Plateau-Phase der Erkrankung, werden Sie nur eine Form der Kreativität nutzen können: Ihre Gedanken. Wenn Sie oft meditieren, können Sie sich in seelischen Krisenmomenten soweit beruhigen, dass Sie Ihre Gedanken dann vielleicht abschweifen lassen können.
Wollten Sie schon immer mal einen Roman schreiben? Glauben Sie mir, als Patient mit Guillain-Barré-Syndrom haben Sie jede Menge Zeit, Romane, Geschichten, Filmideen, Gedichte oder sogar Bilder in ihrem Kopf zu erstellen. Denn am Anfang werden auch Sie nicht in der Lage sein, etwas anderes zu haben als ein Kopfleben.
Wenn Sie keine kreative Ader haben, entwickeln Sie vielleicht eine. Sie können Verwandte und Freunde bitten, Ihre Ideen zu notieren oder sie selbst auf ein Diktiergerät sprechen. Ich rate Ihnen auf jeden Fall, alle Ihre Ideen, Gedanken und Erlebnisse auf irgendeine Art zu bewahren. Und wenn Sie sie aus Ihrem Kopf nicht rausbekommen, archivieren Sie sie dort. Die besten bleiben Ihnen bestimmt in Erinnerung.
Halten Sie mich bitte nicht für zynisch, wenn ich vom Romaneschreiben und Dokumentieren der Erlebnisse rede, während Sie vielleicht gerade künstlich beatmet werden, überall Schläuche in Ihrem gelähmten Körper stecken haben und total verzweifelt sind. Ich meine all das, was ich hier schreibe, ernst. Ich kann darüber schreiben, denn ich habe es selbst erlebt. Meine größte Sorge war seit Anbeginn die Frage "Werde ich wieder zeichnen und schreiben können?" Die Befürchtung, dass es vielleicht unmöglich sein könnte, hätte mich fast um den Verstand gebracht.
Die Plateauphase von GBS geht vorbei, und Ihre Motorik kehrt zurück. Dann haben Sie wieder die Möglichkeit, selbst zu schreiben, auch wenn es nur mit einem Finger auf einer Tastatur oder einem Display ist.
Aber was erzähle ich Ihnen? Wenn Sie sowieso eine kreative Ader haben, werden Sie früher oder später wieder damit beginnen, Ideen auszuarbeiten. Und das ist eine Form der Lebensplanung.
Kreativität ist heilsam!
Die folgenden Tipps sind nicht für alle GBS-Patienten in den frühen Stadien der Krankheit gedacht. Wenn Sie die geistige Stärke haben, bereits zu planen, was Sie alles tun werden, wenn Sie Ihre Arme und Hände wieder einigermassen bewegen können, dann sind hier aber sicher einige Denkanstöße dabei.
Es gibt zwei Arten von Menschen: Die einen sind kreativ veranlagt, talentiert und aktiv und die anderen nicht. Wenn Sie zu den nicht Kreativen gehören, lesen Sie bitte trotzdem weiter. Ich bin überzeugt davon, dass in jedem Menschen ein Künstler schlummert und wenn kein Künstler, dann zumindest ein Dokumentarist. Ich kann Ihnen nur empfehlen, so bald wie möglich Ihre Erlebnisse mit dem Guillain-Barré-Syndrom festzuhalten. Wahrscheinlich wird es Ihnen am Anfang so gehen wie mir. Ich konnte nicht schreiben oder zeichnen. Das hat die Tetraparese verhindert. Das ist die Lähmung aller Gliedmaßen. Aber als GBSler wissen Sie das sicher.
Dieser Zustand hielt bei mir fünf Monate an. Das einzige Instrument, das ich hatte, um mein Leben kreativ zu verarbeiten und zu dokumentieren, war mein Hirn. Es war ein reines Kopfleben. Um dem oft äußerst beängstigenden Alltag zu entfliehen, habe ich mir in meiner Phantasie ein Haus erschaffen, in dem ich nach der Heilung lebte. Mit einer Frau und als erfolgreicher Schriftsteller. Wann immer ich konnte, ging ich in dieses Haus, schrieb Bücher, kochte, veranstaltete Partys, schlief mit Frauen, war dabei aber natürlich immer treu. Eine Frau pro Phantasie. Krankenschwestern kenne ich ja genug.
Ich habe mich wohlgefühlt in diesem Haus. Es hatte ein Stockwerk mit Bad und Schlafzimmer und ein Wohnzimmer mit gemütlicher Sitzlandschaft nebst Küche. Draußen war ein Garten, nicht zu groß, aber wildromantisch mit einem traumhaft schönen und tröstlichen Blick auf den Attersee. Oft fiel es mir schwer, in die Realität zurückzukehren. In meinem Haus fühlte ich mich sicher und geborgen.
Wie gesagt, dieses Haus und diese Frauen existierten nur in meiner Phantasie. Ich bin froh darüber, eine so ausgeprägte Phantasie zu haben. Manchmal. Aber es gibt auch die Momente, in denen ein tatsächlich existierender Harnwegsinfekt in meinen Gedanken zu einer Nierenbeckenentzündung wird, und ich erlebe dann oft richtige eiskalte Todesangst. Trotzdem würde ich meine Phantasie niemals opfern, um dafür angstfrei zu sein.
Wenn auch Sie über eine derartige Vorstellungskraft verfügen und ebenfalls vom Hals abwärts bis in die Zehenspitzen total gelähmt sind, erschaffen Sie sich doch auch eine Parallelwelt. Wenn Sie glauben, das nicht zu können, tun Sie' s trotzdem. Ich glaube, ich wäre verrückt oder total schwermütig geworden, wenn ich mein Haus nicht gehabt hätte. Nutzen Sie die Fähigkeiten Ihres Verstandes, sich eigene Welten zu erschaffen und dorthin zu entfliehen, damit Ihr Leben nicht nur aus Lähmung, Schmerzen, Spritzen, Infusionen und Angst besteht. Wie Sie das genau machen sollen, kann ich Ihnen nicht sagen. Es ist ja Ihre Phantasie.
Neben dem Tagebuchschreiben gibt es noch viele andere kreative Techniken. Wenn Sie jemanden haben, der Ihnen technisch behilflich ist, können sie ein Videotagebuch führen oder Tonaufnahmen machen. Oder beides. Auf jedem Smartphone ist das heutzutage eine Leichtigkeit. Irgendwann werden Sie diese Geräte auch selbst bedienen können.
Schreiben, zeichnen, malen, Video- und Audioaufnahmen machen. Es gibt viele Möglichkeiten, kreativ zu sein. Sie können Ihre Gedanken auch jemandem diktieren, der sie niederschreibt oder aufzeichnet. All das ist auch mit extrem eingeschränkter Bewegungsfreiheit möglich.
Und solange Sie noch vollständig gelähmt sind, haben Sie Ihren Kopf und können sich dorthin zurückziehen. In Ihr eigenes Kopfleben.
Sobald ich den linken Arm heben und den Zeigefinger ausstrecken konnte, habe ich damit begonnen, Tagebuch zu schreiben. Das war fünf Monate nach dem Ausbruch meiner Krankheit. Es war unglaublich anstrengend, und ich habe nur drei Sätze geschafft.
Aber diese drei Sätze waren für mich der erste Schritt voran in mein neues Leben. Nachdem ich sie geschrieben hatte, wusste ich: Ich bin wieder da. Noch nicht so wie früher, aber ich bin wieder da.
Am 4. November 2013, um 11:40 schrieb ich:
"Sitze gerade im Bett im LKH Vöcklabruck. Hatte vorhin Physiotherapie. (Querbett sitzen)"
Diese kurze Notiz war für mich als Patient mit dem Guillain-Barré-Syndrom so anstrengend wie für einen gesunden Menschen ein Marathonlauf.
Mit meiner Ergotherapeutin Julia habe ich begonnen, Tippübungen auf einer externen Tastatur für mein iPad zu machen. Für meine eigenen Schreibarbeiten habe ich dann aber die Bildschirmtastatur verwendet. Das mache ich bis heute so, mittlerweile aber schon mit zwei Zeigefingern. Zwei Jahre nach dem Ausbruch des Guillain-Barré-Syndroms.
Es wird ein langer und mühseliger Weg für Sie werden, glauben Sie mir. Aber, wie ich schon in einem früheren Blogartikel geschrieben habe: Es gibt ihn.
Der Weg ist da.
Sie sind nicht auswegslos verloren, und erführt auch nicht in eine Sackgasse, sondern zurück ins Leben. Genaugenommen muss ich sagen: voran, in ein neues Leben. Darin liegt doch ein unendlicher Trost, finden Sie nicht? Immer, wenn ich wieder dabei bin zu verzweifeln, denke ich daran.
Der Weg ist weit, hart, steinig, kurvig, schlammig und führt durch einen Irrgarten einen unermesslich hohen Berg empor. Die Luft wird dünn, und der Weg wird scheinbar immer weiter, der Berg immer höher, je näher ich dem Gipfel komme.
Aber er ist da.
Der Weg ist da.
Vergessen Sie das niemals.
Wenn Sie beginnen, Ihr Leben kreativ zu verarbeiten oder Ihre Ideen in Kunst zu verwandeln, werden Sie schon bald ein sogenanntes Flow-Erlebnis haben.  Man nennt es in der Psychologie auch die "Zone". Sicher kennen Sie das Phänomen, dass die Zeit wie im Flug vergeht, wenn man sie mit Freunden, seinen Eltern, Geschwistern oder anderen Verwandten verbringt. Wenn man ein Buch liest, das einen in eine andere Welt entführt,  wenn man einen außergewöhnlichen Film sieht, wenn man eininteressanten Spiel spielt oderGespräch führt. Oder wenn manSport betreibt. Egal, womit, hauptsache, es bereitet Ihnen Freude.
Nicht nur Masse krümmt die Raumzeit, wie Einstein nachgewiesen hat. Auch die Freude und die Kreativität beeinlussen die Zeit, verändern sie, und Sie, als kreativer Mensch, gelangen an einen Ort, den ich gerne das "Innere Sanctum" nenne. Im Buddhismus ist es auch als Achtsamkeit bekannt. Der englische Ausdruck dafür ist Mindfullness. Man erreicht diesen Zustand durch Meditation, Freude, Gebet und Kreativität. Marathonläufer kennen diesen Zustand der heiteren Glückseligkeit ebenfalls.
Genau das ist ein Flow-Erlebnis, mein inneres Heiligtum, mein Kraftort.
Es ist ein Zustand außerhalb von Materie, Energie, Raum und Zeit.
Das klingt vielleicht etwas theatralisch, ist aber ein Beweis dafür, dass man die Kreativität nicht definieren kann. Man kann sie auch nicht festhalten, denn sie ist ein ewiges Statik.
Die Kreativität ist immer da. Und zugleich ist sie nirgendwo.
So. Genug für heute. Probieren Sie es aus. Begeben Sie sich an diesen geheimnisvollen Ort.
Sein Sie kreativ!
Wenn Deine Flügel gebrochen sind, flieg!

Samstag, 16. Mai 2015

Wissen ist heilsam!

In meinem heutigen Artikel schreibe ich ausnahmsweise nicht über meine persönlichen Erlebnisse mit dem Guillain-Barré-Syndrom. Ich gebe auch keine schlauen Tipps zu Selbstfindung und Ewigkeit, obwohl ich solche Texte sehr gerne schreibe und in letzter Zeit viele positive Rückmeldungen von den Menschen in meinem Leben erhalten habe. Ich rede nie so gerne über die Dinge, die ich schreibe, aber auf diesem Weg sage ich ein herzliches "Danke!" an alle, die meinen Blog gelesen haben und ihn mögen.
Aber heute gibt es etwas für diejenigen, die nicht nur krank, gelähmt, depressiv und unmotiviert sein wollen, sondern Genaues über diese rätselhafte und in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannte Krankheit Guillain-Barré-Syndrom erfahren möchten. Es ist eine Sammlung von Links zu Suchbegriffen, Webseiten, Blogs. Ein paar E-Book-Tipps sind auch dabei.
Besonders empfehlen möchte ich das E-Book "Don’t Settle for Surviving - You can Overcome CIDP and GBS too!" von David Dakroub. Der Autor ist selbst GBS-Patient und schreibt, dass man sich nicht mit dem reinen Überleben dieser Krankheit zufrieden geben soll. Viele GBS-Patienten stagnieren in ihren Fortschritten, weil der Genesungsweg so lange dauert und sie die Hoffnung verlieren. Was Dakroub schreibt, kann ich bestätigen. Ich kenne das Gefühl, irgendwann mit dem Gedanken zu spielen, sich mit dem Leben im Rollstuhl zufrieden zu geben. Diese Phase habe ich aber hinter mir. Näheres zu diesem Phänomen finden Sie in meinem Blog-Artikel "Zufriedenheit tötet!".
Sind Sie auch ein GBS-Kollege, der das Ende des langen steinigen Weges nicht sieht? Vielleicht kann ich Ihnen mit diesem Beitrag helfen, den Tränenschleier aus Ihren Augen zu wischen, und genau zu verstehen, woran Sie wirklich erkrankt sind und wie Sie am Besten damit umgehen. Mein Blog ist nicht nur ein Ego-Trip, sondern ich möchte Betroffenen des Guillain-Barré-Syndroms, seien es Patienten oder ihr Umkeis, Informationen, Rat und Hoffnung geben.
Wie Sie wissen, ist der Weg da. Ich kann es gar nicht oft genug wiederholen:
Der Weg ist da!
Es ist nur sehr schwer, ihn zu sehen, die Richtung nicht zu verlieren und mutig einen Blick in die Augen des Großen Tieres zu werfen: dem Guillain-Barré-Syndrom. 
Wenn Sie schon in der Lage sind, eigene Nachforschungen zum Thema Guillain-Barré-Syndrom anzustellen, empfehle ich Ihnen - neben dem Befragen von Ärzten, Therapeuten und Pflegekräften - natürlich das Internet. Ich werde am Ende dieses Blogartikels einige Links und Tipps auflisten, die Ihnen hoffentlich weiterhelfen können. Falls Sie sich noch nie im Leben für Medizin interessiert haben, schrecken Sie trotzdem nicht davor zurück, die entsprechenden Quellen zu nutzen. Einige davon sind kostenlos, andere nicht. Die teuersten sind E-Books, aber auch da bewegt sich der Preisrahhmen meistens bei maximal 10 Euro.
Leider sind die interssantesten Informationen größtenteils nur auf Englisch geschrieben und veröffentlicht worden, aber selbst mit geringen Englischkenntnissen müssten die Texte verständlich sein. Es gibt aber sowohl E-Books als auch Internetseiten, Blogs und YouTube-Videos in deutscher Sprache.
Lassen Sie sich aber von den Informationen, die Sie in den genannten Quellen finden aber nicht abschrecken. Vieles klingt schlimmer, als es in Ihrem speziellen Fall sein muss. Wenn Sie dazu neigen, schnell mutlos oder ängstlich zu werden oder die medizinischen Fachbegriffe nicht verstehen, lassen Sie es lieber bleiben und vertrauen Sie den Ärzten und allen anderen Menschen, die für Ihre Therapie und Pflege da sind.
Ich nehme an, dass Sie nach dem Ausbruch Ihrer Krankheit das Wort "Myelinschicht" auch zum ersten Mal gehört haben. Klingt wie die Zuckerglasur eines matschigen Kuchens. Und "Tetraparese" hört sich an wie eine italienische Pizzasorte. "Einmal Tetra Parese mit extra viel Käse!"
Aber wenn für Sie, genau wie für mich, die Devise gilt "Zwar weiß ich viel, doch möcht' ich alles wissen", rate ich Ihnen ausdrücklich, das Thema GBS und Neurologie näher zu recherchieren.
Wissen nimmt der Krankheit ihren Schrecken.
Zumindest einen großen Teil davon. Je mehr Information Sie haben, desto zuversichtlicher werden Sie sein. Außerdem ist das Guillain-Barré-Syndrom eine so seltene Erkrankung, dass Sie nicht befürchten müssen, bei den Autoren zu diesem Thema auf unseriöse Geschäftemacher hereinzufallen.
Mein Tipp:
• Weiterbilden! 
Informieren. Internet. Google. Wikipedia. E-Books. Blogs. Facebook. Twitter. YouTube. Aber Ärzten und Therapeuten nicht dreinreden. Trotzdem Fragen stellen. Nach Befunden fragen und sie lesen. Erklären lassen. Wenn Ärzte keine Zeit haben, von Krankenschwestern, Pflegern oder Therapeuten.

Und hier sind einige der Quellen, die ich selbst genau durchstudiert habe:

1.) Wikipedia:
Suchbegriff: Guillain-Barré-Syndrom
Wikipedia-Link: http://de.m.wikipedia.org/wiki/Guillain-Barré-Syndrom

2.) Google:
• Suchbegriff: Guillain-Barré-Syndrom
• Google-Suchergebnis: https://www.google.at/?gws_rd=ssl#q=guillain-barré-syndrom

• Suchbegriff: Guillain-Barré-Syndrome
• Google-Suchergebnis: https://www.google.at/?gws_rd=ssl#q=Guillain-Barré-Syndrome

• Suchbegriff: guillain barre syndrom blogs
• Google-Suchergebnis: https://www.google.at/?gws_rd=ssl#q=guillain+barre+syndrom+blogs

• Suchbegriff: guillain barre syndrom erfahrungsberichte
• Google-Suchergebnis: https://www.google.at/?gws_rd=ssl#q=guillain+barre+syndrom+erfahrungsberichte&revid=230002971

• Suchbegriff: gbs syndrom erfahrungen
• Google-Suchergebnis: https://www.google.at/?gws_rd=ssl#q=gbs+syndrom+erfahrungen&revid=931727580

• Suchbegriff: guillain barre syndrom verlauf
• Google-Suchergebnis: https://www.google.at/?gws_rd=ssl#q=guillain+barre+syndrom+verlauf&revid=1848538127

• Suchbegriff: guillain barre syndrom forum
• Google-Suchergebnis: https://www.google.at/?gws_rd=ssl#q=guillain+barre+syndrom+forum&revid=1515046234

• Suchbegriff: guillain barre syndrom therapie
• Google-Suchergebnis: https://www.google.at/?gws_rd=ssl#q=guillain+barre+syndrom+therapie&revid=1058113802

3.) Webseiten:
• http://www.guillainbarre-syndrom.de
• http://www.guillainbarre-syndrom.de/rehabilitation/
• http://flexikon.doccheck.com/de/Guillain-Barré-Syndrom
• http://flexikon.doccheck.com/de/Guillain-Barré-Syndrom#Prognose
• http://www.netdoktor.de/krankheiten/guillain-barre-syndrom/
• http://www.netdoktor.de/krankheiten/guillain-barre-syndrom/#TOC6
• http://www.selbsthilfe.at/selbsthilfe-organisationen/74001
• http://www.dr-gumpert.de/html/guillain-barre-syndrom.html
• http://www.aboutgbs.com
• http://www.gbs-cidp.org
• http://www.reha-klinik.de/informationsforum/guillain-barre-syndrom.html?gclid=CIXBorrw-bwCFWjmwgodTWkARA

4.) Blogs:
• http://www.gbs-selbsthilfe.de/index.php?id=5
• https://designsbysachs.wordpress.com/guillain-barre-and-me/
• http://joebeernink.com/tag/guillain-barre-syndrome/
• https://gbsyndrome.wordpress.com
• http://www.experienceproject.com/groups/Am-A-Guillain-Barre-Syndrome-Survivor/80194
• http://www.dailystrength.org/c/Guillain-Barre-Syndrome-GBS/forum
• http://healthimpactnews.com/2013/flu-shot-causes-polio-like-guillain-barre-syndrome-are-rates-higher-than-the-government-admits/
• http://www.ltcollector.com/project/how-the-diagnosis-of-guillain-barre-made-me-dream-even-bigger-emily-greece/#.VId_IfSw1Cs.twitter
• http://inge09.blog.de/2010/06/19/faelle-sogenannten-guillain-barre-syndroms-8831881/

Mein Blog:
• www.gbsblog.at

5.) E-Books:
• My GBS Journey: A Life Changed (Cindy Herron)
• No Warning -  Getting My Life Back (Brian Jones)
• A Simple Guide to Guillain Barre Syndrome And Related Diseases (Dr Kenneth Kee)
• A First Step - Understanding Guillain-Barré-Syndrom (Brian S. Langton)
• Don’t Settle for Surviving - You can Overcome CIDP and GBS too! (David Dakroub)
• The Wave of Guillain-Barrè Syndrome (Scott Earle)
• What the..? What Guillain- Barré Syndrome Did To Me (Simon N. Smith) E-Book
• Happily Ever After My Journey with Guillain-Barré Syndrome (Holly Gerlach)
• Up from the Abyss  - A journey of personal redemption from the ravages of Guillain-Barre syndrome (Italo Giovanni Savella)
• Going Full Circle - My Fight Against Guillain Barre Syndrome (Phillip Taylor)

Das ist natürlich längst nicht alles, was es im Internet zum Thema Guillain-Barré-Syndrom zu finden gibt, aber es ist zumindest ein guter Einstieg in die Thematik. Als Autor dieses Blogartikels sowie meiner anderen Blogartikel distanziere ich mich aus rechtlichen Gründen von den auf meinem Blog www.gbsblog.at genannten Links und deren Inhalten.
Wenn Sie Anregungen haben, vielleicht weiterführende Links oder Tipps, sowie eigene Erfahrungsberichte, kontaktieren Sie mich einfach über meinen Blog oder über meine E-Mail-Adresse markus.paerm@gmail.com. Außerdem finden Sie mich bei Facebook, Google+ und Twitter.
Nun denn, treten Sie ein in die wunderbare Welt der Myelié, wie ich das GBS auch nenne. Erfahren Sie so viel Sie nur können über Ihr derzeit wahrscheinlich größtes Hobby: der chronisch inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie. Glauben Sie mir, wenn Sie erst einmal dieses Monstrum von einem Namen gelesen haben, schaffen Sie auch den Rest.
Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Pizzabäcker.

Samstag, 9. Mai 2015

Die Angstwolke

Leiden Sie auch unter einer Angst, die Sie nicht in Worte fassen können?
Bei mir war es so. Inzwischen hat sich mein seelisches Befinden wesentlich gebessert, aber die Momente, in denen die Angst in mir aufsteigt und innerlich überschwemmt wie ein Tsunami aus Eis gibt es immer noch. Zwar sind diese Erlebnisse nicht mehr so intensiv und beklemmend wie noch vor einem halben Jahr, aber ganz verschwinden wollen sie auch nicht.
Lange Zeit, nachdem meine Krankheit Guillain-Barré-Syndrom ausgebrochen war, hatte ich das ständige Gefühl, in einer Art Angstwolke festzusitzen. Sie war eine Mischung aus Befürchtungen, Sorgen, konkreten Ängsten um meine Gesundheit und, mehr als nur einmal, Todesangst. Diese Wolke war immer um mich herum, kalt und schwarz, von Juni 2013 bis etwa April 2015. Inzwischen ist die Angstwolke grau geworden und auch die Temperatur meiner Angst ist jetzt nicht mehr so eisig.
Ich war noch nie ein besonders mutiger Mensch, aber so intensive Gefühle aus genereller Angst und unmittelbarer Furcht habe ich noch nie erlebt. Jetzt kann ich sagen, dass es eine interessante Erfahrung war. Und noch immer ist. Noch bin ich nicht gesund. Zugegeben, es war und ist für mich faszinierend, diese nackte und hilflose Seele - mich selbst - kennenzulernen. Trotzdem wollte ich immer nur, dass die Ängste verschwinden. Meine Gesprächstherapeutin hat mir gesagt, dass das nicht so wichtig sei. Viel wichtiger sei es, die Angst zu verstehen. Nur so kann man sie schließlich bewältigen. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg in diese Richtung.
Wie kriegt man die Angst in den Griff?
Zuerst muss man sie identifizieren, und um das zu können, muss man sich ihr stellen und ihr ins Auge blicken. Oft wurde ich gefragt, wovor ich eigentlich Angst hätte. Ich konnte diese Frage lange Zeit nicht beantworten. Die Wolke hat meine Sicht getrübt. Als ich dann anfing, intensiv darüber nachzudenken, habe ich festgestellt, dass ich im wesentlichen unter drei Ängsten litt und auch heute noch leide:

1. Die Angst, nie wieder gesund zu werden.
2. Die Angst, gesund zu werden.
3. Die Angst vor einer ungewissen Zukunft.

Sie haben richtig gelesen! Ich hatte Angst davor, nie wieder gesund zu werden, aber gleichzeitig fürchtete ich mich vor der Genesung. Die erste Angst ist leicht erklärbar: Es ist kein schönes Dasein, am ganzen Körper gelähmt zu sein, fast ein halbes Jahr lang, es ist auch nicht schön, in einem Rollstuhl zu sitzen und den ganzen Tag einen Druck auf der Blase zu spüren, weil man einen Katheter tragen muss. Es ist ein grauenhaftes Erlebnis, eine Tiefenvenenthrombose mit der Gefahr einer tödlichen Lungenembolie zu haben. Da habe ich nicht nur der Angst in die Augen geblickt, sondern dem Tod. Und glauben Sie mir, er ist ein wirklich hässlicher Bursche.
Was also  tun gegen die Angst?
Eigentlich ist es ganz einfach. Theoretisch. Hier ist mein 3-Punkte-Plan zur Angstbewältigung:

1. Konfrontieren
2. Akzeptieren
3. Loslassen

Klingt ganz leicht, nicht wahr?
Ist aber ganz schwer.
Zugegeben, den 3-Punkte-Plan kann man nicht alleine umsetzen. Bereits für Punkt 1, konfrontieren, braucht man Hilfe. Am besten ist ein Gesprächspartner. Eine Vertrauensperson, mit der man offen und frei von Bedenken alles besprechen kann. Ich glaube, aus dieser Beschreibung kann man schon herauslesen, dass Lebenspartner, Angehörige und Freunde dafür nicht unbedingt geeignet sind. Was ich brauchte, war jemande, der mir gegenüber eine verständnisvolle, aber neutrale Einstellung hat.
Wenn Sie es nicht gewöhnt sind, mit Personen, die Ihnen sehr nahe stehen, frei über wirklich alles zu reden, suchen Sie sich unbedingt professionelle Hilfe. Am besten fragen Sie Ihren behandelnden Arzt nach seinem Rat. Als GBS-Patient sind Sie sowieso ständig von Ärzten umgeben. Fragen Sie nach einer Psychotherapie.
Schrecken Sie jetzt bitte nicht zurück.
Psychotherapie bedeutet nicht, dass Sie verrückt sind. Ich bin es nicht und mache trotzdem eine. Der Vorteil an einem offenen Gespräch mit einem Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin ist, dass sie außenstehende Personen sind. Sie sind ihnen nicht bekannt, das Gespräch beginnt also ohne Vorgeschichte und ohne Vorurteile.
Sie werden sehen, dass Sie schon nach wenigen Therapiesitzungen eine große Erleichterung spüren werden. Dabei ist es gar nicht notwendig, sofort Resultate zu erzielen und der Quelle Ihrer Angst auf den Grund zu gehen. Alleine das offene, ungezwungene Reden wird Ihnen weiterhelfen.
Wenn Sie ein introvertierter Mensch sind wie ich, werden Sie sich vielleicht denken, dass eine Gesprächstherapie für Sie ungeeignet wäre. Schließlich reden Sie auch sonst nicht sehr viel mit ihren Mitmenschen. Sie irren sich. Ich behaupte sogar, dass Ihre Verschlossenheit und Unsicherheit einen wesentlichen Anteil an der Entstehung und Ausformung Ihrer Angst haben. Wahrscheinlich waren Sie schon immer einer, der seine Probleme "lieber mit sich selbst ausmacht" und "niemanden braucht zum Reden". Auch da irren Sie sich. Sogar gewaltig. Ich habe das auch immer geglaubt, und auch ich habe mich gewaltig geirrt.
Ich bin Künstler. Zeichner, Grafiker, Maler, Schriftsteller. Ich dachte immer, ich könne meine Probleme und Sorgen auf kreative Art bewältigen. Es muss doch möglich sein, seelische Probleme alleine zu lösen, richtig?
Falsch.
Die kreative Arbeit hat mich zwar beruhigt und war schon in meiner Kindheit eine frühe Form der Meditation, ist es auch heute noch, aber sie hat mich auch einsam gemacht. Äußerlich und innerlich.
Wer einsam ist, denkt viel nach, und wer zu viel nachdenkt füttert den negativen Teil seines Egos mit immer neuen Zweifeln und Befürchtungen. So entsteht Angst. Das Ego braucht diese vielen Gedanken, weil es nur in dieser Form existieren kann. Das Ego ernährt sich von Gedanken, und darum erzeugt es immer neue negative Gedanken, Sorgen und Grübeleien, weil die ein sehr reges Wachstum haben. So hat das Ego immer neues Futter. Und immer mehr. So wird es dick und fett und träge und depressiv.
Und Sie auch.
Ihr ganzes Ego ist letztlich nichts anderes, als ein immer weiter und weiter denkendes Angstbewusstsein. Eine Art Panikfabrik. Angst erzeugt neue Gedanken, und neue Gedanken füttern das Ego. Also will es immer mehr Futter und erzeugt deshalb immer mehr Angst.
Mehr zu diesem Thema lesen Sie in meinem Blog-Artikel "Ewiges Leben - Über Ihr Wahres Selbst".
Ihre Angst brauchen Sie aber nicht. Zumindest nicht mehr. In der Steinzeit war sie nützlich, um uns Menschlein rechtzeitig vor Gefahren zu warnen und zu beschützen. Aus diesem Grund hat uns die Natur nur zwei Urängste eingepflanzt.
Die einzigen beiden Urängste sind die Angst vor dem Fallen und die Angst vor plötzlichen lauten Geräuschen.
Diese Ängste werden genetisch vererbt. Nützlich, wenn Sie auf einen Abgrund zulaufen, weil ein Säbelzahntiger hinter Ihnen her ist (da ist er wieder, der Gute. Sie erinnern sich?). Aber in unserer modernen Welt sind die Säbelzahntiger zur Mangelware geworden, und der einzige Abgrund, auf den Sie zurennen, und in den Sie wahrscheinlich schon gefallen sind, wenn Sie bis hierher weitergelesen haben, ist Ihr eigener.
Es ist der Abgrund Ihrer Angst.
Stellen Sie sich Ihrer Angst. Blocken Sie Ihre Angst nicht ab. Konfrontieren Sie sie! Konfrontieren Sie sich selbst mit Ihrer Angst! Fühlen Sie Ihre Angst. Lassen Sie Ihre Angst zu wie ein Fieber, dass Sie kuriert. Fiebern Sie Ihre Angst aus. Auch, wenn Sie dabei zittern, schwitzen, nur schwer Luft kriegen und Ihr Herz klopft wie verrückt. Unterdrücken Sie die Angst nicht.
Wenn Sie das geschafft haben, akzeptieren Sie Ihre Angst. Nehmen Sie sie an. Heissen Sie Ihre Angst willkommen. Betrachten Sie sie als Freund. Seien Sie gastfreundlich zu Ihrer Angst. Sie meint es ja nicht böse. Sie will Sie ja nur vor dem Abgrund bewahren, merkt dabei aber nicht, dass sie Ihnen dabei einen Tritt gibt, der sie abstürzen lässt. Ihr Ego ist dümmer, als Sie denken.
Und wenn Sie Ihre Angst begrüßt, akzeptiert und ihr freundschaftlich auf die Schulter geklopft haben, lassen Sie sie los! Lassen Sie Ihre Angst wieder gehen. Sagen oder denken Sie in täglichen Affirmationen "Ich lasse meine Angst los." Auch, wenn Sie jetzt skeptisch sind und es im Augenblick der Angst für unmöglich halten, dass Ihnen auch nur einer meiner drei Punkte weiterhelfen kann, glauben Sie mir. Konfrontieren, akzeptieren und loslassen hilft. Nicht nur das, aber der 3-Punkte-Plan hat einen wesentlichen Anteil daran, Ihre Angst...
...nein, nicht zu vertreiben. Sondern zu verstehen.
Verstehen Sie Ihre Angst.
Und dafür brauchen Sie eine Gesprächstherapie. Psychotherapeuten haben Erfahrung mit Angstmenschen. Sie besitzen die richtigen Werkzeuge, um Ihre Ängste aus der Dunkelheit Ihres inneren Abgrunds ins Licht der Selbsterkenntnis zu holen. Und diese Werkzeuge sind weder Skalpelle noch Fluchtfahrzeuge in Scheinwelten, sondern Worte.
Verständnis. Einfühlungsvermögen. Übereinstimmung.
Ich empfehle Ihnen die klientenzentrierte Gesprächstherapie nach Carl Rogers. Ich mache sie selbst. Fragen Sie danach. Der Therapeut gibt Ihnen dabei keine naseweisen Ratschläge (wie ein gewisser Blogger aus Österreich), sondern hört Ihnen zu. Er stellt Ihnen Gegenfragen, und wenn Sie nicht weiterwissen, gibt er Ihnen Tipps und sagt Ihnen, wie sie gemeinsam weiter vorgehen werden. In Österreich bezahlt die Krankenkassa diese Form der Therapie oder zumindest den Großteil. Erkundigen Sie sich. Schaden kann es Ihnen auf keinen Fall, aber es wird Ihnen auf jeden Fall helfen.
So. Schluss für heute.
Eins noch: Stellen Sie sich selbst die Frage "Will ich mich von meiner Angst wirklich derartig versklaven lassen?" Da wird Ihnen sogar Ihr Ego zur Seite stehen, indem es die Antwort Ihres Wahren Selbst an Sie weiterleitet:
"Nein!"
Aber bevor Sie nein zu Ihrer Angst sagen, bejahen Sie sie. Sagen Sie zuerst "Ja!" zu Ihrer Angst.
Damit rechnet sie nicht.
So machen Sie Ihrer Angst Angst.

Samstag, 2. Mai 2015

Krankheit als Geschenk

Wenn man von der Hilfe anderer Menschen abhängig ist, entwickelt man schnell das Bedürfnis, seine Selbstständigkeit wiederzuerlangen.
Aber auch das erfordert Hilfe. Selbst der beste Hauptdarsteller eines Films braucht Drehbuchautoren, einen Regisseur und viele andere. Nur so kann er zum Akteur der Geschichte werden, die der Film erzählt.
Vielleicht fragst du dich, woher Du die nötige Hilfe bekommst, um zum Akteur deines Lebens zu werden. Du hast möglicherweise kein Geld für teure Therapien. Und selbst, wenn die Krankenkasse dir die Behandlung deiner Wahl finanzieren würde, hast du keine Ahnung, welche Art Therapie du machen sollst. Und bei wem.
Du fühlst dich verloren im Dschungel der Möglichkeiten. Oder aber, du hast gar keine Chance, eine Psychotherapie, einen NLP-Kurs, Meditation oder eine Peer-Beratung zu machen. Und dein Arzt speist dich nur mit Medikamenten ab, die dir manchmal helfen, aber nie so, dass du das Gefühl hast, selbst über dein Leben entscheiden zu können und zum Akteur deines Lebens zu werden. Du kommst dir vor wie ein Spielball, eine Marionette. Du bist immer von anderen Menschen und ihren Meinungen abhängig.
Aber du willst Unabhängigkeit. Die willst du mehr als alles andere. Unabhängigkeit ist eine Form der Freiheit, und Kontrolle ist der Motor, der dich in die Freiheit bringt und dich antreibt. Erst, wenn du Kontrolle über deine Handlungen hast, wenn du dich nicht zu bestimmten Entscheidungen gedrängt fühlst, kannst du Unabhängigkeit und Freiheit erlangen. Das Gefühl, zu etwas gedrängt zu werden, das man nicht tun will, kommt schnell, wenn man krank ist. Natürlich passiert diese Bedrängnis nie, man empfindet es nur manchmal so. Mich haben Ärzte, Krankenschwestern und Therapeuten immer wieder darauf hingewiesen, dass immer ich derjenige sei, der die Entscheidungen trifft. Ich wurde eher dazu ermuntert, selbstverantwortlich zu handeln.
Was du wirklich willst ist die Ursache über dein Tun zu sein. Du willst nicht immer nur die Wirkung fremder Mächte sein. Mächte, die zwar gutmütig sind und dir nur helfen wollen, aber dir dabei scheinbar die Grundlage deines Lebens entziehen: die Freiheit, entscheiden zu können, was du tun willst.
Diese Mächte, seien es Ärzte, Krankenschwestern oder Therapeuten, arbeiten hart und mit viel Idealismus daran...
...Ja, woran denn?
An deiner Gesundheit? Oder an Deiner Krankheit? An deiner Rückkehr ins Leben? Oder doch an deiner Abhängigkeit? Du musst erst hilflos sein, um Hilfe zu bekommen. Kannst du dich mit dem Zustand der Hilflosigkeit abfinden? Bist du bereit, auf der Stufenleiter des Lebens so tief abzusteigen, dass du so dermaßen im Abgrund sitzt, dass dir selbst die Erinnerung an Licht unvorstellbar erscheint?
Ich konnte es mir nie vorstellen. Bis ich dann auf der untersten Sprosse der Leiter angekommen war. Darunter waren nur der Abgrund und ich selbst. Irgendwie ist man doch sein eigener Abgrund, oder? Zumindest blickt er zu einem zurück, wenn man in die Tiefe schaut. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mein Abgrund mein Spiegelbild ist. Egal, wie groß meine Ängste waren, sie hatten immer mein Gesicht.
Du musst erst den Zustand der Erniedrigung ertragen lernen, bevor du daran arbeiten kannst, wieder emporzusteigen, die Treppe ins Licht zu erklimmen und den finsteren Abyss hinter dir zu lassen.
Aber wie? Sicher fragst du dich das jetzt. Vielleicht bist du in diesem Augenblick sogar selbst in einem Zustand tiefer Verzweiflung. Erlebst du gerade eine Lebensphase, in der du dir vorkommst, als seist auf die Gnade deiner Mitmenschen angewiesen, vielleicht sogar sosehr, dass du ohne sie gar nicht überleben könntest? Nicht einmal einen Tag, nicht einmal eine Stunde?
Nicht einmal für die Dauer eines Atemzugs.
Empfindest du angesichts der vollkommenen Abhängigkeit und des Verlusts deiner Selbstbestimmung Dankbarkeit? Eigentlich solltest du das ja. Stell dir vor, du liegst gelähmt in einem Bett. Du hast eine Tetraparese. Weißt du, was das ist? Ach so, du bist ja ein Leidenskollege...Aber allen anderen sei es erklärt. Ich hatte eine, fast ein halbes Jahr lang. Dabei gehöre ich zu den glücklichen Menschen, die aus diesem Zustand wieder herauskamen. Die meisten können das nicht.
       Eine Tetraparese ist die vollständige Lähmung aller Gliedmaßen. In meinem Fall wurde sie verursacht durch die Krankheit Guillain-Barré-Syndrom. Ich war vom Hals abwärts bis zu den Zehenspitzen vollkommen gelähmt. Ich konnte weder meine Arme noch meine Beine, Füße oder Finger bewegen. Das war zum Zeitpunkt, wo ich diese Zeilen schreibe, vor knapp zwei Jahren. Meine Füße sind immer noch fast vollständig gelähmt.
Wie ist das also mit der Dankbarkeit?
Ich war dankbar. Sehr sogar. Ich bin es noch heute. Nicht aus Anstand und Höflichkeit, sondern aus tiefer innerer Überzeugung. Seit mittlerweile 22 Monaten. In dieser Zeit sind mir nur hilsbereite Menschen begegnet. Menschen, die mehrmals mein Leben gerettet, mich gepflegt, aufgemuntert, therapiert, gefüttert, gewaschen, angezogen und mit Medikamenten versorgt haben. Ich kann gar nicht sagen, wie tief mein Gefühl der Dankbarkeit, der Freude und der Liebe zu all diesen Menschen ist.
Klingt das nach einem Aber?
Stimmt. Hier ist es:
Aber die Hilfe, die mir zuteil wurde, hat mich klein gemacht. Sie hat mir mein Selbstbewusstsein und mein Selbstvertrauen genommen. Die Abhängigkeit, der Kontrollverlust und die Hilflosigkeit haben mich zu der Erkenntnis gezwungen, dass ich ein Nichts bin. Ein vollkommenes, lebensunfähiges, verängstigtes, hoffnungsloses Nichts.
Die Krankheit und die ständige Hilsbedürftigkeit haben mich von einem Menschen in eine Pflanze verwandelt. Ich habe nicht mehr gelebt, sondern nur noch überlebt. Dieses Gefühl ist lange geblieben, zum Teil empfinde ich es jetzt noch, obwohl ich schon viele Entscheidungen selber treffen kann. Ich kann auch schon ziemlich viel tun, wie selbst essen, diesen Text in mein iPad tippen, Flaschen anheben und daraus trinken und mit meinem E-Rolli umherfahren. Waschen kann ich mich noch nicht selbst, zumindest nicht am ganzen Körper. Gehen kann ich auch noch nicht. Nicht richtig. Drei Minischritte am Rollator habe ich schon geschafft, aber ein Spaziergang liegt noch in weiter Ferne.
Was brauche ich also, um meine Gesundheit wiederzuerlangen und wieder richtig auf die Beine zu kommen? Vor allem brauche ich die Hilfe, auf die ich angewiesen bin. Darüber mache ich mir auch keine Sorgen, da ich von vielen hilsbereiten Menschen umgeben bin.
Meine Krankheit hat mein Menschenbild verändert. Ich habe die Menschen, denen ich in meinem Leben begegnet bin immer als Bedrohung betrachtet. Ich fühlte mich von frühester Kindheit an ausgegrenzt, unverstanden und nicht akzeptiert. Von geliebt will ich gar nicht reden. Damit meine ich aber nur die Menschen außerhalb meines Elternhauses. Bei meiner Mutter und meinem Vater war das nicht so. Bei ihnen fühlte ich mich immer sicher, und sie waren die einzigen Menschen, denen ich bedingungslos vertraut habe. Und das immer zu Recht. Sie haben mich nie enttäuscht. Niemals. Ich sie hingegen sehr oft, fast würde ich sagen, immer.
Nach dem Ausbruch des Guillain-Barré-Syndroms war ich plötzlich von Unmengen von Menschen umgeben, die alle für mich da waren, mich untersuchten, medizinisch behandelten, pflegten, therapierten und auch immer wieder versuchten, mich auzumuntern. Alles dies ist ihnen gelungen. Alles bis auf die Aufmunterung. Dagegen bin ich resistent. Trotzdem habe ich erkannt, und das erst mit 43 Jahren, dass nicht alle Menschen egoistisch, geldgierig, falsch, berechnend und intrigant sind. Solchen Menschen bin ich auch nur wenigen begegnet, aber sie haben seit meiner Kindheit mein Menschenbild falsch geprägt, und darum hing es immer schief an der Wand meines Lebens, gegen die ich immer gerannt bin.
Plötzlich stellte ich fest, dass es Menschen gibt, die Verständnis für mich haben, mich akzeptieren, respektieren und mir helfen. Schon alleine deshalb war die Krankheit für mich nicht nur schrecklich, sondern auch sehr lohnenswert.
Das Guillain-Barré-Syndrom ist lehrreich, grausam und ehrlich.
Sie hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen und mir viel genommen. Viel Schönes, Gutes und Angenehmes. Dinge, die ich immer für selbstverständlich gehalten habe, wie ohne darüber nachdenken zu müssen nach einem Becher zu greifen und daraus zu trinken oder Gegenstände, die ich mühsam in einer Hand hielt, wieder loszulassen. Loslassen war und ist noch immer schwieriger als greifen.
Aber die Krankheit hat mir auch etwas weggenommen, was ich überhaupt nicht vermisse: Mein negatives Menschenbild. Seitdem betrachte ich andere Menschen nicht mehr als Gefahr, sondern als Gefährten.
Ich sage es noch einmal, weil es eine der wichtigsten Lektionen ist, die mir das Guillain-Barré-Syndrom erteilt hat:
Ich betrachte andere Menschen nicht als Gefahr, sondern als Gefährten.
Alleine schon dafür lohnt es sich, ein halbes Jahr vom Hals abwärts gelähmt zu sein und auch zwei Jahre später noch immer nicht wieder gehen zu können. Wenn auch du an GBS leidest, denke bitte immer daran.
GBS nimmt dir viel, schenkt dir aber noch mehr.
Die Krankheit ein Geschenk?
Diese Frage muss ich mit ja beantworten. Nein, ich muss nicht, ich tue es aus Überzeugung. Und aus Erfahrung. Krankheit kann tatsächlich ein Geschenk sein. Mir schenkte das Guillain-Barré-Syndrom eine neue Form der Freiheit in meinem Denken und meinem Handeln. Sie hat mir den Weg geebnet, indem sie mir Stolpersteine und Schranken vor die Füße gelegt hat. Aber die sind überwindbar, auch für Dich.
Neben der vielen Hilfe gibt es noch etwas, das ich brauchte und noch immer brauche, um wieder gesund zu werden. Es ist sicher nicht das einzig Wichtige, aber ohne es ist alles andere zwecklos.
Und dieses Etwas heißt:
Ich.
Markus.
Der kriegerische Sohn des Gottes Mars.
Zugegeben, so bin ich nicht, aber das ist die Bedeutung meines Vornamens. Mit zweitem Vornamen heiße ich Gregory, was der Wachsame bedeutet. Die Medikamente machen mich zwar manchmal ziemlich müde, aber wachsam bin ich trotzdem. Und achtsam. Auch ein bisschen faul. Und verängstigt und depressiv, obwohl es damit zusehends besser wird.
Es gibt also noch ein Menschenbild, das meine Krankheit verändert hat: mein eigenes. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Angst einen Menschen noch mehr lähmen kann als eine Tetraparese. Sie kann einen daran hindern, für seine eigene Gesundheit und sein Lebensglück zu kämpfen.
Die Angst lähmt zwar nicht den Körper, aber die Seele. Sie lässt , Optimismus, Tatendrang, Zuversicht, Vertrauen in andere und in sich selbst, Motivation, Gelassenheit und  Lebensfreude einfach erstarren. Fast bis zum absoluten Nullpunkt, bis selbst das Lebenslicht beinahe erfriert.
Wie kommt man also aus diesem ewigen Eis wieder heraus?
Indem du, so schwer es auch sein mag, bedingungslos und fest an dich selbst glaubst!
Es liegt an dir. Du schmiedest nicht nur dein Glück, sondern auch dein Unglück. Ich selbst habe den Hammer lange Zeit auf den Amboss der Hoffnungslosigkeit geschlagen und dabei mein Unheil mehr und mehr gestählt. Das ging so weit, dass mich Kleinigkeiten wie das Klopfen an meiner Zimmertür fast zu Tode erschrocken haben. Ich wurde immer nervöser, ängstlicher und hoffnungsloser. Ich quälte mich um halb acht Uhr Früh in den Rollstuhl, quälte mich durch den Tag und um halb sieben am Abend quälte ich mich ins Bett, begleitet von Angst und Depressionen.
Das Resultat war Stillstand. Richtig schlimm wurde es im August 2014 nach dem Tod meiner Mutter. Ich erkannte mich selbst nicht wieder. Ich wusste nicht, wer ich ohne sie war. Plötzlich war der einzige Mensch, der mich bedingungslos geliebt hat und mich trösten konnte, weg. Ich war im freien Fall. Zugleich verfiel ich in eine neue Lähmung, die viel schlimmer war als die andere. Es war eine seelische Lähmung.
Ich war nicht mehr handlungsfähig, konnte gar nichts mehr aus eigenem Antrieb tun. Dazu kamen noch gesundheitlicher Stress und eine vollkommen unsichere Zukunft.
Dieser Zustand dauerte bis ins neue Jahr hinein. Dann wurde es allmählich besser, aber es war noch immer nicht genug. Es reichte noch immer nicht, um endlich richtig mit dem Trainieren anzufangen und nicht nur an meiner Gesundheit zu arbeiten, sondern mich aus diesem verdammten Rollstuhl hinauszuzwingen.
Wenn man nicht handelt, ändert sich auch nichts. Tief in meinem Inneren wusste ich, dass die Hilfe nicht nur von außen kommen kann. Die Initialzündung, der Funke der Heilung, muss aus mir selbst kommen.
Und aus dir, mein lieber GBS-Kollege.
Aber wie entzünden wir diesen Funken?