Samstag, 25. April 2015

Sorge Dich - Lebe nicht!

Ist dies etwa ein ironisch gemeinter Text? Versucht der Typ mit dem Guillain-Barré-Syndrom gar, witzig zu sein? So kennen wir den ja gar nicht! Oder meint er die Ratschläge in diesem Beitrag wirklich ernst?
Schwer zu sagen. Mir scheint, dieser Text ist so geschrieben, dass er leicht missverstanden werden kann. Und dann? Brechen dann GBS-Patienten ihre Therapien ab, nehmen keine Tabletten mehr, verzichten auf wichtige Pflege- und Hilfsmittel und hören nicht mehr auf die Ärzte?
Kann schon sein, ist aber nicht beabsichtigt. Schließlich sind Sie für Ihr Leben verantwortlich, nicht ich. Sie haben GBS, so wie ich auch. In den letzten eineinhalb Jahren habe ich selbst hart daran gearbeitet, die unten angeführten Tipps zu verwirklichen. Allerdings habe ich das nicht absichtlich getan, sondern, weil mich irgendwann und immer wieder der Mut verlassen hat.
Ich musste am eigenen Leib und an der eigenen Seele erfahren, dass diese Techniken wirklich funktionieren. Aber im Gegensatz zu Affirmationen und Meditation, führen sie nicht zu Hoffnung, Heilung und Vertrauen, sondern direkt an den Abgrund und in den freien Fall.
Natürlich ist dies ein ironischer Text. Das muss ich schreiben, nur zur Sicherheit. Damit mir keiner auf die Idee kommt, die hier genannten Tipps zu befolgen. Nehmen Sie sie nicht ernst. Das Guillain-Barré-Syndrom ist schon ernst genug.
Trotzdem sind diese Anleitungen reale Handlungsweisen, die von GBS-Patienten durchgeführt werden. Aus Zweifel, vermeintlicher Zufriedenheit und Angst.
Eins ist jedenfalls sicher: Wenn Sie diesen Aufforderungen nachkommen, garantiere ich Ihnen, dass Sie wirklich alles falsch machen und ohne Aussicht auf Rettung behindert bleiben.

• Die Kraft des negativen Denkens

Du bist also behindert und möchtest es gerne bleiben?
Sicher fragen Dich viele Leute: "Aber warum denn? Du hast doch gute Chancen wieder gesund zu werden!" Angenommen, das stimmt. Du leidest, so wie ich, vielleicht auch an der Krankheit Guillain-Barré-Syndrom. Oder Du sitzt aus einem anderen Grund seit einem Jahr im Rollstuhl, nachdem Du sechs Monate auf dem Rücken im Bett gelegen hast. Deine Prognosen sind gut, Du hast die besten Chancen, wieder auf die Beine zu kommen und vollkommen gesund zu werden.
Du willst aber nicht gesund werden.
Ich werde Dich jetzt nicht fragen, warum nicht. Ich will sehr wohl gesund werden. Aber oft ist mir der Weg zu weit und der Berg zu hoch. Die Aussicht auf das Ziel wird von meinen Tränen getrübt und von meiner Angst vernebelt. Manchmal stürzen die Pfeil' und Schleudern des wütenden Geschicks von allen Seiten auf mich ein.
Was dabei mitschwingt ist ein Unterton der Zukunftsangst. Wenn ich nicht mehr der im Rollstuhl und mit der Krankheit-die-keiner-richtig-aussprechen-kann bin, wer bin ich dann?
Wenn ich wieder gehen kann, wo gehe ich dann hin? Wohin führt mich mein Lebensweg?
Genau weiß ich das nicht. Und genau deshalb habe ich solange die Stimme in mir gehört und gestärkt, die meine Gesprächstherapeutin den "Boykottierer" nennt. Offenbar arbeite ich jetzt schon seit insgesamt zwei Jahren darauf hin, nicht gesund zu werden. Nicht weil es soviel Spaß macht, im Rollstuhl zu sitzen oder im Kran zu hängen, sondern weil das Vertraute, auch wenn es schrecklich ist, immer noch besser erscheint als eine ungewisse Zukunft.
Und weil dies ein ironischer, bewusst überspitzt formulierter Text ist, warne ich nicht vor dieser Weltanschauung. Auch, weil die Warnung vor einer Gefahr oft dazu führt, dass man sich gerade auf diese Gefahr einlässt.
Es liegt viel Trost im Stillstand.
Trotzdem denke ich jeden Tag daran, wie es sich anfühlen wird, wenn ich den Boden unter meinen Füßen wieder gefunden habe.
Ich glaube, es wird sich fantastisch anfühlen! Besonders, wenn ich mich nicht auf brüchigem Eis verliere, sondern Land gewinne.
Trotzdem habe ich in den letzten eineinhalb Jahren mehr als nur einmal all die Tipps umgesetzt, die ich Dir jetzt geben werde. Befolge sie besser nicht, auch dann nicht, wenn Du gesund werden kannst, aber behindert bleiben willst.
Und das willst Du doch, oder?
• Negativ denken - Der Königsweg zur Krankheit

Nichts strahlt weniger als graue Gedanken. Erst das trübe Wetter macht den Herbst doch richtig schön. Die bunten Blätter an den Bäumen will doch wirklich niemand sehen. Gibt es einen grauloseren Anblick als die blühenden Bäume im Frühling? Im Tale grünet Hoffnungsglück.
Aber keine Sorglosigkeit! Es geht auch anders. 
Die Straße der Verlierer ist vernebelt durch Vernunft.
Achte also stets darauf, nur die Hindernisse auf Deinem Weg zu sehen. Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Stolperstein. Wenn Du den Fehler machst, positiv zu denken, Dich stets an Deine Fortschritte zu erinnern und Deine Erfolge zu sehen, kannst Du nicht scheitern. Das ist unmöglich. Leider. Wenn Du Dich selbst siehst, wie Du aus dem Rollstuhl aufstehst und gehst, wirst Du ihn niemals hinter Dir lassen können. Vergiss nicht, dass bei GBS die Nervenenden als Letztes verheilen. Die Myelinschicht kommt erst ganz zum Schluss bei den Zehenspitzen an.
Komm also ja nicht auf die Idee zu trainieren oder zu befolgen, was die Ärzte und Physiotherapeuten Dir raten. Schließlich verstehen sie eine ganze Menge von ihren Berufen, und für die meisten ist es sogar eine Berufung, anderen Menschen zu helfen oder sie gar zu heilen.
Heilen. Scheußliches Wort. Streich es sofort aus Deinem Gedächtnis. Zusammen mit Mut, Fleiss, Hoffnung, Hilfe und Fortschritt und diesem ganzen motivierenden Mist. Besonders Fortschritt ist ein Begriff bei dem Dir doch sofort die Angst verfliegt, nicht? Schreiten, und dann noch dazu fort...
Fort wovon? Fort vom Rollstuhl? Fort vom Krankenbett? Fort von der Verzweiflung und der Angst? Das wäre ja wunderbar. Und das willst Du nicht. Glaub mir. Du willst auf keinen Fall fort von all dem Schmerz, der Trauer und dem Tod. Schließlich sind sie Deine besten Feinde.
Und beste Freunde willst Du keine.

• Verzage!

Das ist ganz wichtig. Wenn Du wieder einmal in der Früh aufwachst und Dir denkst, ich will nicht mehr aufwachen, komm ja nicht auf die Idee, zum Fenster hinauszuschauen. Es könnte ja die Sonne scheinen. Es könnte ja ein Tag voller neuer Chancen und - igitt! - Fortschritte werden. Lebe immer so, als wäre jeder Tag Dein letzter und auf keinen Fall Dein erster. Wenn Du Dich schon am frühen Morgen wie neu geboren fühlst, wo soll denn das, bitteschön, enden? Bitteschön. Schon wieder so ein Wort. Da steckt ja Hoffnung drin, wenn man um etwas bittet. Und schön ist es auch noch dazu.
Schön wäre es auch, die Hände wieder normal bewegen zu können. Zuerst nur den Zeigefinger einen Millimeter und mittlerweile beide Hände so, dass ich tippen, essen, mich waschen, einen Becher und ein Handy halten und Gummibärchen essen kann. Willst Du das wirklich auch?
Willst Du wirklich Gummibärchen essen?
Natürlich nicht. Fort, ihr Bärchen! Fort! Fort! Also verzage und gib Dich auf. Wobei..., "auf " ist auch schon wieder so ein positives Wort. Gib Dich ab klingt viel besser...äh...schlechter. Am besten gibst Du gleich die Verantwortung ab. Sonst wirst Du noch ein selbstbestimmter Mensch. Die Verantwortung für Dich, Deine Gesundheit und Deine Zukunft sollen gefälligst die Ärzte, Therapeuten, Krankenschwestern, Krankenpfleger und alle anderen, die Dich kennen und können, übernehmen. Aber auf keinen Fall Du selbst.
Verantwortung verhilft zur Heilung.
Leider endlich mal ein schöner Satz.
Sicher fragst Du Dich jetzt: "Was will der eigentlich von mir, und was schreibt der für einen Schrott?"
Kann ich Dir sagen, lieber GBSler oder Besitzer einer anderen heilbaren Krankheit:
Mach es falsch!

• Sei abergläubisch!

Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Selbst die Leute, die von sich behaupten, nicht abergläubisch zu sein, sind es in Wahrheit doch. Auch Du! Der Unterschied zu früher ist nur, dass an die Stelle des  magischen Aberglaubens ein moderner, technologischer Aberglaube getreten ist. Wer spricht nicht mit seinem Handy, wenn der Akku leer ist, oder flucht über das Auto, wenn es nicht anspringt?
Ich, zum Beispiel, spreche mit meinem transurethralen Dauerkatheter, wenn er nicht fördert wie eine Bohrinsel. Um ehrlich zu sein, es gibt Menschen, die ich schon viel länger kenne als dieses gelbe Scheusal, aber mit denen ich in meinem Leben nicht einmal annähernd so viel geredet habe.
Wenn man an Heilung interessiert ist, gibt es - neben medizinischer Versorgung und Pflege - kaum ein Mittel, dass so wirkungsvoll ist wie Positives Denken. Ich meine aber nicht die alberne Hals-und-Beinbruch-Mentalität, sondern gezieltes Visualisieren des eigenen geheilten Lebens. Nicht irgendwann in der Zukunft. Jetzt!
Ich werde nicht geheilt, ich bin geheilt!
Ich. Bin. Geheilt!
Diese Einstellung, womöglich noch in Kombination mit einem inneren Lebensfilm und dem Phantasieren von Glück und Gesundheit, verhindert jeden negativen Gedanken.
Tu es also nicht. Sich vorzustellen, wie man auf blühenden Wiesen spazieren geht, einen abendlichen Stadtbummel macht oder vollkommen schwerelos und sorgenfrei in einem warmen See schwimmt, umgeben nur von Natur, Sommerklang und erfüllt von Lebensfreude, verstrahlt einem doch das trostlose Leben.
Viel wirkungsvoller ist es, das Beste zu erwarten, damit das Schlechteste eintritt. Dreh' den Satz "Es wird schon schiefgehen" einfach um. "Es wird schon gutgehen" traut sich niemand zu sagen, aus Angst, das Gegenteil könnte eintreffen.
Mach es falsch!
Glaub' an Dein Glück, und das Pech ist Dir hold!

Samstag, 18. April 2015

Ein Freund, ein guter Freund

Eines vorweg: Ich bin der Falsche, um über dieses Thema zu schreiben. Ich bin ein mürrischer, verschlossener Einzelgänger, ein Poor Lonesome Cowboy, far away from home. Na ja, ganz so schlimm ist es zwar doch nicht, aber ich bin zumindest kein extrovertierter Mensch. Kein Pauken-und-Trompeten-Typ. Und ich gestehe gerne ein, dass ich selber nicht immer alles von dem beherzige, was ich hier empfehle.
Bevor ich an Guillain-Barré-Syndrom erkrankte, war ich gerne allein. Ich habe mich mit meinen kreativen Ideen beschäftigt, gezeichnet, gemalt, gelesen und geschrieben. Aber auch viel ferngesehen. Trotzdem hat es mir nichts ausgemacht. Ich habe schon immer die Stille gesucht und die Einsamkeit dem Jubel und dem Trubel unserer Unterhaltungs- und Partywelt vorgezogen.
Dementsprechend war mein Freundeskreis sehr klein und in den letzten zwanzig Jahren vor GBS oder noch länger, gab es gar keinen mehr. Ich konnte Freundschaften nie lange aufrecht erhalten, weil ich mich immer als Aussenseiter gefühlt habe. Ich war zwar nicht ausgegrenzt und habe mich immer mit allen gut verstanden, aber richtig ein Teil einer Gruppe war ich auch nie.
Wenn Sie auch so sind, und jetzt durch das Guillain-Barré-Syndrom auch noch in Ihrem eigenen Körper gefangen, werden Sie in diesem Artikel vielleicht Anregungen finden.
Kapseln Sie sich nicht ab!
Nutzen Sie jede Chance auf Gemeinschaft. Ich habe während den schlimmsten Phasen meiner Krankheit jeden in meinem Krankenzimmer gerne gesehen. Ärzte, Schwestern, Pfleger, andere Patienten, einfach jeden. Sogar die Leute draußen auf den Gängen. Ich habe den Gesprächen der anderen zugehört und konnte so meinem sorgenvollen Alltag ein bisschen entfliehen. Ansonsten hatte ich ja nur meinen Kopf, um ein angstfreies, lähmungsfreies Leben zu führen.
Wenn Sie ein kommunikativer Mensch sind, der schnell Freunde findet, werden Sie mit dem Finden von Gesellschaft sicher keine Probleme haben. Auch, wenn Sie noch in der Plateau-Phase sind und nicht mehr bewegen können als Ihren Kopf. Aber wenn Sie, so wie ich, eine Art Alm-Öhi ohne Alm und ohne Rauschebart sind, wenn Party für Sie ein Fremdwort ist und Sie nie von sich aus mit anderen Menschen ein Gespräch beginnen, sondern immer nur antworten und auch das mit knappen Worten, dann sollten Sie diese einmalige Chance, die Ihnen das Guillain-Barré-Syndrom bietet, nutzen.
Sie haben richtig gelesen! GBS nimmt Ihnen nicht nur viel und zerstört Ihr halbes Leben, es macht Ihnen auch reichlich Geschenke!
Ich bin tatsächlich etwas umgänglicher geworden, ich habe keine Scheu gegenüber Fremden mehr und freue mich sogar, wenn ich unter die Leute komme. Das war früher nicht so. Nie. Nicht einmal in der Kindheit.
In den letzten fast zwei Jahren habe ich so viele Menschen kennengelernt wie nie zuvor in meinem Leben. Ich glaube, mir ist keine Krankenschwester fremd. Ich hatte sie alle! Verstehen Sie das bitte nicht falsch...Unmengen von Patienten und deren Angehörige und Freunde habe ich kennengelernt, Ärzte und Ärztinnen, Pfleger, Therapeuten, Sanitäter vom Roten Kreuz, leicht und schwer erkrankte Patienten auf der Neuro, Therapeutinnen, Frauen von der Reinigung und viele mehr. Einige Schicksale haben mich tief erschüttert, andere gaben mir Hoffnung, viele Menschen habe ich bewundert oder auch bemitleidet. Manche haben mich sehr amüsiert, über wenige habe ich mich geärgert.
Aber eines hatten alle Menschen, denen ich begegnet bin, gemeinsam: Sie haben verhindert, dass ich ständig allein bin und mir dabei die Angst in die Knochen kriecht.
Wissen Sie, so ist das bei mir. Wenn ich alleine bin, kriecht mir die Angst in die Knochen. Ich höre sie in mir nagen und spüre ihre Kälte, die sich in meinem ganzen Körper ausbreitet und tausendmal mehr lähmt als das Guillain-Barré-Syndrom.
Kennen Sie dieses Gefühl?
Ich glaube, Sie kennen es. Sie kennen es sogar sehr gut. Fast könnte man sagen, die Angst ist zu unserem Freund geworden. Auf wahre Freunde kann man sich verlassen, nicht wahr? Nun, ich kann mich auf die Angst verlassen. Sie ist immer für mich da, auch, wenn ich sie nicht brauche. Und eigentlich brauche ich sie nie.
Wir Menschen brauchen die Angst eigentlich gar nicht mehr, seit die Säbelzahntiger ausgestorben sind. Angst als Warnsignal, um den Fluchtinstinkt zu aktivieren und damit unser Leben zu retten, ist in unserer modernen, überzüchteten, verwohlstandeten, überfressenen und versoffenen Unterhaltungs- und Partywelt nicht mehr nötig. Wenn ich mir unsere Welt so anschaue, frage ich mich oft, ob mir die Säbelzahntiger nicht doch lieber wären.
Trotzdem ist sie da, die alte Knochenkriecherin.
Wie können wir sie verjagen? Was brauchen wir dazu?
Die Antwort ist einfach.
Freunde.
Ich habe alle Ärzte, Krankenschwestern und anderen Menschen, denen ich täglich begegnet bin als meine Freunde betrachtet. Ich habe es ihnen zwar nicht gesagt, und es gab auch keine privaten Kontakte, bis heute nicht, aber wenn sie da waren, waren sie meine Freunde, und sie haben mir geholfen. Ich habe bei ihnen Trost gefunden, auch wenn sie mich nicht mit Absicht getröstet haben. Ich habe mich manchmal sogar gefreut, wenn eine Krankenschwester zu mir kam, um mir Blut abzunehmen. Was sie nicht wusste ist, dass sie mir mit dem Blut auch einen Teil der Angstkälte aus dem Körper zog.
Hoffentlich kriegen Sie keine Angst, wenn sie dies lesen. Na ja, ich habe eben einen Hang zum Drama. Aber alles, was ich schreibe ist wahr. Das alles ist mir passiert, das alles habe ich erlebt. Ich hoffe sehr, dass meine Blog-Artikel anderen Menschen, die an GBS oder einer anderen Krankheit leiden, weiterhelfen können.
Zögern Sie also bitte nicht, mir eine E-Mail zu schreiben oder einen Kommentar zu meinen Beiträgen zu verfassen. Auch die Meinung von Angehörigen interessiert mich sehr.
Und von Freunden.
Wenn Sie keine haben, finden Sie welche! Nicht suchen. Finden! Wenn Sie eher introvertiert sind, müssen die eigentlich fremden Menschen ja nicht wissen, dass Sie sie als Ihre Freunde betrachten. Ich bin ja einer, der immer glaubt, dass man ihn für aufdringlich halten könnte. Wenn Sie so ähnlich ticken wie ich
(und ganz ehrlich, das hoffe ich nicht für Sie, das hoffe ich für keinen Menschen auf der ganzen Welt),
glauben Sie das wahrscheinlich auch. Vergessen Sie' s. Sie sind nicht aufdringlich. Andere Menschen mögen Sie und möchten Ihre Freunde sein. Auch, wenn Sie es nicht glauben können.
Freuen Sie sich über jeden Menschen, den Sie kennenlernen. Alleine schon dadurch werden Sie sich besser fühlen. Wenn Sie sich im Spiegel sehen. Im Rollstuhl sitzend. Oder wenn Sie noch auf der Intensivstation liegen und fest davon überzeugt sind, dass Ihre Beine abgeknickt über dem Bettrand hängen, obwohl Sie gelähmt und ausgestreckt daliegen.
Also. Kapseln Sie sich nicht ab. Ziehen Sie sich nicht in Ihren Kopf zurück. Wenn Sie ein verschlossener Mensch sind, gibt Ihnen das Guillain-Barré-Syndrom die Gelegenheit, andere Menschen in Ihr Leben und in Ihr Herz zu lassen.
Dann wird die Krankheit zu einem Wegweiser. Und bitte vergessen Sie das niemals. Ich habe schon in anderen Blogartikeln darüber geschrieben. Auch, wenn Sie fast im Morast Ihrer Angst versinken: Der Weg ist da. Er ist wirklich da, und Sie werden Ihn auf Ihren eigenen Füßen beschreiten.
Und Ihre Freunde sind Ihre Weggefährten!

Samstag, 11. April 2015

Trudi liebt mich!

Ich habe seit fast zwei Jahren eine Freundin namens Trudi. Sie hat mir ihre Liebe zwar nie gestanden, aber ich weiß, dass sie ohne mich nicht leben kann. Richtig glücklich waren wir noch nie miteinander, aber wir sind deshalb zusammen, weil wir nicht ohne einander sein wollen und können. Kennengelernt habe ich Trudi im Landeskrankenhaus Vöcklabruck im Juni 2013. sie hat sich vom ersten Tag an um mich gekümmert und mich umsorgt.
Wie in jeder Beziehung gibt es auch bei Trudi und mir Höhen und Tiefen, Krisen und Glücksmomente. Leider überwiegen die Krisen, die manchmal sogar in Dramen ausarten. Trudi ist sehr eifersüchtig. Jedesmal, wenn ich mit meinem E-Rolli durch die Gänge der Gebäude hier in Altenhof fahre und mich sehnsuchtsvoll umsehe, lässt sie mich spüren, dass es nur Eine geben kann.
Und das ist Trudi.
Falls Sie das jetzt vielleicht vermuten, muss ich Sie enttäuschen: Trudi ist kein Haustier. Sie ist weder eine Katze, noch ein Goldfisch. Ich habe auch keinen Vogel.
Nein, sie ist ein Wesen mit dem ich sogar eine sehr intime Beziehung habe. Es ist zwar nicht meine Art, über solche Angelegenheiten aus dem Nähkästchen zu plaudern, aber es gehört nunmal zu meinem Leben dazu, also warum sollte ich mich dafür schämen?
Ich schäme mich nicht. Da ich in meinem momentanen Gesundheitszustand im Bett nur auf dem Rücken liegen und mich nicht frei bewegen kann, bin ich in unserer kleinen Amour Fou der devote Teil. Also, wenn Sie es genau wissen wollen, ich liege immer unten. Und Trudi ist von Haus aus sehr dominant. Manchmal zu sehr für meinen Geschmack.
Ich möchte mich ja eigentlich von Trudi trennen, aber was mache ich ohne sie? Irgendwie mag ich sie ja doch ganz gern. Ohne sie müsste ich sonst ständig aus dem Bett oder aus dem E-Rolli raus. Aber mit ihr kann ich die kleinen Freuden des Lebens relativ sorgenfrei genießen. Manchmal habe ich schon ein bisschen Angst, dass jemand ins Zimmer kommt. Eine Krankenschwester vielleicht oder der Briefträger. Die würden ja nicht schlecht staunen, was da so abgeht.
Zwischen Trudi und mir.
Aber wie gesagt, ich will sie ja eigentlich loswerden. Aber wie es mit solchen Partnerinnen eben so ist, erschlagen darf man sie nicht, aber ertragen kann man sie auch nicht. Trudi ist nämlich eine Nörglerin. Wegen jeder Kleinigkeit regt sie sich gleich auf. Wenn ich ein bisschen schief im Rollstuhl sitze oder wenn es draußen regnet. Ich könnte mir ja einen Schnupfen holen. Vom Regen. Nicht vom schiefen sitzen. Aber ich ziehe mich ja warm an und decke mich zu, wenn ich rausfahre.
Damit ist auch sichergestellt, dass niemand Trudis Lieblingskörperteil von mir sehen kann. Sicher denken Sie jetzt da an ein ganz bestimmtes Organ, das nur Männer haben.
Also, ich muss schon sagen...Sie haben ja vielleicht eine Phantasie. Ts, ts, ts.
Aber sie haben recht.
Trudi hängt tatsächlich genau an dem Körperteil so sehr, dass nur wir Männer haben. Und glauben Sie mir, es sind keine Fußballschuhe. Oh, nein.
Trudi plagt mich jeden Tag. Kennen Sie das? Es gibt solche Leute. Die verbreiten einfach nur schlechte Laune und sind ständig stinkig. Man fragt sich, wie diese Typen es immer wieder schaffen, einem schon am frühen Morgen den ganzen Tag zu verderben. Genau so eine Person ist die Trudi. Die holde Meine. Sie zwickt, stottert, verursacht bei mir Krämpfe und Verrenkungen, streikt, wenn sie nicht kriegt, was sie will und manchmal platzt sie fast aus allen Nähten.
Und Trudi ist nicht gerade schlank, wenn Sie verstehen, was ich meine. Sie trinkt einfach zu viel. Süße Getränke. Das bekommt ihr nicht so gut, aber wenn sie dann fett wird, macht sie wieder schlechte Luft.
Sie ist blond wie eine Semmel, und darum nenne ich sie immer "das gelbe Scheusal". Sicher kennen Sie den Film "Sin City". So ungefähr sieht sie aus.
Nein, Trudi ist keine Krankenschwester. Auch keine Therapeutin. Aber sie arbeitet im medizinischen Bereich. Ihre Arbeit macht sie gut, und auch in unserem Privatleben ist sie ordentlich und sauber. Ich möchte eigentlich ganz gerne heiraten. Aber auf keinen Fall Trudi. Die müsste ich dann nebenher laufen lassen. Wobei, dass es nebenher gelaufen ist, haben wir auch schon erlebt, und glauben Sie mir, eine solche Beziehung ist ziemlich stressig. Oft wäre das Leben ohne Trudi leichter, aber meistens wäre es sehr viel schwerer für mich. Außerdem ist sie eine treue Seele. Sie hat mich nie betrogen, hatte nie etwas mit einem Anderen.
Aber wer ist Trudi?
Wahrscheinlich fragen Sie sich das gerade. Soviel kann ich Ihnen schon verraten: Trudi ist nicht mein transversaler Stoma. Nein, ich bin auch nicht aus Transsylvanien und auch kein Transvestit. Obwohl, mit meinen schicken weißen Thrombosestützstrümpfen sehe ich ein bisschen so aus. Aber das macht ja nix. Die stehen mir gut und halten die Haut trocken. Fehlen nur noch die Strapse, aber die passen sowieso nicht zur Windel...äh Einlage.
Im medizinischen Pflegebereich pflegt man ja auch die Sprache und bedient sich einer Art Orwellscher Neusprech- und Neudenkmethode. Man wird auch nicht gefüttert, sondern beim Essen unterstützt. Ebenso sagt man nicht mit Salbe einschmieren, sondern eincremen. Und der Galgen mit dem Dreieck über dem Bett heißt Trapez. Ich bin auch noch nie gefragt worden, ob es mir gut geht, sondern immer nur "Geht' s bei Ihnen?"
Nein, es geht nicht. Es rollt. Es rollt in einem elektrischen Aufstehrollstuhl mit sich selbst aufblasendem Sitzkissen.
Und mit Trudi auf dem Schoß.
Grübel, grübel. Schoß? Gelb? Intime Beziehung? Ich weiß, was Sie jetzt schon wieder denken, und wieder muss ich Sie enttäuschen.
Nein, Trudi ist keine Geranie.
Noch nie hat mich ein Wesen so anhänglich und innig behandelt wie sie. Sie ist immer für mich da, bei Tag und bei Nacht.
        Night and day...you are the one..
Und jetzt kommt das, womit Sie, lieber Leser, nicht rechnen:
Trudi ist tatsächlich ein Mensch!
Und zwar ein Unmensch. Ein ganz gemeiner Vertreter der Gattung. Ich glaube ja, dass sie gar kein normaler Mensch ist, sondern eher ein Homo Erectus. Ja, das trifft es ganz gut. Na ja, ich gebe zu, das stimmt nicht so ganz. Eigentlich ist sie doch kein Mensch, hat aber menschliche Anteile.
Ein Affe?
Nein.
Trudi kann ihre Farbe wechseln.
Ein Chamäleon?
Mitnichten.
Rot, gelb grün...
Eine Ampel.
Ne, is' klar! Sehr clever überlegt. Ich schleppe in meinem elektrischen Rollstuhl eine Ampel mit mir herum, falls ich mal die Straße zum Hauptgebäude überqueren muss. Nein, Trudi ist auch keine Ampel. Auch keine Discokugel. Wobei...Der Gedanke, Trudi an die Zimmerdecke zu hängen und von innen zu beleuchten, ist ganz witzig.
Sie ist stachelig.
Ein Kaktus?
Schon besser. Sowas Ähnliches.
Also eine Pflanze.
Ja..na ja...noch besser. Sie wächst jedenfalls, wenn sie gegossen wird.
Sag' s uns! Sag' s uns!
"Jetzt soll der endlich die Katze aus dem Sack lassen", denken Sie sich vielleicht gerade.
Sack. Aha. Da kommen wir der Sache ja schon näher. Manchmal bin ich ein fauler Sack, ich hänge oft im E-Rolli wie ein nasser Sack, und wenn man mir sagt, dass es für mich besser sei Wasser statt Cola zu trinken, interessiert mich das sosehr, als würde in China ein Sack Reis umfallen.
Na gut, ich will des Rätsels Lösung, des Pudels Kern, des Knaben Wunderhorn und die Hölle auf Erden für Sie beim Namen nennen:
Sie denken sich jetzt vielleicht "Trudi ist sicher keine Frau."
Richtig gedacht.
Was Trudi macht, würde einer Frau nicht einmal im Traum einfallen: Sie saugt mich aus bis zum letzten Tropfen.
Trudi ist mein transurethraler Dauerkatheter.

Samstag, 4. April 2015

Ewiges Leben - Über Ihr Wahres Selbst

Sie sind nicht Ihr Ego. Und Ihr Ego ist nicht Sie.
Was bedeutet das?
Was ist das Ego?
Ihr Ego ist nichts anderes als Ihre Gedanken. Es ist die ablenkende Stimme, die Sie von Ihrem Wahren, Höheren Selbst trennt. Ihre Gedanken sind die Reaktion Ihres Verstandes auf Ihre Erlebnisse in Vergangenheit und Gegenwart und auf Ihre Prägungen. Wenn Sie schon als Kind und im weiteren Verlauf Ihres Lebens immer wieder den Satz hören "Freu dich nicht zu früh", werden Sie gegenüber den Chancen und Möglichkeiten, die Ihnen das Leben bietet wahrscheinlich eine negative oder zumindest skeptische Einstellung entwickeln.
Sie werden angesichts einer strahlenden Zukunft nur die Schatten der Vergangenheit sehen. Stellen Sie sich einen wunderschönen Tag in der Natur vor. Sie sehen Wälder, Berge und einen See. Die Sonne scheint, der Hinnel ist klar und blau, Segelboote gleiten über die spiegelglatte glitzernde Oberfläche des Wassers. Sie haben jeden Grund zufrieden zu sein. Sie fühlen sich wohl, haben keine Schmerzen oder Sorgen.
Sind Sie glücklich?
Nein.
Sie sind nicht glücklich, denn ganz weit hinten am Horizont, wo das Bergmassiv den Himmel zu berühren scheint, sehen sie eine Wolke. Sie ist nur klein, aber sie hat einen merkwürdig gelben Schimmer.
Hagel?
Ist das eine heranziehende Hagelwolke?
Nein. Es ist Ihr Ego. Es sind Ihre Gedanken, die die Essenz ihres Wahren Selbst und den Zauber des Augenblicks trüben. Denn so schön das Leben auch sein kann, es begleitet Sie immer ein bestimmter Gedanke. Er ist immer da, und wenn Sie tatsächlich einmal glücklich sind, wenn Sie sich wohlfühlen, weil Sie sich mit Freunden treffen, summt dieser Gedanke im Hintergrund wie eine Schmeißfliege.
Andere Menschen denken "Auf Regen folgt Sonnenschein."
Aber Sie nicht. Sie denken:
"Auf Regen folgt Hagel."
Kommt Ihnen diese Art zu denken bekannt vor?
Mir auch. Ich bin genau diese Art von Denker. Zwar kann ich mich am Schönen erfreuen, aber es liegt immer ein Schatten über der Sonne. Wenn Sie dazu neigen, negativ zu denken, pessimistisch zu sein, eher unglücklich als glücklich sind, deprimiert und an verschiedenen Angstzuständen leiden, kann ich Ihnen sagen, dass nicht Sie es sind, der die Welt und das Leben so negativ sieht.
Genaugenommen besteht jeder Mensch aus zwei geistigen Anteilen. Das hat aber nichts mit Schizophrenie oder multiplen Persönlichkeiten zu tun. Da ist auf der einen Seite, vielleicht sollte ich besser sagen, an der Oberfläche, Ihr bewusst denkendes Selbst. Dieser Teil Ihres Verstandes spricht zu Ihnen in Form von Gedanken. Wenn Sie einen blühenden Kirschbaum im Frühling sehen, denken Sie wahrscheinlich "Das ist schön". Beim Anblick eines behinderten Menschen denken Sie vielleicht "Das ist traurig", und angesichts einer bevorstehenden Operation "Ich habe solche Angst. Ich werde sicher sterben".
Wenn Sie aber genauer darüber nachdenken, werden Sie feststellen, dass alle Dinge, Menschen und Erlebnisse gar nichts sind. Ich will Ihnen nicht die Freude am Kirschbaum verderben, aber ich muss Ihnen leider sagen: Der blühende Kirschbaum im Frühling ist nicht schön. Das liegt aber nicht daran, dass ich so negativ denke und das Schöne nicht erkennen kann, sondern daran, dass nicht dieser Baum schön ist, auch nicht dessen Blüte, nicht einmal die Jahreszeit. Nichts davon ist schön.
Schön ist nur Ihre persönliche Wahrnehmung und die Reaktion Ihres Verstandes. Die bevorstehende Operation ist auch nicht gefährlich, genaugenommen ist sie nicht einmal ein Grund, auch nur beunruhigt zu sein. Nirgendwo steht geschrieben, dass Sie bei diesem Eingriff sterben werden.
Die Todesgefahr entsteht nur in Ihren Gedanken. Ihre Vorstellung erschafft Ihre Wirklichkeit. 
Aber diese negativen Gedanken brauchen Sie nicht. Ihre Angst erfüllt keinen Zweck. Gar keinen. Weder taugt sie dazu, Sie zu warnen, wie in der Steinzeit die Angst vor dem Fallen, die wir alle noch immer als genetisch vererbte Urangst in uns tragen, noch dient sie dazu, Sie auf Ihrem Lebensweg reifer und stärker zu machen. Ich bin davon überzeugt, dass sich Nietzsche geirrt hat, als er sagte: "Was uns nicht umbringt, macht uns stärker." Das stimmt nicht. Ich weiß es aus eigener Erfahrung.
Was uns nicht umbringt, macht uns schwächer.
Die Krankheit Guillain-Barré-Syndrom hat mich nicht stärker gemacht, sondern schwächer. Das ewige Warten auf Besserung, die nur sehr langsam voranschreitet, hat mich zermürbt und immer hoffnungsloser gemacht. Diese Phase habe ich zwar überwunden, aber auf keinen Fall bin ich dadurch stärker geworden.
Wo Licht ist, ist auch Schatten. Diesen dummen Satz kennen Sie auch. Und auch er ist falsch. Wenn Sie selbst zu den Menschen gehören, die solche Weisheiten von sich geben oder gar tief in Ihrer Lebensphilosophie verankert haben, denken Sie wieder nach. Schalten Sie Ihr Angst-Ich kurz ab und lassen Sie Ihr Wahres Selbst zu Wort kommen.
Was ist denn der Schatten?
Was ist denn die Dunkelheit?
Woran fehlt es in der Finsternis?
Richtig. Licht. Es fehlt das Licht. Und damit haben wir diesen berühmten dummen Satz auch schon widerlegt. Die Abwesenheit von Licht ist die Ursache der Dunkelheit, nicht das Licht selbst. Dunkelheit existiert nicht. Sie hat keine Frequenz und ist keine Energieform. Licht schon.
Sehen Sie?
Wo Licht ist, ist kein Schatten. Dort ist nur Licht.
Und genau das ist der Unterschied zwischen dem Ego unserer Gedanken und unserem Wahren Selbst. Gedanken erzeugen Angst. Und Angst erzeugt neue Gedanken. Und Sorgen. Und Grübelei. Das Ego der Gedanken kann anders nicht existieren. Es muss sich ständig mit neuen Gedanken und neuer Angst füttern. Probleme, Ängste, Depressionen entstehen erst durch Ihre Interpretation der Wirklichkeit.
Was geschieht, geschieht einfach. Es hat keine Bedeutung. Erst Sie geben Ihren Erlebnissen Bedeutung durch Ihre Gedanken. Und da Probleme, Ängste und vermeintliche Bedrohungen Angst erzeugen, sind Sie gezwungen, darüber nachzudenken. Das Denken ist der Treibstoff Ihres Egos. Ohne Gedanken kein Ego. Ohne Ego keine Angst.
Ihre Gedanken zerstören den Frieden des Augenblicks.
Aber warum erzeugen unsere Gedanken Angst?
Gedanken sind immer mit Begehren verbunden. Immer. Ohne eine einzige Ausnahme. Sie können in Ihrem Leben nicht einen einzigen Gedanken fassen, der nicht mit der Erfüllung eines Wunsches oder dem Stillen einer Sehnsucht in Verbindung steht. Jetzt wünschen Sie sich vielleicht gerade zu verstehen, was ich Ihnen sagen will oder dass ich mich verständlicher ausdrücke, je nachdem, wie hoch Ihr Selbstwertgefühl ist.
Ich will Ihnen damit sagen, dass die Erfüllung eines Begehrens Freude erzeugt. Wussten Sie wahrscheinlich schon. Aber diese Freude geht vorbei. Und damit entsteht Traurigkeit, und damit entsteht Angst. Angst davor, dass Sie nie wieder Freude empfinden werden. Und daraus entsteht neues Begehren. Neue Freude und neue Angst.
Glauben Sie mir, dieser Kirschbaum hat unendlich viele Blüten, aber er ist nicht schön. Doch unter der Oberfläche des angstvollen Begehrens liegt noch etwas Anderes. Etwas Größeres, fast möchte ich sagen, etwas Schönes. Vielleicht sogar das Schönste, was es überhaupt gibt.
Sie.
Ihr Wahres Selbst. Und dieses Wahre Selbst empfindet nur Freude. Freude von unendlichem Ausmaß. Die negativen Gedanken Ihres Angst-Egos können nur existieren, weil es keinen Schatten gibt, wo das Licht ist. Dieses Licht Ihres Wahren Selbst befindet sich außerhalb all dessen, was Sie mit Ihren Sinnen bewusst oder unbewusst wahhrnehmen können.
Dieses Wahre Selbst der unendlichen Freude ist nicht älter als das Universum und die Zeit. Es ist gar kein Teil davon. Es befindet sich überall gleichzeitig. Es ist. Das ist alles. Freude ist. Denken Sie genau darüber nach. Sie werden feststellen, dass die Welt, das Leben, das Universum nicht aus Licht und Schatten, gut und böse, Wahrheit und Lüge bestehen. All diese Polaritäten, die Gegensätze und der Dualismus vereinen sich in einem unendlich freudvollen Wahren Selbst. Und das ist alles. Alles, was ist. Das All. Der Allmächtige. Nennen Sie es, wie Sie wollen.
Ich weiß, das klingt alles sehr esoterisch und weltfremd. Ich bin aber kein Esoteriker, ich habe nur gelernt, dass all die körperlichen Phänomene, von der Funktion der Nerven und ihrer Myelinschicht, der Muskeln und ihrer Faszien, der Angst, der Depressionen und ihrem Serotonin letzlich nur Ausdrucksformen unseres Egos sind.
Unsere Gedanken erschaffen unsere Wirklichkeit. Ich war ein halbes Jahr lang nur ein Kopf. Der gesamte restliche Körper war gelähmt. Meine ganze Welt bestand nur aus den Sinneseindrücken, die mein Hirn wahrgenommen und den Gedanken, durch die es sie interpretiert hat. Diese Gedanken waren manchmal hoffnungsvoll, manchmal ängstlich, oft traurig und sehr oft geprägt von vollkommener Verzweiflung. Das lag vor allem daran, dass ich, bewegungsunfähig wie ich war, keine Möglichkeit hatte, an Informationen zu kommen oder eigene Recherchen zum Guillain-Barré-Syndrom anzustellen. Heute bin ich bestens informiert. Nicht nur über GBS, sondern auch über Tiefenvenenthrombosen, Lungenembolien, Darmsepsis, Leberblutungen, Tetraparesen, transurethrale Dauerkatheter, Stoma mit Ausstreichbeutel, Aufsteh- und Hinlegefunktionen bei elektrischen Rollstühlen, Muskelfaszien- und Kontrakturen, Zirkumzisionssekundärnahtoperationen, Krankenbetten mit aufstellbarem Rückenteil und Seitengitter, sowie Blutverdünner in Spritzen- und Tablettenform, Dialysen, permanente Venenkatheter, Harnsediment, Blasenkrämpfe, reaktive Depressionen, generalisierte Angststörungen und - nicht zu vergessen - selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer.
Alles Dinge, über die kein Mensch aus eigener Erfahrung etwas wissen sollte. Hat mich dieses ganze Zeug stärker gemacht?
Nein.
Gut, all das hat zu meiner Genesung beigetragen und tut es noch, aber ein anderer Mensch bin ich dadurch nicht geworden. Jetzt, wo die intensivste Angst meines Lebens und die kältesten Depressionen allmählich abklingen und endlich ein bisschen Bewegung in meine Fußherbermuskeln kommt, stelle ich fest, dass ich immer noch derselbe leicht kindische Markus von früher bin. Der ist nicht gestorben, wie ich es lange Zeit geglaubt habe, er hat nur geschlafen. War betäubt und besinnungslos. Orientierungslos. Gegenwarts- und zukunftslos.
Kenn Sie das auch? Vielleicht sogar in noch schlimmerer Form?  Ich weiß, dass es das gibt. Ich habe schwerstkranke Menschen kennengelernt. Im Vergleich zu diesen armen Seelen geht es mir gut. Eigentlich ging es mir von Anfang an gut, von den paar akuten lebensgefährlichen Situationen abgesehen. Nicht an einem einzigen Tag, weder auf der Intensivstation Stroke Unit, noch im Reha-Zentrum Gmundnerberg, noch hier im Behindertendorf Altenhof hat jemals ein Arzt zu mir gesagt, dass sich mein Zustand verschlechtert habe. Von Tag zu Tag ging es mir immer besser und besser. Auch, wenn die Myelinschicht der Nerven nur millimeterweise pro Monat heilt, haben es doch alle gesehen.
Die Ärzte. Die Ärztinnen. Die Krankenschwestern. Die Krankenpfleger. Die Therapeuten. Die Therapeutinnen.
Alle haben es gesehen und mir gesagt. jeden Tag.
Nur einer sah es nicht:
Ich.
Genauer gesagt: Mein Ego. Meine Ego und seine negativen Gedankenfreunde sagen mir heute noch, dass es mir nicht besser geht. Mein Ego träumt noch immer von der Heilung und davon, aus dem Rollstuhl wieder aufstehen und unbeschwert gehen zu können.
Mein Ego träumt. Mein Ego hofft. Mein Ego verzagt.
Und Ihres auch. Ganz bestimmt.
Jetzt verrate ich Ihnen ein Geheimnis. Eigentlich ist es gar keines, denn auch, wenn Ihr Angst-Ich das vielleicht nicht weiß, Ihr Wahres Selbst spürt es schon seit jeher. Vielleicht sogar seit Anbeginn der Zeit oder dem Alles-was-ist. Es weiß nichts davon, denn Wissen ist dem Wahren Selbst wesensfremd. Das Wahre Selbst spürt. Es fühlt.
Es liebt.
Das ist der Unterschied zwischen Ihrem Ego und Ihrem Wahren Selbst: Ihr gedankenschweres Angst-Ich träumt von der Rettung, dem Wunder, der Heilung, dem Erfolg, der großen Liebe, des großen Glücks. Es will ständig alles nur besser, größer, schneller und mehr haben. Es erzeugt Begehren und zerstört damit all das, was es sich erhofft.
Ihr Wahres Selbst aber lebt nicht in einem Luftschloss. Es lebt auch nicht in einer Traumwelt, aber auch nicht in der sogenannten Realität. Ihr Wahres Selbst trägt seinen Kopf nicht in den Wolken und steht auch nicht mit beiden Beinen im Leben. Es sucht weder Freiheit, noch Liebe, noch Glück. Nicht einmal Heilung. Nicht einmal das.
Ihr Wahres Selbst lebt und liebt den Augenblick.
Es wirkt durch Achtsamkeit und Liebe zu diesem einen Moment, der jetzt gerade ist.
Ob Sie es glauben oder nicht, einen anderen Moment gibt es nicht. Es gab ihn niemals, und es wird ihn niemals geben. Die Zukunft existiert nicht. Die Vergangenheit existiert nicht. Sie liegen auch nicht in der Ferne oder sind vorbei. Es hat all das nie gegeben.
Alles, was Sie in Ihrem Leben erlebt haben, ist nie passiert.
Nein, ich bin nicht übergeschnappt. Ich glaube das wirklich. Oder besser gesagt: Ich fühle es.
Wissen Sie, warum alles, was Sie erlebt haben nie geschehen ist und alles, was Sie noch erleben werden nie passieren wird.
All das, alles, was ist, geschieht ausschließlich jetzt.
Jetzt.
Jetzt.
Ihre Gedanken erzeugen durch Ihr Ego die Illusion von verstrichener Zeit oder nebulöser Zukunft. In Wahrheit aber, existieren Sie, Ihr Wahres Selbst, auschließlich in diesem einen, ewigen, anfangs- und endlosen Moment.
Ihr Wahres Selbst ist zeitlos. Es existiert außerhalb von Materie, Energie, Raum und Zeit.
Jeder Physiker wird wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn er meine kurze Geschichte der Zeit liest. Ich habe mir über das Phänomen Zeit nie aus philosophischer Sicht große Gedanken gemacht, wahrscheinlich, weil ich von Philosophie einfach zu wenig verstehe. Was die Physik betrifft, kenne ich Einsteins Relativitätstheorien, die aber auch nur in vereinfachter, für Laien verständlicher Fassung.
Zugegeben, meine Theorie über die Zeit ist nicht besonders komplex, aber ich frage mich schon seit vielen Jahren, was Zeit denn überhaupt ist. Wenn wir uns vergangene Erlebnisse in Erinnerung zurückrufen, denken wir oft, "Das ist aber lange her. Wahnsinn, wie schnell die Zeit vergeht". Aber was ist während des vermeintlichen Verstreichens der Zeit wirklich vergangen?
Bewegung.
In den letzten zwanzig oder Millionen Jahren ist in Wirklichkeit keine Zeit vergangen, sondern Lebewesen haben sich mit ihren physischen Körpern weiterbewegt. Laut Einstein sind es die Bewegung, die Geschwindigkeit und die Masse, die die Zeit definieren. Sie haben vielleicht von seinem Beispiel eines Astronauten gehört, der mit annähernder Lichtgeschwindigkeit von der Erde wegfliegt und ein paar Wochen im All verbringt. Wenn er wieder auf die Erde zurückkommt, sind hier inzwischen Jahrzehnte verstrichen.
Je schneller man sich bewegt, desto mehr Zeit vergeht. Aber nur von einem anderen Blickwinkel aus. Für die Menschen auf der Erde war der Astronaut viele Jahrzehnte weg, aber sein Kalender zeigt, dass nur wenige Wochen vergangen sind. Laut Einstein krümmt Masse den Raum und damit beeinflusst sie den Ablauf der Zeit.
Alles sehr amateurhaft erklärt, aber es deckt sich doch mit meiner Auffassung von Zeit.
Zeit existiert nicht.
Es gibt nur einen einzigen, statischen, ewigen Moment. In diesem Moment existieren Materie, Energie und Raum. Sie agieren und reagieren in diesem Moment und erschaffen so unsere Illusion von Zeit. Auch wir Menschen selbst haben uns eine künstliche Vorstellung der Zeit geschaffen. Die vom der Masse unseres Planeten vorgegebene Gravitation und die Gravitation der Sonne führen zur Umlaufbahn unseres Planeten, und all das erzeugt den Tag, die Nacht und den Jahreskreis. Und wir Menschen haben uns die Sekunden, Minuten, Monate und Jahre dazuerfunden.
Wenn man während des ewigen Augenblicks an ein Erlebnis zurückdenkt, stellt man plötzlich fest, dass es schon vor fünfundzwanzig Jahren geschehen ist. Sofort fühlen wir uns alt. Die Kindheit erscheint uns unerreichbar fern, dabei existiert sie ebenfalls genau jetzt, in diesem einen endlosen Moment.
Wir fühlen uns alt, sind es aber nicht. Unser Wahres Selbst kann nicht altern. Es wurde nie erschaffen und wird nie enden. Es ist ein Teil des Alles-Was-Ist. Damit sind wir alle - ob es uns gefällt oder nicht - miteinander verbunden. Es wäre vielleicht übertrieben zu sagen, es gebe nur einen einzigen Menschen in vielen Milliarden Körpern, aber vielleicht auch nicht. Vielleicht ist es tatsächlich so. In der Psychologie ist man der Ansicht, dass alle Menschen, denen wir in unseren Träumen begegnen, Aspekte unseres Ichs sind. Sie sind Erscheinungsformen des analytischen aktiven Bewusstseins, sowie des reaktiven Untebewusstseins.
Egal, von wem Sie träumen, es sind immer Sie selbst.
Aber was, wenn das nicht nur in unseren Träumen so ist? Was, wenn wir uns in jedem Menschen, den wir kennenlernen oder auch nur sehen, uns selbst begegnen?
"Liebe deinen Nächsten wie dich selbst", sagte Jesus. Hat er damit genau das gemeint? Dass jeder Nächste in Wahrheit ein Splitter des Wahren Selbst ist?
Wir werden nicht alt, weil unser Wahres Selbst nicht alt werden kann, es existiert und agiert ja in einem ewigen Augenblick. Aber was sehen wir, wenn wir in den Spiegel schauen? Also ich sehe nicht mehr den 17jährigen von früher. Ich sehe einen 45jährigen in einem elektrischen Rollstuhl, der jetzt schon seit über einem Jahr hofft, da wieder rauszukommen. Fast jeden Tag höre ich, dass ich große Fortschritte mache und gemacht habe und dass es mit mir bergauf geht. Ich habe schon einige Male darüber geschrieben, dass mit jedem Tag, an dem ich immer gesünder und gesünder wuurde, meine Hoffnung immer mehr und mehr schwand.
Aber was sehe ich im Spiegel? Einen übergewichtigen Rollifahrer, der noch alle Haare am Kopf und zumindest bisher ein faltenfreies Gesicht hat. Zugegeben, nicht ganz so faltenfrei wie mit siebzehn, aber die Falten, die ich habe sind nur Lachfalten und Sorgenfalten, wenn ich die Stirn hochziehe. Heute kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, dass sich diese Lachfalten im Laufe meines Lebens überhaupt gebildet haben, obwohl mein Lachen allmählich wiederkommt. Sehr allmählich, mit Babyschritten, genau wie meine Fähigkeit zu gehen.
Aber auch, wenn das bei Ihnen anders ist und sie mehr Falten haben als ich, oder sogar sehr viele, denken Sie bitte darüber nach, was Sie da wirklich sehen?
Sind das Sie? Sind das wirklich Sie, der sich von einem jungen starken in einen alten schwachen Menschen verwandelt hat?
Nein.
Sie sind es nicht.
Es ist der biologische Verfall. Es sind Ihre Zellen, die sich nicht mehr fehlerlos reproduzieren. Darum gehen den Menschen im Laufe der Jahre die Haare aus und ihre Haut wird schwach und faltig. Der ganze Organismus bereitet sich auf den Abstieg ins Grab vor. Das klingt hart, ich weiß, aber vergessen Sie nicht, dass nicht Sie es sind, der sterben wird, sondern nur Ihr biologischer Körper. Aus rein materieller Sicht ist der Mensch tatsächlich nichts anderes als eine Kohlenstoffeinheit.
Aber haben Sie, wenn Sie Ihren Partner umarmt haben jemals gesagt "Jetzt umarme ich meine Kohlenstoffeinheit"? Natürlich nicht. Es gibt also offenbar etwas, das über das materielle, biologische Selbst hinausgeht. Weit hinaus. Unendlich weit. Ewig weit.
Und das sind Sie! Sie und Ihr Wahres Selbst.
Dieses Wahre Selbst, das Ihre eigentliche Persönlichkeit ausmacht ist reine Empfindung. Es fühlt. Es liebt. Bedingungslos alles, was ist. Es empfindet Freude, ja sogar Tatendrang, denn es ist sich der Existenz der materiellen Welt bewusst. Es ist das wahre Leben, die Lebendigkeit, die Vitalität, die Lebensfreude, der göttliche Funken.
Haben Sie das jemals gesehen, wenn Sie in den Spiegel geschaut haben?
Vielleicht sehen Sie es ab heute.
Mehr fällt mir nicht ein. War ein langer Blogartikel diesmal. Ich hoffe, es hat sich für Sie gelohnt, ihn zu lesen, wie es sich für mich gelohnt hat, ihn zu schreiben. Ich habe während des Verfassens wieder ein paar Sekunden in den Spiegel gesehen.
Und was habe ich im Spiegel erblickt?
Das Lachen meines Wahren Selbst!