Samstag, 28. Februar 2015

Die Engel am Galgen

Wie viele Engel passen an einen Galgen?
        Es ist oft schwer, mit Hilfe und guten Ratschlägen zurechtzukommen. Ich habe im Krankenhaus, auf der Reha und hier im Behindertendorf Altenhof festgestellt, dass es Menschen gibt, die mich motivieren und mir Mut zusprechen. Zumindest tun sie ihr Bestes. Bei mir ist das schwer, weil ich dazu neige, immer das Negative zuerst zu sehen. Davon gab es in meinem Leben einfach schon zuviel, und das macht mir unmöglich zuerst das Positive und Schöne zu sehen.
        Bei all der Hilfe, die ich durch die wunderbaren Menschen in den letzten eineinhalb Jahren erfahren durfte, ist etwas passiert, womit ich nicht gerechnet habe. Es ist ein Gefühl, dass ich schon sehr früh auf der Intensivstation erlebt habe und dass sich im Laufe der folgenden Monate noch verstärkt hat. Sosehr verstärkt, dass ich sagen muss, dass ich darunter genauso gelitten habe, wie unter dem Guillain-Barré-Syndrom selbst.
Ich wurde zum Opfer meiner Ohnmacht.
Irgendwann fühlte ich mich in diesem wunderschönen und friedlichen Wald aus fachlicher Kompetenz, positivem Denken und ehrlicher Hilsbereitschaft total verloren. Ich war kein Mensch mehr. Ich fühlte mich wie ein Tier, das gewaschen und gefüttert werden muss. Ich war eine Art lebender Toter. Ein untoter Kopf ohne Körper.
Und rund um mich herum waren freundliche Gesichter, die lächelnd auf mich herabblickten und mir jede Hilfe gaben, die man sich nur wünschen kann. Und all diese Hilsbereitschaft und Freundlichkeit war echt. Dahinter steckten keine Geschäftsinteressen und kein Egoismus. Keine Habgier, keine Falschheit und kein Neid.
Ich kannte das nicht. Wir begegnen auf unserem Lebensweg doch so vielen grauen Gestalten. Wer kennt nicht eine Unzahl von schlecht gelaunten, grantigen und pessimistischen Menschen? Sehen wir nicht fast überall finstere Minen und traurige Gesichter? Wie oft sind wir schon nicht gegrüßt worden oder haben es selbst nicht getan? Wir alle neigen doch zum negativen Denken, oder nicht? Wir alle haben doch schon so viele Haare in der Suppe gefunden, dass wir daraus eine ganze Legion aus Yetis schaffen könnten.
So auch ich. Und plötzlich war ich in einer beängstigenden Parallelwelt aus Hoffnung, Aufmunterung und positiven Prognosen. Ohne Scherz, das war beängstigend. Dieses ständige "das wird schon wieder", "gib nicht auf", "du musst positiv denken", "hab Vertrauen" und "es geht bergauf" hat genauso an meinen Nerven gezehrt wie das Guillain-Barré-Syndrom. Ich kam mir hoffnungslos gerettet und behütet vor. Ich wäre damals auf der Intensivstation niemals in der Lage gewesen, ohne Hilfe zu überleben, aber genau diese Hilfe, die Pflege und alle Arten von Therapien haben mich zu 100% abhängig gemacht.
Plötzlich war ich ein Opfer meiner Retter.
Ich weiß, das klingt hart und undankbar, aber es war so. Jede Form der Selbstbestimmung wurde mir durch die Krankheit geraubt. Ich konnte nicht einmal alleine atmen. Ich wurde künstlich beatmet, reanimiert, und das Blut in meinem Körper wurde gewaschen, weil meine Nieren versagt hatten.
Ich bin nicht undankbar, nein. Jeder Arzt, jede Ärztin, alle Krankenschwestern und Krankenpfleger, Therapeutinnen und Therapeuten und alle anderen, die an meiner Rettung beteiligt waren, sind meine Schutzengel. Danke, euch allen! Wirklich!
        *herziundbussischick*
Trotzdem...Es ist nicht leicht, seine Eigenständigkeit zu verlieren. Und so wurde mein Weg für mich scheinbar immer länger, der Berg immer steiler und selbst bei wiederhergestellter Lungenfunktion die Luft immer dünner. Ich wurde immer ängstlicher, deprimierter und hoffnungsloser. Mit jedem Fortschritt. Je fester der Boden unter meinen Füßen wurde, desto schneller verlor ich mich ich im Morast meiner Angst, und je mehr Auftrieb ich hatte, desto tiefer versank ich in einem Meer der Hoffnungsdiktatur.
Ich musste gesund werden wollen. Ich musste wieder gehen können wollen. Ich musste kämpfen wollen und positiv denken wollen. Auch den Satz "du musst es wollen" habe ich gehört.
Ich musste wollen wollen.
Schon bald wollte ich nur noch eines:
Nicht mehr aufwachen.
So habe ich wohl unbewusst und getrieben von Genesungsangst damit begonnen, meine Heilung hinauszuzögern. Ich hätte jederzeit trainieren können. Hier in meinem Zimmer in Altenhof habe ich zwei lange Stützen an der Wand im Bad, an denen ich gut aus dem E-Rolli aufstehen kann. Und wie oft mache ich das? Alle paar Tage. Immer noch. Ich bin mittlerweile viel motivierter als noch vor einem Jahr und kann jetzt schon Dinge tun, an die früher gar nicht zu denken war, wie volle 1,5-Liter-Flaschen Cola vom Boden aufzuheben und auf den Tisch zu stellen. Auf der Neuro konnte ich noch nicht einmal einen leeren Joghurtbecher heben.
Dennoch gewinnt der Pessimismus immer wieder die Oberhand. Beispielsweise kann ich meine Füße noch immer nicht bewegen, also ist für mich der naheliegenste Gedanke: Alles andere ist verheilt oder fast verheilt, aber an den Füßen ist Schluss. Das wird nichts mehr. Wozu trainieren, wenn ich nie wieder richtig werde gehen können?
Also bleibe ich lieber im Rollstuhl sitzen und warte ein paar Tage, bis mein Physiotherapeut Wolfgang kommt und mich wieder motiviert. Er schafft das. Andere auch. Nur einer schafft das nicht:
Ich.
Meine negativen Gedanken umkreisen und belauern mich wie die Vögel in Hitchcocks Film. Nicht nur mein Weg, sondern das ganze Land bis hin zum Horizont ist bevölkert mit schwarzen Vögeln.
Irgendwann habe ich festgestellt, dass die Ängste und Sorgen zwar eine Bedrohung waren, aber sie hatten einen großen Vorteil:
Sie waren da.
Sie sind immer noch da.
Auf mich selbst kann ich mich nicht verlassen, aber die Angst ist da, wenn ich meine Zukunft nicht sehen kann. Ich bin Grafiker, aber ich habe kein Bild von meinem Leben. Meine Vergangenheit habe ich verloren, und meine Zukunft ist unauffindbar. Aber auf die Angst ist Verlass. Sie ist da, auch, wenn ich sie nicht brauche. Sie gibt mir Konsistenz. Meine Angst ist mein Anker im Sumpf.
So dachte ich lange Zeit. Mittlerweile wird mein Blick wieder klarer. Ohne es verschreien zu wollen, aber was meine Krankheit betrifft, kann mir eigentlich nichts mehr passieren. Das Wort eigentlich kann ich nicht leiden, es hat so etwas Schwammiges, als wäre die Zuversicht nur eine Qualle in meinem Sumpf. Aber meine Krankheit hat mich ein bisschen abergläubisch gemacht. Vorsichtshalber nichts verschreien.
Leider führte mich diese Vorsicht in einen Strudel aus negativem Denken, Hoffnungslosigkeit und Schicksalsergebenheit. Wenn man in der Früh aufwacht und als erstes eine Galgen und ein Trapez über sich sieht, ist das nicht gerade eine Motivation, gut gelaunt in den Tag zu starten. Keine Frage, meine Helfer sind meine Schutzengel, aber mein erster Blick fällt jeden Tag auf diesen Galgen und die Engel, die darunter stehen und mich ansehen. Inzwischen macht mir das nichts mehr aus, und die gute Laune kommt auch wieder zurück. Mit kleinen Schritten, so wie ich zurück ins Leben. 
Nur manchmal, in hoffnungsdunklen Nächten, wenn das Licht von draußen durch das Fenster in mein Zimmer scheint, wirft der Galgen ein schwarzes Kreuz an die Wand.
Dann fühle ich mich wie in einem Grab und spüre, wie meine Haare und meine Fingernägel wachsen.
Überkommt Sie gerade ein eiskalter Schauer? Gut. Dann wissen Sie, wie ich mich seit eineinhalb Jahren fühle. Tag für Tag. Nacht für Nacht. Und da soll man noch positiv denken müssen wollen.
Jetzt, heute, 21 Monate nach dem Ausbruch meines Krankheitsvesuvs, kühlt die Lava allmählich ab, und meine Lebensweg wird wieder begehbar. Meine dunklen Gedanken werden heller, und die Vögel fliegen weg. Sie können mich nicht mehr belagern, denn mit einem haben sie nicht gerechnet:
Die Straße ins Leben ist gesäumt mit Engeln.

Samstag, 21. Februar 2015

Protokolle des Schmerzes

Was erwartet einen Menschen, der die Diagnose Guillain-Barré-Syndrom gestellt bekommt? Was steht Ihnen bevor, wenn Sie aufwachen und vom Kopf bis in die Zehenspitzen komplett gelähmt sind?
In meinem neuen Blog-Artikel beschreibe ich die Ereigniss der letzten eineinhalb Jahre meines Lebens im Telegrammstil.
Kurze Protokolle des Schmerzes, der Angst, der Trauer und der Hoffnung.
Es muss nicht jedem Menschen mit GBS genau so ergehen wie mir, aber meine Geschichte ist durchaus exemplarisch. Genaugenommen ist dies eigentlich kein normaler Blogartikel, sondern nur eine kurze Beschreibung meines Gesundheitszustandes, 21 Monate nach dem Ausbruch meiner Krankheit Guillain-Barré-Syndrom.
Sinn dieser Veröffentlichung ist, betroffenen Menschen, die selbst an GBS leiden, einen Überblick darüber zu geben, wie diese Erkrankung verlaufen kann.
Treten Sie also ein in mein Kopfleben. Nur zur Information: GBS kann jeder bekommen.
        Ohne Vorwarnung.
Darum das Wichtigste vorweg: Fürchtet euch nicht!

• Juni, Juli 2013: Zusammenbruch zu Hause, einige Tage später Einlieferung ins Krankenhaus. Intensivstation. Bewusstlos. Diagnose Guillain-Barré-Syndrom. Vom Hals abwärts bis zu den Zehenspitzen vollkommen gelähmt. Herzstillstand, Wiederbelebung, Darmsepsis, Leberblutungen, Notoperation, Nierenversagen, künstliche Beatmung, Dialyse, Immunglobuline, schöne Gespräche mit Seelsorgerin, Ergo- und Physiotherapie. Ich werde von Krankenschwestern gefüttert. Ich glaube, ich bin kein Mensch mehr. Immer durstig. Darf fast nichts trinken. Träume vom Wassertrinken. Angst, oneiroide Albträume der schlimmsten Sorte, Tränen, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit. Freude: Mama besucht mich! Spritzen zur Thrombosevorbeugung. Physiotherapeuten strecken meine Arme und Beine. Schmerzen. Träume vom Meer. Schön. Sehr langsame Besserung. Ich werde von Krankenschwestern gefüttert.

• August - Dezember 2013: Station für Neurologie. Ein Arzt sagt mir, dass ich vielleicht den Rest meines Lebens gelähmt bleibe. Ich denke mir: Jetzt bin ich nur noch ein Kopf. Weiterhin Therapien, Tabletten, Infusionen, Ängste, Psychotherapie. Freude: Mama besucht mich! Immunglobuline, Katheterwechsel, Antibiotika, noch immer komplett gelähmt mit der Fähigkeit, die Schultern ein bisschen zu bewegen. Ich werde von Krankenschwestern gefüttert. Freude: Mama besucht mich! Harnblasenkrämpfe die ganze Nacht, Angst, Ergotherapie, Physiotherapie in einem Pflegesessel, Katheterspülungen, Motomed-Training, um die Arme zu stärken, elektrische Beinschienen, die die Muskeln und Gelenke durchbewegen, Angst, schöne Gespräche mit Seelsorgerin, Fortschritte, kann linken Zeigefinger minimal bewegen. Freude: Mama besucht mich! Spritzen zur Thrombosevorbeugung. Katheterwechsel, Therapien schlagen an, kann meine Arme bewegen und mich im Bett ein wenig zurechtpositionieren, kann auf dem iPad tippen, Katheterspülungen. Freude: Mama besucht mich! Mehr Fortschritte. Entlassung aus dem Krankenhaus.

• Dezember 2013 - April 2014: Neurologisches Therapiezentrum Gmundnerberg. Eigenes Zimmer, schöne Aussicht, viel Therapie, Besserung, Rollstuhl, Hüftschmerzen, Katheterspülungen, Physiotherapie im Querbett. Ich werde von Krankenschwestern gefüttert. Elektrotherapie der Arme und Beine, kann Arme gut bewegen, Hände noch fast gar nicht, kann nicht greifen, lerne aber wieder selber zu essen und die Zähne zu putzen. Freude: Mama besucht mich! Antrag auf Reha-Verlängerung, Katheterwechsel, Motomed für die Arme, Querbettsitzen, Übungen für die Rumpfstabilität, Antrag auf Reha-Verlängerung, Ergotherapie, Spritzen zur Thrombosevorbeugung. Katheterspülung, Angst, aber nicht mehr so große, kaum Zuversicht, traurig, Keine Spritzen zur Thrombosevorbeugung mehr, Antrag auf Reha-Verlängerung, Aufstehübungen mit Gurt an einem Stehtisch, Internet auf dem iPad, dickes rechtes Bein, Tiefenvenenthrombose im Becken, Gefahr einer Lungenembolie, extreme Todesangst, Katheterwechsel, hohes Fieber, Bettruhe eine Woche lang, zurück in den Rollstuhl, wieder Anti-Thrombosespritzen, Antrag auf Reha-Verlängerung, Zirkumzision, Therapien, Zirkumzisions-Nachoperation, Angst vor Penisamputation, eine Woche Urologie. Freude: Mama besucht mich! Zurück zum Gmundnerberg, Katheterspülung, wenig Lebensfreude, starkes Blutverdünnungsmedikament, Teilexzision rechte Zehe, Antrag auf Reha-Verlängerung abgelehnt, Entlassung.

• April 2014 - Februar 2015: Behindertendorf Assista in Altenhof am Hausruck, eigenes Zimmer, Hauptwohnsitz. Viele liebe und lebensfrohe Menschen. Physiotherapie, Ergotherapie. Freude: Mama besucht mich! Ostern, Keilkissen gegen Hüftschmerzen, schmerzfrei innerhalb einer Woche, Aufstehübungen mit Stehlifter, Beinmuskulatur wird stärker, Angstanfälle, Katheterspülung, elektrischer Rollstuhl, Sommer, Sonnenbrand, Harnwegsinfekt. Freude: Mama besucht mich! Viel mit E-Rolli unterwegs, kleiner Zufluchtsort unter einer Buche, schreibe viel, Angst, Hoffnung, Katheterwechsel, Aufstehen aus dem Rollstuhl, Motorik der Hände wird besser, Freude über jeden Fortschritt, Hoffnung auf Heilung. Mama stirbt. Verabschiedung in Graz. Keine Hoffnung mehr. Große Trauer und Angst. Verzweiflung. Angstanfälle. Katheterwechsel, weitere freudlose Fortschritte. Mama ist tot. Ein Teil von mir auch. Aufstehen am Barren, freihändiges Stehen am Rollator, drei eigene Schritte vorwärts, Katheterspülung. Mama ist tot. Aufstehen aus dem Rollstuhl an zwei Stützen im Bad, völlig problemlos und angstfrei, keine Vorstellung von meiner Zukunft, mutlos, Angstanfälle, körperlich große Fortschritte, Glaube an Heilung wird immer schwächer, immer deprimierter, Angst. Mama ist tot. Wöchentliche Gesprächstherapie. Neue Hoffnung.

Momentan bin ich auf dem Stand, dass meine Angst schwächer und die Hoffnung auf vollständige Heilung stärker wird. Ich hoffe auch, dass es so weitergeht.
Mein Leben wird nie wieder so sein wie früher. Mein Vater und meine Mutter sind tot. Mit ihnen ist viel von mir gestorben. Freude ist nur noch eine Erinnerung.
Die schöne Zeit liegt hinter mir, aber wer weiß, vielleicht gilt für mich und jeden anderen Menschen mit dem Guillain-Barré-Syndrom:
Die schönste Zeit liegt vor mir!

Samstag, 14. Februar 2015

Im Ozean der Schmerzen

Ich sitze in einem Pflegesessel. An sich nichts Ungewöhnliches. Wenn ich zur Physiotherapie gebracht werde, wird der immer verwendet. Ein Pflegesessel ist nicht dasselbe wie ein Rollstuhl, sondern sieht eher aus wie ein Campingsessel mit Kopfstütze und kleinen Rädern. Man kann ihn selbst nicht steuern, sondern muss geschoben werden. Außerdem könnte ich das sowieso nicht, weil meine Arme sind gelähmt und meine Hände auch. Ich kann die Oberarme zwar ein bisschen anheben, aber nur notdürftig.
An diesen Pflegesessel werde ich mich wohl mein Leben lang erinnern. Für einige Zeit soll er für mich der Inbegriff des Schreckens werden. Schon in der Nacht vor einem Physiotherapietag habe ich Angst davor. Ich habe so gut wie keine Rumpfstabilität, kann nicht alleine aufrecht sitzen. Beim Querbettsitzen muss ich hinten und an den Seiten gestützt werden, sonst kippe ich um. Keine Kraft. Keine Nervenimpulse.
Ist das Kippen im Bett nur ein technisches Problem, so wird es im Pflegesessel für mich zu einer Tortur. Es ist die einzige Zeit während meiner gesamten Erkrankung mit dem Guillain-Barré-Syndrom, in der mich die Schmerzen fast in den Wahnsinn treiben. Da ich mich nicht aufrecht halten kann, kippe ich immer zur rechten Seite weg. Die rechte Körperhälfte ist bei mir aufgrund der Krankheit noch schwächer als die linke. Während der Therapie ist das kein großes Problem. Ich werde gestützt, während ich nach Kegeln und Bällen greife, mit der Hand über ein Tablett wische, mit einem gelben Igelball übe oder die Kraft meiner Arme am Motomed trainiere.
Aber nach der Therapiestunde bestehen meine Therapeuten Wolfgang und Alfred darauf, dass ich noch in diesem Sessel bleibe. Zum Mittagessen und am besten danach noch ein oder zwei Stunden. Ich bitte darum, ins Bett zu dürfen, aber sie appellieren an mich, so lange im Pflegesessel zu bleiben, wie ich kann. Ich stimme zu. Man legt mir Polster und eine dicke Schaumgummischlange an die Seiten meines Körpers. Eine Zeit lang fühlt sich das ganz gut an, aber etwa nach einer Viertelstunde beginnt der Druck in meiner rechten Hüfte.
Zuerst ist es nur unangenehm, und ich denke mir, na ja, wenn' s so bleibt, werde ich es schon irgendwie aushalten.
Es bleibt nicht so.
Eine der jungen Krankenschwesternschülerinnen betritt das Krankenzimmer der Neuro, wo ich mitten im Raum sitze. Sie bringt das Essen und wird mich damit füttern. Aber sie sagen "eingeben", damit es nicht so kindisch klingt. Wir befinden uns gerade im August 2013, und ich bin noch auf der Neuro im Landeskrankenhaus Vöcklabruck. Der Druck auf meine Hüfte wird stärker. Ich weiß nicht, ob ich essen kann. Ich sage Alexandra, dass ich nicht kann. Der Schmerz intensiviert sich. Es ist ein starkes, pulsierendes Drücken, das immer wieder an- und abschwillt. Ich versuche, es zu ignorieren und mich von der sympathischen Alex mit einer Suppe füttern zu lassen, die aussieht wie das Sediment in meinem Harn im Katheterbeutel. Allerdings schmeckt sie gut. Sonst. Wenn ich keine Schmerzen habe.
Ich fange an zu schwitzen und atme schwer.
"Tut es so weh?" fragt Alexandra. Sie ist eine sehr gute Schwester. Sehr einfühlsam, auf ehrliche Weise gut gelaunt und hat immer gute Ideen. Nur jetzt nicht.
"Ja", antworte ich. "Bitte rufen Sie bei der Physiotherapie an. Sie sollen mich mit dem Kran ins Bett legen."
Alexandra nickt und sagt, dass sie sofort anrufen werde. Sie eilt aus dem Zimmer. Auf dem Beistelltisch vor mir steht die Suppe. Als Hauptspeise hätte es ein Stück Gemüsepizza gegeben. Die hatte ich schon einmal. Ich habe mich darauf gefreut, aber im Moment ist Freude nur eine vage Erinnerung.
Jetzt beginnt die Zeit des qualvollen Wartens. Ich weiß, dass die Therapeuten nicht sofort ihre Arbeit stehen und liegen lassen, um mich aus dem Sessel zu befreien. Ich rechne mit einer halben Stunde, aber schließlich werden es fast eineinhalb. Irgendwann zwischendurch frage ich Alexandra, ob die bald kommen. Sie weiß es auch nicht.
Meine Hüfte klopft, hämmert, tobt. Den brennenden Schweiß kann ich mir nicht aus den Augen wischen. Ich bin ja gelähmt. Ich atme vor mich hin, versuche mich zu beruhigen und zähle meine Atemzüge, um mich auf die nächste größere Schmerzwelle vorzubereiten.
        Ich bin ein Schiffbrüchiger auf einem Nagelbrett. Zumindest fühle ich mich so. Ich frage mich, was schlimmer ist: in einem Ozean aus Schmerz zu ertrinken oder langsam aufgespießt zu werden, während mir das Wasser bis zum Hals steht.
Fünfundzwanzig. Nach fünfundzwanzig Atemzügen ist sie endlich da.
Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen und nicht zu stöhnen oder zu fluchen. Es sind noch drei andere Patienten im Zimmer. Ich schwöre mir, mich nie wieder in diesen verdammten Pflegesessel setzen zu lassen, da kann Alfred mit seinen Bobath-Polstern "bauen", was er will. Er nennt es so. "Wenn Sie schlecht sitzen, baue ich Ihnen was", sagt er. Was er baut ist auch sehr gut und verhindert noch größere Schmerzen, aber seine architektonischen Meisterwerke verrutschen natürlich irgendwann, während ich versuche, mich im Sessel irgendwie zu bewegen, um meine Hüfte zu entlasten.
Wolfgang und Alfred sagen immer wieder zu mir, wie wichtig es für mich ist, in einem Pflegesessel zu sitzen. Für den gesamten Bewegungsapparat, die Muskeln, das Rumpftraining und für die Lunge. Wenn man immer nur liegt, kann man eine Lungenentzündung bekommen. Das liegt daran, dass sich in der Rückenlage das Herz auf die Lungenflügel legt.
Ich weiß das. Ich weiß das alles, und ich weiß, dass die beiden Therapeuten recht haben. Das macht es noch schlimmer. Ich kann sie nicht einmal dafür hassen, dass ich diese Schmerzen erleiden muss. Erstens sind sie beide sympathisch, zweitens kompetent und hervorragende Physiotherapeuten, und drittens haben sie leider recht. Immer. Jedesmal.
All das ist mir klar. Aber es tut so Scheißweh! Die Armlehne des Pflegesessels bohrt sich in meine Hüfte, und der drückende Schmerz pulsiert bis in meine Zehenspitzen. Da spüre ich sie dann plötzlich. Aber wenn sie abgetastet werden, um meine Reaktionen zu testen, fühle ich gar nichts. Umgekehrt wäre es mir lieber.
Immer wieder denke ich mir, dass der Schmerz auch etwas Gutes hat. Immerhin spüre ich ihn. Das heißt, die Nerven leiten wieder. Toll. Ich bin begeistert.
Es klopft an der Tür. Das ist er nicht, denke ich mir. Physiotherapeuten klopfen immer nur einmal. Das ist mir irgendwann aufgefallen. Zumindest meistens. Eine ganz attraktive Frau kommt herein. Eine Ärztin von einer anderen Station und besucht einen Patienten.
Ich verfalle in einen schmerzhaften Dämmerschlaf. Ich zähle meine Atemzüge und nicke ein, werde von den dumpfen Schmerzen aber sofort wieder aufgeweckt.
Schließlich klopft es wieder. Nur einmal. Ich weiß, dass das Alfred ist. Er betritt den Raum, grüßt freundlich und lächelt. Ich glaube, er bemerkt, dass ich leide, aber ich versuche, meine Fassung zu bewahren. Es fällt mir schwer. Schließlich, nach einem abschließenden scharfen Stich in der Hüfte, als ich in den Hebelifter gehoben werde, hänge ich in der Luft, und Alfred manövriert den Kran zwischen Bett und Kasten hindurch und legt mich vorsichtig hin.
Wieder einmal kann ich mein Glück nicht fassen. Der Schmerz hört auf. Ich spüre zwar einen stichelnden Zug in meiner Blase, der vom Katheter verursacht wird, aber im Vergleich zu dem Sitzen im Pflegesessel ist das harmlos. Ich bedanke mich bei Alfred. Er sieht mir die Erleichterung an. Er hat Verständnis dafür, dass ich nicht länger in dem Sessel bleiben will.
Heute weiß ich nicht mehr, ob das der letzte Aufenthalt im Pflegesessel war, aber ich erinnere mich, dass ich später nach den Therapien in den Stryker gesetzt wurde. Den kann man in der Position verstellen. Zwar kann ich das nicht selbst, aber irgendjemand ist immer da, der mir hilft. Mein Leben wird erträglicher.
Heute bin ich meinen Therapeuten sogar für die Qualen dankbar, die ich im Pflegesessel oft erlitten habe. Es waren hauptsächlich seelische Qualen, körperlich gibt es viel schlimmere Schmerzen, das weiß ich auch.
Aber in meinem Kopfleben war das Sitzen im Pflegesessel einer der furchtbarsten Aspekte meiner Erkrankung. Heute sitze ich in einem elektrischen Rollstuhl. Auch darin habe ich meine Probleme, aber keine Schmerzen. Ich kann mich sogar ganz gut entspannen, wenn ich die Rückenlehne flachstelle.
Der Schmerz im Pflegesessel hat mich eines gelehrt: es gibt keinen leichten, bequemen Ausweg aus dem Guillain-Barré-Syndrom. Das muss ich leider allen Betroffenen sagen. Wenn Ihr noch ganz am Anfang des Weges steht, denkt daran, dass er da ist.
Der Weg ist da. Und er führt in die Freiheit. In ein Leben ohne Lähmung, ohne Angst und ohne Schmerzen. Verliert euren Weg nicht aus den Augen. Das dürfte allerdings ohnehin unmöglich sein, denn es ist ein krummer, harter und mit spitzen Steinen gepflasterter Weg. Man kann ihn gar nicht übersehen.
Die Reise des Guillain-Barré-Syndrom-Patienten beginnt mit einem kleinen, schmerzhaften Schritt, der sich wie ein Meissel in den Körper und in die Seele bohrt.
Aber wie so viele Wege, lohnt es sich, ihn zu beschreiten. Was bleibt uns auch Anderes übrig?
Wir haben nur diesen einen Weg.

Samstag, 7. Februar 2015

Mach Dich neu! Affirmationen und Mantras

Sicher haben Sie das Wort Mantra schon oft gehört. Möglicherweise denken Sie dabei an buddhistische Mönche oder Zeitgeist-Esoteriker, die irgendwelche Formeln vor sic hinmurmeln, um dadurch zu Erkenntnis und Weisheit zu gelangen.
Vielleicht sogar zur Erlösung.
Nun, so weit wie ins Nirvana werden Sie meine Mantras wohl nicht bringen, aber sie können Ihnen helfen, Ängste, von denen sie schon lange geplagt werden oder die erst seit Ihrer Erkrankung mit dem Guillain-Barré-Syndrom aufgetreten sind, in den Griff zu kriegen. Mir ist es jedenfalls zum Teil gelungen. Ich biete Ihnen in diesem Posting also kein Allheilmittel gegen die Angst und für die Erlangung von mehr Zuversicht an, aber einen Teil voranzukommen ist doch besser als stillzustehen.
Genau der Stillstand ist die größte Gefahr für GBS-Patienten. Ich habe davon schon in meinem Artikel "Zufriedenheit tötet!" erzählt. Wenn der Weg scheinbar immer weiter wird, der zu bezwingende Berg immer höher, das Labyrinth immer verwinkelter und die lange Reise nicht mit dem ersten Schritt beginnt, sondern mit dem ersten Stolperstein, ist es an der Zeit, die innere Einstellung zu ändern.
Viele Ansichten, Überzeugungen und Prägungen tragen wir schon unser ganzes Leben lang mit und herum. Sätze, die wir gehört haben, Kritik, die an uns geübt wurde, Ermahnungen und Tadelungen, die uns erziehen. Und formen sollten. Und das haben sie.
All die gut gemeinten Ratschläge, die uns härter getroffen haben als jeder Schicksalsschlag. Die Beleidigungen, Verhöhnungen und Demütigungen. Alle diese verbalen Messerstiche haben unsere Seelen verletzt und unser Selbstbild verzerrt. So wurde aus einem fröhlichen Kind ein unsicherer Jugendlicher und schließlich ein gelähmter Erwachsener. Zumindest erging es mir so, aber Ihnen in der einen oder anderen Form sicher auch.
Wir wurden also alle schon seit unserer Geburt durch Affirmationen geprägt. Nur, dass diese Mantras nicht von uns selbst, sondern von unseren Mitmenschen kamen. Viele von Ihnen haben es wohl gar. Nicht böse gemeint, aber wohl getan hat es uns auch nicht. Formeln wie "Das kannst du nicht. Das geht nicht. Das ist Blödsinn. Das hat keinen Sinn" haben uns auf Selbstzweifel programmiert.
Was man oft genug hört, glaubt man irgendwann. Die negativen Glaubenssätze sind wie ein Ohrwurm, den man immer wieder vor sich hinsingt, obwohl man das Lied gar nicht leiden kann. Sie setzen sich im Unterbewusstsein fest und fangen dort an zu nagen. Sie nagen sich langsam, aber beständig in die Tiefen des eigenen Ichs, bis die Seele zerfressen ist. Kein Wunder, dass man auf diese Art die Nerven verliert. In meinem Fall, wie bei allen Menschen mit Guillain-Barré-Syndrom im wahrsten Sinne des Wortes. Die dicke Haut, die Schutzmembran, die bereits den Einzeller vor Fressfeinden schützt, wird abgenagt, bis die Nerven blank liegen. Genau das passiert bei GBS. Die Isolierschicht aus Myelin wird zerfressen, und die Signale, die vom Hirn an den Körper gesendet werden, laufen ins Leere.
Die Hirnimpulse brauchen also neue Leitplanken. Die Myelinschicht muss wiederaufgebaut und das Geröll aus negativen Affirmationen und Egokränkungen muss aus dem Weg geräumt werden.
Aber wie? Wie lautet das Geheimrezept für ein neues Ich? Gibt es einen Pflug, der den Schutt des Lebens beiseite fegt? Gibt es einen Eisbrecher für den in der Lebenskälte erstarrten Körper und seine Seele?
Ja! Den gibt es! Der Pflug, der den gefrorenen Acker des brachliegenden Unterbewusstseins umgräbt, besteht aus einem einfachen Bauplan:
Sich selbst neu programmieren. Darum geht es bei der Anwendung von Mantras und Affirmationen. Das Wort Mantra aus dem Sanskrit bedeutet soviel wie Spruch, und eine Affirmation ist eine Bestätigung. Es handelt sich also nicht um Zauberei oder irgendwelchen Humbug aus der New-Age-Szene, sondern um wirklich funktionierende Techniken, um zu verhindern, dass die Hoffnung auf Heilung in eine Sackgasse führt und eine Aufwertung der Zuversicht zu erreichen.
Kernpunkt der Affirmationstechnik und der Mantra-Meditation ist das wiederholte Rezitieren bestätigender Formeln. Sie können es auch als heilige Worte oder Verse betrachten.
Die Theorie hinter der Affirmationstechnik besagt, dass das menschliche Unterbewusstsein alles glaubt, was ihm gesagt wird. Dieser Teil unseres Verstandes unterscheidet nicht zwischen Wahrheit und Lüge, Sinn und Unsinn. Wenn Sie in Ihrer Kindheit oft genug gehört haben, dass Sie zu klein, zu groß, zu dick, zu dünn, zu schön oder zu häaaslich sind, wenn man Ihnen immer wieder eingetrichtert hat, dass sie dumm sind oder Sie als Niete bezeichnet wurden, so wie ich von einem Lehrer, fangen Sie an, das zu glauben. Und steckt der Stachel einmal im Fleisch, wird er zu einem Keil, der Ihnen das Herz bricht.
Es ist überall ein Sprung drin, hat Leonard Cohen gesungen. There' s a crack in everything. Und tatsächlich leben wir in einer Zeit, in der die Keile immer tiefer zwischen die Menschen geschlagen werden, immer mehr Polaritäten entstehen oder gemacht werden. Wirhaben es alle schon gehört. Die Reichen werden reicher, und die Armen ärmer. Wir werden von negativen und verdummenden Werbebotschaften regelrecht bombardiert, und in Unterhaltungsshows wird an Ekel und an die niedersten Instinkte appelliert. Holt mich hier raus!
Genug der Binsenweisheiten und Verallgemeinerungen, aber das wollte raus. Kommen wir zurück zu der Neuprogrammierung des Unterbewusstseins. Ich will gar nicht zuviel an angelesenen Weisheiten verbreiten und so tun, als wäre ich ein Universalgelehrter.
Jede Philosophie ist für mich nur dann sinnvoll, wenn sie anwendbar ist. Und so schreibe ich meine Tipps zur Anwendung von Affirmationen und Mantras nicht als theoretische Abhandlung, sondern aus eigener praktischer Erfahrung. Gelesen habe ich viel, aber geholfen hat immer nur das, was ich selbst ausprobiert habe.
Und das sieht so aus:
Zuerst entspanne ich mich. Ich setze oder lege mich bequem hin, versuche so locker wie möglich zu sein, schließe die Augen, atme ruhig, zähle meine Atemzüge und beginne dann, meine bewährten Affirmationsformeln innerlich aufzusagen. Finden Sie bei der Formulierung Ihrer Affirmationsmantras Ihren eigenen Denk- und Atemrhythmus. Fühlen Sie sich wohl dabei. Sie können dabei auch lächeln. Die Muskelbewegung des Lächelns setzt im Hirn Glückshormone frei. Lächeln Sie auch sonst immer wieder mal, selbst, wenn Ihnen gar nicht danach zumute ist. Sie werden sehen, Sie fühlen sich sofort besser, auch, wenn es nur ein kleines Bisschen ist.
Wie Sie auf einfache und effektive Art einen Entspannungszustand erreichen können, lesen Sie in meinem Blog-Artikel "Meine Meditation macht Mut."
Eine Affirmation ist eine gedachte oder gesprochene Formel, die dazu führen soll, dass man sich besser fühlt. Wenn wir uns konstant positive Nachrichten einsagen, beginnt unser Unterbewusstsein, sie zu glauben, und schließlich werden wir zu dem, was wir denken und was wir glauben.
Aber das Unterbewusstsein hört nicht nur auf die Worte, die man zu ihm spricht, es speichert auch die damit verbundenen Gefühle ab. Darum müssen Sie bei der Anwendung Ihrer Affirmationsmantras in einem entspannten Zustand befinden. Einige Autoren behaupten, man müsse sich wohl fühlen oder glücklich sein, damit die Affirmationen auch wirken. Ich aber frage mich, wozu brauche ich die Affirmationen dann noch? Ich wende sie an, damit sich mein Zustand verbessert, nicht, obwohl ich mich schon gut fühle.
Wenn Sie ein unglücklicher, verzagter, ängstlicher Mensch sind, können Sie sich nicht richtig wohl fühlen. Der Rat "Fühlen Sie sich wohl, dann geht' s Ihnen besser" ist also völlig absurd.
Aber Sie können sich entspannen. Und wenn Sie nicht einmal das können, dann können Sie sich zumindest soweit beruhigen, dass sie wieder einen einigermaßen klaren Kopf haben. Dann können Sie mit der Programmierung Ihres Unterbewusstseins beginnen und Ihre Affirmationsmantras anwenden.
Ein Zeitraum von fünf- bis fünfzehn Minuten ist ideal für die Affirmationsmeditation. Oder wiederholen Sie die Affirmationen einfach so lange, bis Sie müde werden. Was eine Zahl betrifft, empfehle ich, jede Formel mindestens 100 mal zu wiederholen. Zählen Sie dabei nicht mit, das würde Sie nur ablenken.
Wenn Sie etwas zählen wollen, machen Sie eine einfache Entspannungsübung, indem Sie sich darauf konzentrieren, Ihren ganzen Körper von oben bis unten zu entspannen. Fangen Sie mit der Kopfhaut an, dann die Stirn, das Gesicht, den Mund, die Brust, die Arme, den ganzen Oberkörper, das Becken, die Beine und schließlich die Füße. Am besten machen Sie das im Liegen, wenn Sie aber gerade keine Gelegenheit haben, sich hinzulegen, geht es auch im Sitzen.
Atmen Sie ruhig und gleichmäßig durch die Nase und zählen Sie Ihre Atemzüge beim Ausatmen. Sie können sich dazu die Zahlen vorstellen. Mehr dazu in meinem Blogartikel "Meine Meditation macht Mut". Ich wende diese Form der Entspannung seit über zwanzig Jahren täglich an, und sie hat mir über so manche schwere Zeit und einige schreckliche Erlebnisse hinweggeholfen.
Affirmationen oft zu wiederholen ist gut, aber übertreiben Sie nicht. Es darf nicht zum Zwang werden. Denken Sie immer daran, dabei entspannt zu sein. Und wenn Sie sich wirklich wohl fühlen und die Zeit dazu haben, ist das natürlich der ideale Moment, Ihre Mantras aufzusagen.
Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht, mindestens eine meiner Lieblingsaffirmationen nach dem Aufwachen, während des Tages und vor dem Einschlafen anzuwenden. Sowie bei Bedarf in stressigen Situationen. Das Affirmieren vor dem Einschlafen finde ich am Wirkungsvollsten. So programmiere ich mich für den nächsten Tag. Meistens funktioniert es. Und wenn nicht, war ich nicht entspannt oder nicht achtsam genug.
Denken Sie sich: "Ich freu' mich auf den neuen Tag."
Wenn Sie sich unsicher fühlen oder Angst haben, denken oder flüstern Sie: "Ich vertraue dem Leben."
Für langfristige Angsbewältigung: "Ich bin völlig entspannt und frei von Angst."
Sie können nur eine Affirmation nehmen und diese immer wieder wiederholen. Tun Sie das so lange, bis Sie an das glauben, was Sie sich vorsagen. Die andere Möglichkeit ist, sich eine Liste mit einigen Affirmationen einzuprägen und die dann immer wieder zu denken oder zu sprechen.
Außerdem ist es sehr wirkungsvoll, die Affirmationen auf eine Audioquelle zu sprechen. Am besten eignet sich heutzutage dafür natürlich das Handy. Wenn Sie ein Smartphone haben, können Sie Ihre Lieblingsaffirmationen draufsprechen und per Abspielwiederholung so ofthören, wie Sie wollen. Es ist aber empfehlenswert, eine Dauer von fünfzehn Minuten nicht zu überschreiten. Auch positives Denken kann mit der Zeit anstrengend werden, und gerade beim Affirmieren sollte man stets achtsam und aufmerksam sein. Es gibt sogar eigene Apps für das Aufnehmen von Affirmationen.

Hier einige Beispiele für allgemeine Affirmationen:

• Ich bin ruhig und gelassen.
• Ich bin ruhig und fühl' mich wohl.
• Ich bin selbstbewusst und stark.
• Ich verdiene nur das Beste.
• Ich kontrolliere meine Gefühle.
• Ich kontrolliere meine Angst.
• Ich kann alles erreichen, was ich will.

Experimentieren Sie! Formulieren Sie Ihre eigenen Affirmationen und Mantras und wenden Sie sie regelmäßig an. In der regelmäßigen Wiederholung liegt das Geheimnis des Erfolgs. Unser Hirn braucht mindestens 21 Tage, um eine Erkenntnis zur Gewohnheit zu machen. Vielleicht geht es bei Ihnen ja auch schneller oder es dauert länger, aber eines können Sie mir glauben: Nur, wenn Sie Ihre Affirmationen regelmäßig, jeden Tag anwenden, werden Sie mit der Zeit die Früchte Ihres Erkenntnisbaums pflücken.
Unser Unterbewusstsein ist wie ein Acker.
Wir ernten, was wir säen.

Hier einige Tipps zum Erstellen und Anwenden Ihrer Affirmationsmantras:

• Die Affirmation soll kurz und einfach sein. "Ich bin bald ganz gesund."
• Die Affirmation soll beim Einatmen und Ausatmen gedacht oder gesprochen werden.
  Einatmen: "Ich bin..." Ausatmen: "...bald ganz gesund".
• Die Affirmation soll in der Gegenwartsform formuliert werden. "Ich bin bald ganz gesund" statt "Ich werde wieder gesund".
• Die Affirmation soll mit positiven Worten formuliert werden. "Ich bin bald ganz gesund" statt "Ich will nicht mehr krank sein".
• Nutzen Sie bei jedem Affirmationsvorgang nur eine Affirmation.
• Wiederholen Sie jede Affirmation mindestens dreißig Mal. Öfter ist besser.
• Wenden Sie diese Technik jeden Tag an. Auch, wenn es Ihnen gut geht. Gerade dann.
• Meditieren Sie Ihre Lieblingsaffirmation vor dem Einschlafen und nach dem Aufwachen.

In dem Satz "Ich will nicht mehr krank sein" befinden sich gleich zwei negative Wörter. Nicht und krank. Ganz und gesund klingt doch viel schöner, oder? Es kommt also darauf an, das Unterbewusstsein konstant mit positiven Glaubenssätzen zu füttern. Soul food to go, sozusagen. Um wieder gehen zu können. Die meisten GBS-Patienten haben gelähmte Beine. Lange Zeit.
Viel Zeit zum Meditieren und Affirmieren. Selbstverständlich können Sie das auch tun, wenn Sie nicht am Guillain-Barré-Syndrom erkrankt sind. Ich nutze diese Techniken schon seit mehr als zwanzig Jahren, und sie haben mir auch nach dem Ausbruch meiner Erkrankung im Jahr 2013 sehr dabei geholfen, meine Zeit als Kopf ohne Körper zu überstehen, ohne dabei Schaden an meiner Seele zu nehmen.
Abschließend schreibe ich Ihnen noch meine Lieblingsaffirmationen auf. Kurz, knapp, wirkungsvoll. Probieren Sie sie aus. Sie können dabei nichts falsch machen.
Oh, schon wieder zwei negative Formulierungen. Nichts und falsch. Da kann man mal sehen, wie sehr wir von unserer negativ denkenden Angstgesellschaft geprägt sind.
Prägen Sie sich neu.
Machen Sie nicht nichts falsch, sondern alles richtig!
Es geht doch, und es hat Sinn! Mach Dich neu!

Meine Lieblingsaffirmationen:

• Ich bin eine starke Persönlichkeit.
• Ich bin völlig entspannt und frei von Angst.
• Ich bin bald ganz gesund.
• Ich lasse meine Ängste los.
• Ich vertraue dem Leben.
• Ich freu' mich auf den neuen Tag.
• Ich schaffe alles, was ich will.
• Ich bin mutig. Ich bin stark. Ich bin glücklich. Ich bin frei.
• Ich kämpfe für mein Leben und werd' immer alles geben.
• Jeden Tag geht es mir in jeder Hinsicht immer besser und besser.

Ich danke Ihnen für das Lesen meines Blogs und wünsche Ihnen viel Erfolg beim Anwenden der Affirmationsmantras. Sie können nur davon profitieren. Wenn es nicht auf Anhieb klappt, machen Sie weiter.
Es wird funktionieren! Ganz bestimmt!
Egal, ob Sie gesund oder krank sind, tun Sie' s auf jeden Fall! Und wenn Sie sich schlecht fühlen oder Angst haben, tun Sie' s trotzdem! 
Nur eines tun Sie bitte nicht:
"Geben Sie nie, nie, niemals auf!"

Markus G. Pärm
Altenhof am Hausruck im Februar 2015