Samstag, 22. Oktober 2016

Mein GBS - Ursache und Update

Na also, jetzt haben wir es endlich schwarz auf rosa. Im Standard steht's, also stimmt's auch. Das Bakterium, das die Krankheit Guillain-Barré-Syndrom auslöst ist identifiziert und der Grund ist jetzt auch bekannt.
Gewusst hat man das schon seit längerem, alle möglichen Bazillen und Viren standen in Verdacht, sogar ein Impfschaden bei der Grippeimpfung wurde vermutet, oder irgendetwas, das man durch die Nahrung aufnimmt.

Wer hat's gefunden? Die Schweizer!

Forscher aus Zürich haben bestätigt, was man in der Neurologie schon lange vermutet hatte: Das heimtückische Guillain-Barré-Syndrom entsteht durch den Angriff des Immunsystems auf ein Bakterium, das normalerweise Lungenentzündungen auslöst. 

Mycoplasma pneumoniae heißt der Schurke, der eine zum Verwechseln ähnliche Struktur mit der Myelinschicht des Nervensystems hat. Das Immunsystem will eine gute Tat tun, frißt das Bakterium auf und die Myelinschicht der Nerven gleich mit. Folge: Lähmung am ganzen Körper.

Wie man das Guillain-Barré-Syndrom am besten ausheilen kann, ist noch nicht bekannt, aber da es die Schweizer entdeckt haben, versuche ich es einfach mal mit Toblerone. Wobei, ausgeheilt ist es bei mir ja schon. Ich habe zwar noch keine Kontrolle über den Peronäusnerv, der für die Vorfußhebung zuständig ist, aber ich kann mit einem Gehbock und orthopädischen Schuhen, die aussehen, als hätte Django zviel Wasser in den Füßen, von meinem Zimmer bis zum Kaffeetisch gehen. Das sind zwar nur ein paar Meter durch einen Gang und zweimal um die Ecke, aber es kostet mich noch immer viel Kraft. Dafür fühle ich mich dabei sicher, und meine Angst hinzufallen und dann den Rest meines Lebens durch einen Genickbruch am ganzen Körper gelähmt zu sein, ist fast verschwunden.

Die Angst geht zwar immer mit wie ein zweiter Schatten, aber in letzter Zeit denke ich mir immer "Lieber hinfallen als hinsetzen!" Jetzt muss ich nur noch damit beginnen, mich selbst soweit zu quälen, dass ich aus dem E-Rolli mehrfach aufstehe, um weitere Strecken gehen zu können. Das tue ich gerade nicht, weil mein Physiotherapeut seit sieben Wochen im Urlaub ist.

Ich habe also jeden Grund, zufrieden zu sein. Bin ich auch. Endlich weiß man genau, wie das Guillain-Barré-Syndrom entsteht. Vielleicht gelingt es ja wirklich, ein Heilmittel zu entwickeln, das die Krankheit gezielt bekämpft. Bisher konnte man nicht viel mehr tun, als Immunglobuline zu injizieren. Möglicherweise wird es sogar eine Impfung gegen GBS geben, damit zukünftigen Generationen erspart bleibt, diesen elendigen Weg zu gehen.

Aber wenn man nicht alleine ist, den Mut nicht verliert und so viel Hilfe und Verständnis bekommt wie ich, kann man auch das bewältigen. Man glaubt gar nicht, wie stark die Selbstheilungskräfte des Körpers sind. Als ich vor dreieinhalb Jahren in einem riesigen Bett auf der Intensivstation lag und gerade erfahren hatte, dass ich vom Kopf bis zu den Füßen komplett gelähmt war, habe ich darüber nachgedacht, wie ich das alles aushalten soll, was mir noch bevorsteht, wie lange es dauern wird und ob ich überhaupt jemals wieder mehr von meinem Körper werde bewegen können als den Kopf ein Stück nach links und ein Stück nach rechts.

Fast dreieinhalb Jahre sind inzwischen vergangen, und das einzige, was mich noch immer daran hindert, ohne Hilsmittel auf den eigenen Füßen gehen zu können, ist meine fixe Idee, dass ich durch das Training Schmerzen auslösen könnte, die nie wieder aufhören, oder, dass ich vielleicht doch hinfallen könnte. So hat alles angefangen, im Juni 2013.

Ich war noch Zuhause, wollte gegen Mitternacht ins Bett gehen, habe einen falschen Schritt gemacht und bin in einer Art Grätsche am Boden gelandet. Jeder Versuch aufzustehen war vollkommen vergeblich. Es war einfach nicht möglich, so viel Kraft aufzubringen, um mich wieder auf die Beine zu kämpfen und ins Bett zu legen. Also habe ich mich mit den Armen am Fußende des Bettes hochgestemmt, das rechte Bein angewinkelt und es auf diese Art irgendwie ins Bett geschafft.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon seit einigen Monaten ernsthafte Schwierigkeiten mit dem Gehen, aber das hatte nichts mit dem Guillain-Barré-Syndrom zu tun. Das habe ich mir erst einige Tage vor dem Zusammenbruch zugezogen. Nein, ich war einfach zu übergewichtig, um mich normal bewegen zu können, also saß ich auf meinem Fernsehsessel und stand nur auf, wenn es unbedingt sein musste. So wurde meine Muskulatur schwächer und schwächer, während mein Gewicht höher und höher wurde.

Schließlich kam noch die Lähmung durch das Guillain-Barré-Syndrom dazu. Einige Tage vor dem Zusammenbruch hatte ich einen starken Schnupfen und konnte durch die Nase nur mit Hilfe von Nasentropfen atmen, und das auch nicht richtig.

Das wird wohl das Mycoplasma pneumoniae gewesen sein. Dessen struktureller Aufbau ähnelt der isolierenden Myelinschicht des Nervensystems so stark, dass das Immunsystem den Unterschied nicht erkennen kann. Das Immunsystem ist bei diese Erkrankung also nicht geschwächt, sondern sogar stark und tüchtig. Es leistet ja schließlich ganze Arbeit. Leider gibt es keine Instanz im Körper, der auffällt, dass das Immunsystem dabei ist, den ganzen Körper lahmzulegen, inklusive der Lunge. Weder das vegetative Nervensystem, noch die Amygdala, das Kleinhirn, bemerken etwas.

So frißt das Immunsystem die isolierende Schicht der Nervenbahnen auf, die dafür sorgt, dass die elektrischen Impulse, die vom Hirn zu den Gliedmaßen unterwegs sind nicht unterwegs verloren gehen. Als würde man den Gartenschlauch verbrennen und sich dann wundern, dass die Blumen vertrocknen.

Die Myelinschicht wächst wieder nach, aber das dauert Jahre. In meinen Füßen ist sie offenbar noch immer nicht wiederhergestellt. Trotzdem: Ich nähere mich mit immer größeren und schnelleren Schritten der wunderbaren Welt der Walker. Nein, ich bin kein Zombie. Aber lange Zeit habe ich mich so gefühlt.

Jetzt bin ich nicht mehr vom Hals bis zu den Zehen gelähmt. Ich kann mich normal und ohne Einschränkungen bewegen, nur die Füße kann ich noch nicht anheben. Aber ich bin jetzt nicht mehr so pessimistisch wie früher. Ich glaube fest daran, dass ich es schaffen werde, das Gleichgewicht zu halten und nicht mehr nach hinten umzukippen, wenn ich den Gehbock auslasse, um das freie Stehen zu üben.

Wie lange das noch dauern wird, weiß ich noch nicht. Ich weiß auch nicht, ob es durch Training alleine möglich sein wird. Ende November steht mir eine kleine Handoperation bevor. Die Sehnen des rechten Ringfingers und des kleinen Fingers sind so stark verkürzt, dass man diese Kontrakturen nicht durch Ergotherapie alleine auflösen kann. Diese Verkürzungen sind wohl durch falsche Lagerung schon in der Akutphase und den Wochen danach entstanden. Damals konnte ich meine Finger aber alleine nicht strecken. Sie waren zwar nicht verkrümmt, aber gelähmt und zu Fäusten zusammengezogen. Das ist ungewöhnlich, da es sich bei Guillain-Barré nicht um eine spastische Lähmung handelt. Selbst, als ich meine Arme wieder bewegen konnte, war es mir unmöglich, meine Finger aktiv auszustrecken. Das konnte ich erst zwei Jahre später, als ich schon in Altenhof war. Warum die Sehnen nur in diesen beiden Fingern so stark verkürzt sind, weiß ich nicht.

Ich habe im Laufe des letzten Jahres sehr große Fortschritte gemacht, und heute, bei meiner täglichen Gehübung, hatte ich das Gefühl, als würde ich den Gehbock gar nicht mehr brauchen, so sicher habe ich mich dabei gefühlt. Glücklicherweise habe ich dem Impuls, ihn einfach auszulassen, widerstanden, denn dann wäre ich nach hinten umgekippt. Diplomschwester Monika fuhr zwar meinen E-Rolli hinter mir her, aber es wäre doch ein Rückschlag für mich gewesen.

Ich will jetzt aber nur noch Fortschritte. In den letzten fünf Wochen habe ich mir das Gehen mit meinen orthopädischen Schuhen selbst beigebracht. Es war zwar immer eine Begleitperson dabei, aber lernen musste ich es selbst. Am Anfang dachte ich, dass ich es niemals schaffen würde, damit auch nur einen Meter weit zu gehen. Die Spitzen der Schuhe waren rutschig, und die Dinger waren unglaublich klobig. Dafür konnte ich mit den Fußgelenken nicht seitlich wegkippen und habe zumindest einen gewissen Halt vor dem Umfallen. Inzwischen habe ich mich an all das gewöhnt. Ein weiteres Problem, das mich fast zur Verzweiflung getrieben hat, waren die Fugen zwischen den Fliesen am Boden vor meinem Zimmer. Ich hatte im linken Bein nicht genug Kraft, diesen schweren Schuh hoch genug anzuheben, um nicht an den Fugen hängen zu bleiben. Auch das hat sich mittlerweile gelegt.

So, das war wieder einmal ein Blogbeitrag von mir nach längerer Pause. In letzter Zeit war mir alles zu stressig, um regelmäßig zu bloggen. Aber jetzt habe ich wieder etwas zu erzählen, und ich hoffe, dass ich anderen Betroffenen des Guillain-Barré-Syndroms damit wertvolle Informationen geben und Hoffnung spenden kann. Ich hatte am Anfang meiner Krankheit keinerlei Erfahrungsberichte von anderen Patienten zur Hand. 

Allein das ist Grund genug für mich weiterzubloggen, obwohl ich in letzter Zeit schon viele andere Beschäftigungen habe. Die Krankheit Guillain-Barré-Syndrom ist nicht mehr der Mittelpunkt meines Lebens. Und die Entdeckung der Ursache für meine Lebensgeschichte der letzten dreieinhalb Jahre ist es wert, wieder einmal mit meinen Zeigefingern in die virtuellen Tasten meines iPads zu hauen.

Also, liebe GBS-Leidensfreunde, Kopf hoch, Hände hoch, Beine hoch, aber am allerhöchsten soll euer Mut sein weiterzumachen, nicht aufzugeben und sich nicht mit dem Schicksal abfzufinden. Zufrieden zu sein ist kein Lebenszweck. Auch, wenn es oft mühsam, beängstigend, scheinbar hoffnungslos, todtraurig und zum Verzweifeln ist, so steht für jeden Menschen mit Guillain-Barré-Syndrom der Weg auf eigenen Füßen in ein neues Leben offen. 

2 Kommentare:

  1. Hallo, meine Güte es ist ganz schön beängstigend zu lesen wie lange es doch dauert. Mein Mann hat das gbs ist jedoch glücklicherweise in Früh Reha. Ich denke dein Blog wird ihm helfen.

    Alles Gute

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  2. Hallo, meine Güte es ist ganz schön beängstigend zu lesen wie lange es doch dauert. Mein Mann hat das gbs ist jedoch glücklicherweise in Früh Reha. Ich denke dein Blog wird ihm helfen.

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