Samstag, 15. April 2017

Das lächelnde Hirn

Ich habe gelernt, dass selbst in Phasen der Hoffnungslosigkeit die Muskelbewegungen eines einfachen Lächelns das Hirn dazu zwingen, Glückshormone auszuschütten. Es klingt verrückt, ist aber wahr und funktioniert tatsächlich. Man braucht keinen Grund, um zu lachen. Allein die Bewegung der Gesichtsmuskulatur verbessern die Stimmung. Besonders, wenn man niedergeschlagen ist und nicht mehr an Besserung glaubt, hilft es, die Mundwinkel zu einem Lächeln zu bewegen. In diesem Moment wird durch die Signale der Muskeln Serotonin freigesetzt, das berühmte Glückshormon. Mir hat es schon in Momenten der größten Angst geholfen.

Mein Tipp: Wenn Sie traurig sind, lächeln Sie einfach, und Ihr Hirn lächelt mit.

Die bewusste Konzentration auf positives Denken, also die Vorstellung des bestmöglichen Ausgangs einer beängstigenden Situation, erschafft im Hirn neue Gewebestrukturen. Nicht nur die persönliche Einstellung zu den Problemen verändert sich, sondern auch die Hirnanatomie. Wer sich dazu zwingt, positiv zu denken und das Glück als Selbstverständlichkeit zu betrachten, programmiert sein Hirn geradezu auf Optimismus und Lebensfreude. Die Leichtigkeit des Seins wird nicht nur erträglich, sondern zur Gewohnheit. Genauso, wie das negative Denken und die selbsterschaffenen Horrorszenarien von der eigenen Zukunft zur Angewohnheit wurden, wird die Zuversicht zur vorherrschenden Denkweise.

Alle Ängste sind erlernt. Nur die beiden Urängste nicht. Die Angst vor dem Fallen und die Angst vor plötzlichen lauten Geräuschen sind genetisch einprogrammiert. Die Furcht vor Krankheiten, Schmerzen, Spritzen, Zahnärzten, Unfällen, Hunden, Schlangen, Spinnen und dem Tod sind Ängste, die der Mensch im Laufe seines Lebens erlernt. Und was man gelernt hat, kann man auch wieder vergessen. Es stimmt nicht, dass wir mit unseren Ängsten weiterleben müssen. Wir können durch eine positive Lebenseinstellung, Meditation, Humor und viele andere Techniken lernen, unsere Ängste neu zu betrachten und zu bewerten. Beispielsweise können wir traumatische Erinnerungen in unserer Phantasie auf absurde Weise übersteigern und uns darüber lustig machen. Selbst ein schmerzender Blähbauch verliert seinen Schrecken, wenn man daran denkt, ihn als Wärmekraftwerk zu nutzen. An meinen Stoma müsste man nur eine Pipeline anschließen, und man könnte Altenhof den ganzen Winter beheizen.

Mir hat all das sehr geholfen. Es wird sicher bei jedem Menschen anders sein, aber es gibt den Weg in die Befreiung von Angst und Pessimismus. Es ist kein leichter Weg, und man verliert oft den Boden unter den Füßen, aber er steht jedem Menschen offen, wenn er die Richtung erkennt. Es ist nämlich kein Fluchtweg. Er führt nicht aus einem Gefängnis in die Freiheit. Man wird auch nicht gerettet. Es ist ein dunkler Pfad, und man ist darauf vollkommen allein. Niemand kann einen auf dieser Reise begleiten, höchstens beobachten und anfeuern. Die Schritte muss man selber setzen. Es ist ein Weg, der in zwei Richtungen führt. Aber er ist keine Weggabelung. Kein entweder oder, kein Licht oder Schatten. Er führt zugleich in zwei verschiedene Richtungen, die in Wirklichkeit aber nur eine einzige sind.

Der Weg führt weit hinaus in eine fremde, aber aufregende Welt, und zugleich leitet er einen tief ins innerste Selbst. Staunend erkennt man, dass es zwischen innen und außen gar keinen Unterschied gibt. Der Blick in den Abgrund enthüllt das eigene Gesicht. Man erkennt sich nicht, wie man gerne wäre, sondern wie man wirklich ist. Du erzitterst beim Betrachten deines eigenen Gesichts, und obwohl du dich zu einem Lächeln zwingen musst, ist es doch ein wunderschöner Anblick. 

Nur mit dem Aufstehen mit Krücken klappt es noch nicht so recht. Ich traue mich nicht, mich weit genug nach vorne zu beugen und dabei ein bisschen Schwung zu nehmen. Obwohl mein Physiotherapeut Wolfgang direkt vor mir sitzt. Er hat selbst in etwa meinen Körperumfang und mein Gewicht und könnte mich leicht auffangen und in den E-Rolli zurückbefördern. Ich könnte den Aufstehversuch auch neben dem Bett machen, damit ich weich falle, aber ich muss Wolfgang recht geben. Ich muss das von Anfang richtig lernen. Rein technisch klingt alles so einfach. Seit wir im April 2014 mit der Physiotherapie begonnen haben, predigt Wolfgang, ich muss meinen Schwerpunkt über die Unterstützungsfläche bringen. Mit anderen Worten, den Arsch weit weg vom Rollstuhl. Und dann mit einem kraftvollen Schwung aufstehen. So, wie ich es mein ganzes Leben gemacht habe.

Trotz dieser Schwierigkeiten bin ich zuversichtlich, dass mir das auch noch gelingen wird. Ich habe es mit dem Rollator und dem Gehbock geschafft, also wird es mir auch mit den beiden dunkelblauen Krücken gelingen. Der nächste Schritt auf meinem Weg ist dann das gehen mit Krücken über längere Strecken. Von meinem Zimmer in den Speisesaal. Das dürften ungefähr hundert Schritte sein. Dann sicher im Freien, vielleicht hinüber ins Hauptgebäude. 

Und schließlich, wenn ich fit und sicher genug bin, das ganze nochmal von vorn. Ohne Krücken. Auf eigenen Beinen. Angstfrei. Schnell.

Noch ist das Zukunftsmusik, und meine Schritte sind ziemlich atonal, aber irgendwie ist mir trotzdem jetzt schon zum tanzen zumute.

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