Samstag, 7. April 2018

Kurz vor Frühling


        

Kurz vor Frühling. Eigentlich ja schon seit zwei Wochen, aber noch blüht nichts. Zu kalt, sagt meine Tante. Stimmt wohl. Wenn es wärmer wird: Grüne Wiesen und Bäume , bunte Sträucher, Blumen und klarer Himmel. Sonne. Wärme. Farben.  Die Winterseele aufwärmen. Vom ewigen Leben träumen
. Auf Gesundheit hoffen. Ans gehen denken. Früher, früher. Damals. Mit den nackten Füßen auf Beton. Wie schön. Gehen auf Kopfsteinpflaster. Die Natur ist schön. Im Gras stehen. Aber unerwartet tief in mir: Sehnsucht nach Asphalt. Gehen auf Straßen. Wohin? Egal. Geradeaus, um Kurven, um Ecken, über Gehsteigkanten. Früher selbstverständlich, nie darüber nachgedacht. Und nie gerne gegangen. Anstrengend. Übergewicht. Spöttische Blicke, zumindest eingebildet. Dick, unsportlich, wertlos. Mädchen lachen. Nicht dazugehörig. Bekannte, aber keine Freunde. Alleine. Denken. Viel denken, lesen, schreiben. Große Träume, kleiner Mut. Viel vorgehabt, nichts erreicht. Zeit. Noch viel Zeit. Noch jung. Dann immer weniger. Weniger Zeit, weniger Leben. Aber mehr Vergangenheit. Erinnerungen, Tage, Jahre, Jahrzehnte. Einige Leute von früher zwanzig Jahre nicht gesehen. Alles lange, lange her. Viel Zeit hinter mir. Aber alles wie gestern. Geliebte Menschen nicht mehr da. Nie wieder da. Doch die Straßen sind noch da. Und die Wiesen und die Bäume und die Häuser und die ganze Welt. Alles noch da. Wie unverändert. Zeitlos. Still. Ewiges Jetzt. Nur die Menschen rasen im Zeitraffer von der Wiege ins Grab. Asche unter einem Baum. Der Inbegriff bedingungsloser Liebe ist jetzt Asche unter einem Baum. Mutters Seele wohnt in einem Baum, und alle Blätter haben ihre Stimme. Tröstlich, irgendwie. Waldspaziergang. Blicke in die Natur beruhigen den Geist. Augenbewegungen. Spannungen lockern sich. Sorgen werden trüb. Stechen nicht mehr. Summen nur noch. Dumpf. Frühling macht alles neu. Wieder große Träume. Wieder Optimist. Alles wird gut. Nein. Alles ist gut, so wie es ist. Alles hat einen Sinn. Man muss zufrieden sein. Scheiß Zeitgeist. Hohle Phrasen. Plattitüden. Die Philosophie der neuen Zeit: Carpe diem. Nutze den Tag. Alles fließt. Jeden Tag leben, als wäre es der letzte. Dankbar sein. Ach, und zufrieden. Man kann' s eh nicht ändern. Man muss es akzeptieren. Man muss auch loslassen können. Irgendwie widersprüchlich, aber so ist die Philosophie der Hirntoten. Wisst ihr was? Loslassen ist leicht. Annehmen ist schwer. Hinnehmen. Auf sich nehmen. Kreuz tragen. Was uns nicht umbringt, macht uns stärker. Fuck Nietzsche. Zufriedenheit tötet! Anders denken. Nicht denken wie alle Anderen. Nur wie ich. Tot gewesen, wieder da. Und weiter? Sinn suchen? Sinn machen? Sinn sehen. Sinn haben. Sinn geben. Aber wem? Mir? Und wie? Die Natur hat keinen Sinn. Sie ist einfach. Den Dingen einen Sinn geben. Warum? Die Dinge geschehen einfach. Schwer zu glauben. Schwer zu akzeptieren. Die Dinge geschehen auch ohne Sinn. Das Leben ist eine Kettenreaktion aus Ereignissen. Eines führt zum anderen. Immer vorwärts, Schritt um Schritt. Auch ohne Sinn. Auch das tröstlich, irgendwie. Einfach weitergehen. Nicht zuviel nachdenken. Denken macht dumm. Denken macht Angst. Angst hindert mich am gehen. Will aber. Also weiter. Zuversichtlich bleiben. Wird schon wieder. Kurz vor Frühling.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hier ist Ihr Platz! Ich freue mich über Kommentare, Anregungen und Kontakte!