Samstag, 21. Februar 2015

Protokolle des Schmerzes

Was erwartet einen Menschen, der die Diagnose Guillain-Barré-Syndrom gestellt bekommt? Was steht Ihnen bevor, wenn Sie aufwachen und vom Kopf bis in die Zehenspitzen komplett gelähmt sind?
In meinem neuen Blog-Artikel beschreibe ich die Ereigniss der letzten eineinhalb Jahre meines Lebens im Telegrammstil.
Kurze Protokolle des Schmerzes, der Angst, der Trauer und der Hoffnung.
Es muss nicht jedem Menschen mit GBS genau so ergehen wie mir, aber meine Geschichte ist durchaus exemplarisch. Genaugenommen ist dies eigentlich kein normaler Blogartikel, sondern nur eine kurze Beschreibung meines Gesundheitszustandes, 21 Monate nach dem Ausbruch meiner Krankheit Guillain-Barré-Syndrom.
Sinn dieser Veröffentlichung ist, betroffenen Menschen, die selbst an GBS leiden, einen Überblick darüber zu geben, wie diese Erkrankung verlaufen kann.
Treten Sie also ein in mein Kopfleben. Nur zur Information: GBS kann jeder bekommen.
        Ohne Vorwarnung.
Darum das Wichtigste vorweg: Fürchtet euch nicht!

• Juni, Juli 2013: Zusammenbruch zu Hause, einige Tage später Einlieferung ins Krankenhaus. Intensivstation. Bewusstlos. Diagnose Guillain-Barré-Syndrom. Vom Hals abwärts bis zu den Zehenspitzen vollkommen gelähmt. Herzstillstand, Wiederbelebung, Darmsepsis, Leberblutungen, Notoperation, Nierenversagen, künstliche Beatmung, Dialyse, Immunglobuline, schöne Gespräche mit Seelsorgerin, Ergo- und Physiotherapie. Ich werde von Krankenschwestern gefüttert. Ich glaube, ich bin kein Mensch mehr. Immer durstig. Darf fast nichts trinken. Träume vom Wassertrinken. Angst, oneiroide Albträume der schlimmsten Sorte, Tränen, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit. Freude: Mama besucht mich! Spritzen zur Thrombosevorbeugung. Physiotherapeuten strecken meine Arme und Beine. Schmerzen. Träume vom Meer. Schön. Sehr langsame Besserung. Ich werde von Krankenschwestern gefüttert.

• August - Dezember 2013: Station für Neurologie. Ein Arzt sagt mir, dass ich vielleicht den Rest meines Lebens gelähmt bleibe. Ich denke mir: Jetzt bin ich nur noch ein Kopf. Weiterhin Therapien, Tabletten, Infusionen, Ängste, Psychotherapie. Freude: Mama besucht mich! Immunglobuline, Katheterwechsel, Antibiotika, noch immer komplett gelähmt mit der Fähigkeit, die Schultern ein bisschen zu bewegen. Ich werde von Krankenschwestern gefüttert. Freude: Mama besucht mich! Harnblasenkrämpfe die ganze Nacht, Angst, Ergotherapie, Physiotherapie in einem Pflegesessel, Katheterspülungen, Motomed-Training, um die Arme zu stärken, elektrische Beinschienen, die die Muskeln und Gelenke durchbewegen, Angst, schöne Gespräche mit Seelsorgerin, Fortschritte, kann linken Zeigefinger minimal bewegen. Freude: Mama besucht mich! Spritzen zur Thrombosevorbeugung. Katheterwechsel, Therapien schlagen an, kann meine Arme bewegen und mich im Bett ein wenig zurechtpositionieren, kann auf dem iPad tippen, Katheterspülungen. Freude: Mama besucht mich! Mehr Fortschritte. Entlassung aus dem Krankenhaus.

• Dezember 2013 - April 2014: Neurologisches Therapiezentrum Gmundnerberg. Eigenes Zimmer, schöne Aussicht, viel Therapie, Besserung, Rollstuhl, Hüftschmerzen, Katheterspülungen, Physiotherapie im Querbett. Ich werde von Krankenschwestern gefüttert. Elektrotherapie der Arme und Beine, kann Arme gut bewegen, Hände noch fast gar nicht, kann nicht greifen, lerne aber wieder selber zu essen und die Zähne zu putzen. Freude: Mama besucht mich! Antrag auf Reha-Verlängerung, Katheterwechsel, Motomed für die Arme, Querbettsitzen, Übungen für die Rumpfstabilität, Antrag auf Reha-Verlängerung, Ergotherapie, Spritzen zur Thrombosevorbeugung. Katheterspülung, Angst, aber nicht mehr so große, kaum Zuversicht, traurig, Keine Spritzen zur Thrombosevorbeugung mehr, Antrag auf Reha-Verlängerung, Aufstehübungen mit Gurt an einem Stehtisch, Internet auf dem iPad, dickes rechtes Bein, Tiefenvenenthrombose im Becken, Gefahr einer Lungenembolie, extreme Todesangst, Katheterwechsel, hohes Fieber, Bettruhe eine Woche lang, zurück in den Rollstuhl, wieder Anti-Thrombosespritzen, Antrag auf Reha-Verlängerung, Zirkumzision, Therapien, Zirkumzisions-Nachoperation, Angst vor Penisamputation, eine Woche Urologie. Freude: Mama besucht mich! Zurück zum Gmundnerberg, Katheterspülung, wenig Lebensfreude, starkes Blutverdünnungsmedikament, Teilexzision rechte Zehe, Antrag auf Reha-Verlängerung abgelehnt, Entlassung.

• April 2014 - Februar 2015: Behindertendorf Assista in Altenhof am Hausruck, eigenes Zimmer, Hauptwohnsitz. Viele liebe und lebensfrohe Menschen. Physiotherapie, Ergotherapie. Freude: Mama besucht mich! Ostern, Keilkissen gegen Hüftschmerzen, schmerzfrei innerhalb einer Woche, Aufstehübungen mit Stehlifter, Beinmuskulatur wird stärker, Angstanfälle, Katheterspülung, elektrischer Rollstuhl, Sommer, Sonnenbrand, Harnwegsinfekt. Freude: Mama besucht mich! Viel mit E-Rolli unterwegs, kleiner Zufluchtsort unter einer Buche, schreibe viel, Angst, Hoffnung, Katheterwechsel, Aufstehen aus dem Rollstuhl, Motorik der Hände wird besser, Freude über jeden Fortschritt, Hoffnung auf Heilung. Mama stirbt. Verabschiedung in Graz. Keine Hoffnung mehr. Große Trauer und Angst. Verzweiflung. Angstanfälle. Katheterwechsel, weitere freudlose Fortschritte. Mama ist tot. Ein Teil von mir auch. Aufstehen am Barren, freihändiges Stehen am Rollator, drei eigene Schritte vorwärts, Katheterspülung. Mama ist tot. Aufstehen aus dem Rollstuhl an zwei Stützen im Bad, völlig problemlos und angstfrei, keine Vorstellung von meiner Zukunft, mutlos, Angstanfälle, körperlich große Fortschritte, Glaube an Heilung wird immer schwächer, immer deprimierter, Angst. Mama ist tot. Wöchentliche Gesprächstherapie. Neue Hoffnung.

Momentan bin ich auf dem Stand, dass meine Angst schwächer und die Hoffnung auf vollständige Heilung stärker wird. Ich hoffe auch, dass es so weitergeht.
Mein Leben wird nie wieder so sein wie früher. Mein Vater und meine Mutter sind tot. Mit ihnen ist viel von mir gestorben. Freude ist nur noch eine Erinnerung.
Die schöne Zeit liegt hinter mir, aber wer weiß, vielleicht gilt für mich und jeden anderen Menschen mit dem Guillain-Barré-Syndrom:
Die schönste Zeit liegt vor mir!

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