Samstag, 14. März 2015

Antibiotika - Gegen das Leben?

Was tut man, wenn man sich als Patient überfordert fühlt? Wenn man nicht weiß, ob die Entscheidung eines Arztes richtig war? Nicht, weil er nichts von seinem Metier versteht, sondern, weil er einen als Patient gerade erst kennen gelernt hat.
Mir ging es kürzlich so mit einer jungen Ärztin, die als Vertretung meines Hausarztes zu mir kam. Sie war sympathisch, verständnisvoll und strahlte eine Aura der Kompetenz aus. Ich zweifle auch gar nicht daran, dass sie auf ihrem Fachgebiet sehr gut ist. Aber mein Hausarzt kennt mich mittlerweile schon seit einem Jahr, und er weiß nicht nur, dass meine Primärerkrankung das Guillain-Barré-Syndrom ist, sondern auch, dass ich doch immer wieder mit den einen oder anderen seelischen Problemen, sprich Ängsten, zu kämpfen habe.
Kurz zusammengefasst der Grund, warum diese Ärztin bei mir auf Visite war: Ich hatte einen leichten grippalen Infekt, kein Fieber, keine Kopf- oder Halsschmerzen, aber etwas Husten und ein allgemeines Gefühl der Abgeschlagenheit. Dazu noch einen leichten Harnwegsinfekt.
Nun ist es bei Harnwegsinfekten so, dass sie sich ausbreiten und über die Harnwege das Nierenbecken infizieren können, das sich dann entzündet. Das ist eine schwere Komplikation, die tödlich enden kann. Es war nicht mein erster Harnwegsinfekt, als Träger eines transurethralen Dauerkatheters ist das unvermeidlich. Eine latente Keimbesiedlung hat man dabei sowieso ständig. Solange man aber keine Schmerzen und kein Fieber hat, ist selbst ein HWI ungefährlich.
Dieser Harnwegsinfekt war nicht mein erster in den letzten eineinhalb Jahren, aber die Angst vor einer Nierenbeckenentzündung schwebt immer über mir. Im Zuge meiner GBS-Erkrankung wäre ich schon so oft fastgestorben, dass mich der Gedanke an den Tod sehr beängstigt. Er war mir schon viel zu oft viel zu nahe.
Also neige ich dazu, immer brav ja und amen zu sagen und alles abzunicken, was mir die Ärzte empfehlen oder verschreiben. Auch ein hochdosiertes Breitbandantibiotikum über einen Zeitraum von sieben Tagen.
Das Antibiotikum hatgewirkt, keine Frage. Sowohl der grippale Infekt als auch der Harnwegsinfekt verschwanden. Jeden Tag ein bisschen mehr.
Gleichzeitig aber passierte etwas, das ich als Nebenwirkungen des Antibiotikums betrachte. Ich wurde immer depressiver und verängstigter. Noch mehr, als ich es seit dem Ausbruch meiner Krankheit sowieso schon bin. Leider gehöre ich nicht zu den Menschen, die das Negative ignorieren und sich auf das Positivekonzentrieren können. Ich sehe das Gute durchaus, aber meine Freude an Genesung und Fortschritten wird immer von dunklen Gedanken überschattet.
Es ist, als würde ein nasskalter grauer Mantel über allem liegen. Er hüllt mich ein und nimmt mir meine Bewegungsfreiheit und die Luftzum Atmen. So fühle ich mich oft, aber dieses eine Antibiotikum hat diesen Zustand offenbar noch verschlimmert. Ich lag im Bett und wareingefangen in einem erdrückenden Gefühl der Beklemmung. Es war eine Bedrohung, die auf mich lauerte, die ich aber nicht in Worte fassen konnte. Ich wusste, dass ich an dem grippalen Infekt und dem HWI nicht sterben würde, aber trotzdem war diese Furcht allgegenwärtig. Dazu kamen noch kleinere Nebenwirkung wie der Verlust meines Geruchs- und Geschmackssinns, Müdigkeit, Benommenheit, Antriebslosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Depressionen und eine Pilzinfektion an der Haut der Oberschenkel.
All das hätte mich nicht gestört, wenn ich nicht ständig die Sense des Todes im Nacken gehabt hätte.
Aber man riet mir, das Antibiotikum über die verordnete Zeitdauer zu nehmen, also tat ich es. Zwar nahm ich mir am Abend vor dem Einschlafen vor, es am nächsten Tag abzusetzen, aber Krankenschwestern- und Pfleger sagten, es wäre besser, es zu Ende zu nehmen, damit sich keine Resistenzen bilden
Die meisten von uns kennen das: Wir haben eine entzündliche Erkrankung leichter- bis mittelschwerer Art wie eine Erkältung oder einen Harnwegsinfekt. Die Symptome sind nicht besonders stark, aber wir bekommen trotzdem Antibiotika verordnet.
Gut, zugegeben, ich weiß nich, ob Sie das kennen, aber ich genne es zur Genüge.
Nach Empfehlung der Ärzte sollte man Antibiotika mindestens sieben Tage lang einnehmen. Das vorzeitige Absetzen der Medikamente könne dazu führen, dass es zu einem Rückfall kommt, oder, dass sich Resistenzen bilden, das heisst, dass sich die Keime, die man eigentlich bekämpfen will an das Antibiotikum gewöhnen und es bei der nächsten Einnahme nicht mehr wirkt.
Nun gibt es aber Experten für Infektionserkrankungen, die diese Ansicht nicht vertreten und sogar als falsch betrachten. Einer davon ist Jan Prins vom Academic Medical Center in Amsterdam. Seiner Ansicht nach reichen bei den meisten Erkrankungen drei Tage Einnahme aus. Längeres Einnehmen eines Antibiotikums könne sogar zur Bildung von Resistenzen führen.
"Die Angst, dass semi-resistente Krankheitserreger im Körper zurückbleiben, ist unbegründet", sagt Jan Prins.
So können Sie es auf der Webseite medizinauskunft.de nachlesen. Hier der Link:
http://www.medizinauskunft.de/artikel/diagnose/krankheiten/Infektionen/13_06_antibiotika.php
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Was ich in diesem Blogartikel schreibe ist kein Aufruf zum Absetzen der Antibiotika, die Ihnen verordnet worden sind! Sie würden grob fahrlässig handeln, weil Sie die Folgen des Therapieabbruchs nicht abschätzen können. Aber handeln Sie eigenverantwortlich. Wenn die Nebenwirkungen sie so sehr quälen, dass sie Ihnen ein normales Leben unmöglich machen, sollten Sie sich unbedingt bemerkbar machen.
Kontaktieren Sie Ihren Arzt, sagen Sie es den Krankenschwestern und Krankenpflegern, Ihren Therapeuten oder den Menschen in Ihrem privaten Umfeld. Wenn Sie sich im Krankenhaus oder einer ähnlichen Einrichtung befinden und unter medizinischer Aufsicht stehen, beziehungsweise professionelle Hilfe jederzeit erreichbar ist, haben Sie es natürlich leichter, als wenn Sie alleine leben. Da ich noch nie in der Situation war, in medizinischen Krisenmomenten allein zu sein, kann ich Ihnen nicht genau sagen, was Sie in diesem Fall tun sollten. Auf jeden Fall sollten Sie immer die Möglichkeit haben, einen Notruf zu tätigen. Halten Sie Ihr Handy aufgeladen und griffbereit. Es gibt auch Armbänder mit einem Notrufknopf. Da erkundigen Sie sich am besten bei Ihrem Arzt.
Wenn Nebenwirkungen eines Antibiotikums oder anderen Medikaments Ihnen über Gebühr zu schaffen machen, verheimlichen Sie das auf keinen Fall. Sie müssen keine Angst haben, den Krankenschwestern oder Ärzten deswegen in den Ohren zu liegen. Man wird Ihnen gerne helfen.
Verlieren Sie das Vertrauen nicht! Denken Sie immer daran, dass professionelle Hilfe immer für Sie da ist. Machen Sie sich also bemerkbar. Und wenn sie vom Kopf bis zu den Füßen gelähmt sind und keinen Notrufknopf drücken können, schreien Sie! Auch, wenn Sie in einem Krankenzimmer sind und die diensthabende Schwester direkt vor der Tür steht.
Leider ist es so, dass viele Menschen kein Problem damit haben, nach Schmerzmitteln zu fragen, aber wenn sie seelische Probleme haben und Ängste durchleben, die einem das Gefühl geben, als wäre man in einem Eisblock eingeschlossen, haben sie plötzlich Hemmungen. Man spricht eben nicht über psychische Nöte. Die Hemmschwelle ist groß. Das war auch bei mir so. Ich habe monatelang meine Angstanfälle und quälenden Depressionen mit Worten beschrieben, wie "ich bin schlecht motiviert" oder "ich kann mich schlecht aufraffen". 
In Wirklichkeit hatte ich eine unglaubliche undefinierbare Angst. Angst davor, dass mir doch noch etwas passiert, nachdem ich schon so viel überstanden hatte. Angst, nie wieder gehen zu können. Und natürlich Angst zu sterben. Todesangst. Nicht nur als Nebenwirkung von Antibiotika oder anderen Medikamenten, sondern als ständige Begleiter auf meinem sogenannten Genesungsweg.
Körperlich ging es mir immer besser und besser, aber seelisch ging ich langsam zugrunde.
Wussten Sie, dass Antibiotika als Nebenwirkung Todesangst auslösen können? Ich auch nicht. Jetzt weiß ich es. Es ist eigentlich ja auch kein Wunder, denn das Wort Antibiotikum bedeutet "gegen das Leben".
Vielleicht sind Ängste für Männer ein größeres Problem als für Frauen. Ich glaube, dass Frauen leichter darüber reden können, aber wir Männer wollen Cowboys sein, und darum greifen wir gerne zur Flasche statt zum Telefonhörer, um Hilfe zu suchen. Früher, als ich noch gesund war, habe ich meine latenten Ängste und Sorgen, die mich nie richtig belastet haben, mit Hektolitern Bier weggespült. Das hat nicht nur meiner Figur geschadet, sondern auch meinem Selbstwertgefühl. Als ich dann am Guillain-Barré-Syndrom erkrankte und aufder Intensivstation die weiße Zimmerdecke betrachtete, war nicht nur das Bier aus meinem Leben verschwunden, sondern auch jegliches Selbstvertrauen und der Glaube an meine körperlichen und mentalen Fähigkeiten.
Ich wurde zu eine verängstigten Tier, das gewaschen und gefüttert werden musste.
Verstehen Sie bitte auch das nicht falsch. Man hat mich nicht so behandelt. Behandelt wurde ich wunderbar, sowohl medizinisch als auch menschlich, und ich werde mein Leben lang all den liebevollen und fleißigen Menschen dankbar sein, die mein Leben und meine Seele gerettet haben.
Aber gefühlt habe ich mich wie ein schiffbrüchiger in einem tosenden Ozean der Hilflosigkeit. Ich war vollkommen machtlos. Mein Kontrollverlust war absolut. Ich konnte nichts tun, wollen, beitragen oder gar entscheiden. Nicht einmal, ob ich ein Glas Wasser trinken durfte. Wegen der Dialyse. Psychologen sagen, dass es der Kontrollverlust ist, der für viele oder sogar die meisten Ängste verantwortlich ist, und ich stimme damit überein. Egal, ob man in einem Flugzeug sitzt oder gelähmt auf der Intensivstation liegt, es ist das Gefühl, total ausgeliefert zu sein, das einen so fertigmacht.
Genau das war immer der Kernpunkt meiner Angst. Dieses Gefühl, absolut nichts machen zu können. Egal, wie ich mich drehen oder wenden will, an allen Seiten stoße ich gegen eine undurchdringliche Mauer aus Eis. Es umschließt mich, es fesselt mich, es lässt mich erfrieren. Selbst jetzt, in einer Phase meiner Krankheit, in der die letzten Reste der Lähmung fast vollständig beseitigt sind, habe ich dieses Gefühl noch. Zuletzt wurde es durch das Antibiotikum ausgelöst.
Spatzenfutter. Das ist mein neues Wort für Antibiotika bei Infekten ohne Schmerzen und Fieber. Sieben Tage hochdosierte Breitbandantibiotika, die Übelkeit, Angst, Depressionen, Geruchs- und Geschmacksstörungen sowie Pilzinfektionen und Müdigkeit auslösen, sind nichts anderes als die berühmten Kanonen, mit denen man auf Spatzen schießt. Der Patient wird mit den Tabletten gefüttert, und es ist, als würde man ein Zündholz zum Löschen in einen Orkan werfen.
Und allgegenwärtig ist das Schreckensbild der Resistenz! Das Absetzen eines Antibiotikums ohne Zustimmung des Arztes sei gefährlich, unverantwortlich und unvernünftig. Mich erinnert das an Francisco de Goyas berühmtes Bild "Saturn frisst seine Kinder". Als würde das unvernünftige Absetzen eines Antibiotikums, das einen mehr quält als die letztlich harmlose Krankheit, die es ausheilen soll, sofort das Ungeheuer Resistenz auf die Bühne zaubern, das damit beginnt, die Gesundheit und das Leben des Patienten zu verschlingen.
Wenn man in der Früh aufwacht und das Leben nur noch ein bodenloser schwarzer Sumpf ist, sollte man beginnen, mit den Armen zu rudern und um Hilfe zu schreien. Ich war kurz davor, dieses Antibiotikum eigenmächtig abzusetzen, und ich kann Ihnen genau sagen, was mir, meinen Bronchien, meiner Lunge, Meiner Harnblase und dem schreckenumrankten Nierenbecken passiert wäre:
Nichts.
Es wäre schlicht und ergreifend nichts passiert, ausser, dass ich früher wieder hätte klar denken und wenigstens eine Erinnerung an frühere Lebensfreude empfinden können. Wissen Sie, was das für ein Gefühl ist? Wenn Sie sich zwar daran erinnern können, dass es sowas wie Lebensfreude gibt, aber Sie wissen nicht mehr, wie sie sich anfühlt?
Nein? Gut.
Glauben Sie mir: Die entfernte Erinnerung an Glück ist der kälteste Ort im Universum.

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