Samstag, 18. April 2015

Ein Freund, ein guter Freund

Eines vorweg: Ich bin der Falsche, um über dieses Thema zu schreiben. Ich bin ein mürrischer, verschlossener Einzelgänger, ein Poor Lonesome Cowboy, far away from home. Na ja, ganz so schlimm ist es zwar doch nicht, aber ich bin zumindest kein extrovertierter Mensch. Kein Pauken-und-Trompeten-Typ. Und ich gestehe gerne ein, dass ich selber nicht immer alles von dem beherzige, was ich hier empfehle.
Bevor ich an Guillain-Barré-Syndrom erkrankte, war ich gerne allein. Ich habe mich mit meinen kreativen Ideen beschäftigt, gezeichnet, gemalt, gelesen und geschrieben. Aber auch viel ferngesehen. Trotzdem hat es mir nichts ausgemacht. Ich habe schon immer die Stille gesucht und die Einsamkeit dem Jubel und dem Trubel unserer Unterhaltungs- und Partywelt vorgezogen.
Dementsprechend war mein Freundeskreis sehr klein und in den letzten zwanzig Jahren vor GBS oder noch länger, gab es gar keinen mehr. Ich konnte Freundschaften nie lange aufrecht erhalten, weil ich mich immer als Aussenseiter gefühlt habe. Ich war zwar nicht ausgegrenzt und habe mich immer mit allen gut verstanden, aber richtig ein Teil einer Gruppe war ich auch nie.
Wenn Sie auch so sind, und jetzt durch das Guillain-Barré-Syndrom auch noch in Ihrem eigenen Körper gefangen, werden Sie in diesem Artikel vielleicht Anregungen finden.
Kapseln Sie sich nicht ab!
Nutzen Sie jede Chance auf Gemeinschaft. Ich habe während den schlimmsten Phasen meiner Krankheit jeden in meinem Krankenzimmer gerne gesehen. Ärzte, Schwestern, Pfleger, andere Patienten, einfach jeden. Sogar die Leute draußen auf den Gängen. Ich habe den Gesprächen der anderen zugehört und konnte so meinem sorgenvollen Alltag ein bisschen entfliehen. Ansonsten hatte ich ja nur meinen Kopf, um ein angstfreies, lähmungsfreies Leben zu führen.
Wenn Sie ein kommunikativer Mensch sind, der schnell Freunde findet, werden Sie mit dem Finden von Gesellschaft sicher keine Probleme haben. Auch, wenn Sie noch in der Plateau-Phase sind und nicht mehr bewegen können als Ihren Kopf. Aber wenn Sie, so wie ich, eine Art Alm-Öhi ohne Alm und ohne Rauschebart sind, wenn Party für Sie ein Fremdwort ist und Sie nie von sich aus mit anderen Menschen ein Gespräch beginnen, sondern immer nur antworten und auch das mit knappen Worten, dann sollten Sie diese einmalige Chance, die Ihnen das Guillain-Barré-Syndrom bietet, nutzen.
Sie haben richtig gelesen! GBS nimmt Ihnen nicht nur viel und zerstört Ihr halbes Leben, es macht Ihnen auch reichlich Geschenke!
Ich bin tatsächlich etwas umgänglicher geworden, ich habe keine Scheu gegenüber Fremden mehr und freue mich sogar, wenn ich unter die Leute komme. Das war früher nicht so. Nie. Nicht einmal in der Kindheit.
In den letzten fast zwei Jahren habe ich so viele Menschen kennengelernt wie nie zuvor in meinem Leben. Ich glaube, mir ist keine Krankenschwester fremd. Ich hatte sie alle! Verstehen Sie das bitte nicht falsch...Unmengen von Patienten und deren Angehörige und Freunde habe ich kennengelernt, Ärzte und Ärztinnen, Pfleger, Therapeuten, Sanitäter vom Roten Kreuz, leicht und schwer erkrankte Patienten auf der Neuro, Therapeutinnen, Frauen von der Reinigung und viele mehr. Einige Schicksale haben mich tief erschüttert, andere gaben mir Hoffnung, viele Menschen habe ich bewundert oder auch bemitleidet. Manche haben mich sehr amüsiert, über wenige habe ich mich geärgert.
Aber eines hatten alle Menschen, denen ich begegnet bin, gemeinsam: Sie haben verhindert, dass ich ständig allein bin und mir dabei die Angst in die Knochen kriecht.
Wissen Sie, so ist das bei mir. Wenn ich alleine bin, kriecht mir die Angst in die Knochen. Ich höre sie in mir nagen und spüre ihre Kälte, die sich in meinem ganzen Körper ausbreitet und tausendmal mehr lähmt als das Guillain-Barré-Syndrom.
Kennen Sie dieses Gefühl?
Ich glaube, Sie kennen es. Sie kennen es sogar sehr gut. Fast könnte man sagen, die Angst ist zu unserem Freund geworden. Auf wahre Freunde kann man sich verlassen, nicht wahr? Nun, ich kann mich auf die Angst verlassen. Sie ist immer für mich da, auch, wenn ich sie nicht brauche. Und eigentlich brauche ich sie nie.
Wir Menschen brauchen die Angst eigentlich gar nicht mehr, seit die Säbelzahntiger ausgestorben sind. Angst als Warnsignal, um den Fluchtinstinkt zu aktivieren und damit unser Leben zu retten, ist in unserer modernen, überzüchteten, verwohlstandeten, überfressenen und versoffenen Unterhaltungs- und Partywelt nicht mehr nötig. Wenn ich mir unsere Welt so anschaue, frage ich mich oft, ob mir die Säbelzahntiger nicht doch lieber wären.
Trotzdem ist sie da, die alte Knochenkriecherin.
Wie können wir sie verjagen? Was brauchen wir dazu?
Die Antwort ist einfach.
Freunde.
Ich habe alle Ärzte, Krankenschwestern und anderen Menschen, denen ich täglich begegnet bin als meine Freunde betrachtet. Ich habe es ihnen zwar nicht gesagt, und es gab auch keine privaten Kontakte, bis heute nicht, aber wenn sie da waren, waren sie meine Freunde, und sie haben mir geholfen. Ich habe bei ihnen Trost gefunden, auch wenn sie mich nicht mit Absicht getröstet haben. Ich habe mich manchmal sogar gefreut, wenn eine Krankenschwester zu mir kam, um mir Blut abzunehmen. Was sie nicht wusste ist, dass sie mir mit dem Blut auch einen Teil der Angstkälte aus dem Körper zog.
Hoffentlich kriegen Sie keine Angst, wenn sie dies lesen. Na ja, ich habe eben einen Hang zum Drama. Aber alles, was ich schreibe ist wahr. Das alles ist mir passiert, das alles habe ich erlebt. Ich hoffe sehr, dass meine Blog-Artikel anderen Menschen, die an GBS oder einer anderen Krankheit leiden, weiterhelfen können.
Zögern Sie also bitte nicht, mir eine E-Mail zu schreiben oder einen Kommentar zu meinen Beiträgen zu verfassen. Auch die Meinung von Angehörigen interessiert mich sehr.
Und von Freunden.
Wenn Sie keine haben, finden Sie welche! Nicht suchen. Finden! Wenn Sie eher introvertiert sind, müssen die eigentlich fremden Menschen ja nicht wissen, dass Sie sie als Ihre Freunde betrachten. Ich bin ja einer, der immer glaubt, dass man ihn für aufdringlich halten könnte. Wenn Sie so ähnlich ticken wie ich
(und ganz ehrlich, das hoffe ich nicht für Sie, das hoffe ich für keinen Menschen auf der ganzen Welt),
glauben Sie das wahrscheinlich auch. Vergessen Sie' s. Sie sind nicht aufdringlich. Andere Menschen mögen Sie und möchten Ihre Freunde sein. Auch, wenn Sie es nicht glauben können.
Freuen Sie sich über jeden Menschen, den Sie kennenlernen. Alleine schon dadurch werden Sie sich besser fühlen. Wenn Sie sich im Spiegel sehen. Im Rollstuhl sitzend. Oder wenn Sie noch auf der Intensivstation liegen und fest davon überzeugt sind, dass Ihre Beine abgeknickt über dem Bettrand hängen, obwohl Sie gelähmt und ausgestreckt daliegen.
Also. Kapseln Sie sich nicht ab. Ziehen Sie sich nicht in Ihren Kopf zurück. Wenn Sie ein verschlossener Mensch sind, gibt Ihnen das Guillain-Barré-Syndrom die Gelegenheit, andere Menschen in Ihr Leben und in Ihr Herz zu lassen.
Dann wird die Krankheit zu einem Wegweiser. Und bitte vergessen Sie das niemals. Ich habe schon in anderen Blogartikeln darüber geschrieben. Auch, wenn Sie fast im Morast Ihrer Angst versinken: Der Weg ist da. Er ist wirklich da, und Sie werden Ihn auf Ihren eigenen Füßen beschreiten.
Und Ihre Freunde sind Ihre Weggefährten!

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