Samstag, 11. April 2015

Trudi liebt mich!

Ich habe seit fast zwei Jahren eine Freundin namens Trudi. Sie hat mir ihre Liebe zwar nie gestanden, aber ich weiß, dass sie ohne mich nicht leben kann. Richtig glücklich waren wir noch nie miteinander, aber wir sind deshalb zusammen, weil wir nicht ohne einander sein wollen und können. Kennengelernt habe ich Trudi im Landeskrankenhaus Vöcklabruck im Juni 2013. sie hat sich vom ersten Tag an um mich gekümmert und mich umsorgt.
Wie in jeder Beziehung gibt es auch bei Trudi und mir Höhen und Tiefen, Krisen und Glücksmomente. Leider überwiegen die Krisen, die manchmal sogar in Dramen ausarten. Trudi ist sehr eifersüchtig. Jedesmal, wenn ich mit meinem E-Rolli durch die Gänge der Gebäude hier in Altenhof fahre und mich sehnsuchtsvoll umsehe, lässt sie mich spüren, dass es nur Eine geben kann.
Und das ist Trudi.
Falls Sie das jetzt vielleicht vermuten, muss ich Sie enttäuschen: Trudi ist kein Haustier. Sie ist weder eine Katze, noch ein Goldfisch. Ich habe auch keinen Vogel.
Nein, sie ist ein Wesen mit dem ich sogar eine sehr intime Beziehung habe. Es ist zwar nicht meine Art, über solche Angelegenheiten aus dem Nähkästchen zu plaudern, aber es gehört nunmal zu meinem Leben dazu, also warum sollte ich mich dafür schämen?
Ich schäme mich nicht. Da ich in meinem momentanen Gesundheitszustand im Bett nur auf dem Rücken liegen und mich nicht frei bewegen kann, bin ich in unserer kleinen Amour Fou der devote Teil. Also, wenn Sie es genau wissen wollen, ich liege immer unten. Und Trudi ist von Haus aus sehr dominant. Manchmal zu sehr für meinen Geschmack.
Ich möchte mich ja eigentlich von Trudi trennen, aber was mache ich ohne sie? Irgendwie mag ich sie ja doch ganz gern. Ohne sie müsste ich sonst ständig aus dem Bett oder aus dem E-Rolli raus. Aber mit ihr kann ich die kleinen Freuden des Lebens relativ sorgenfrei genießen. Manchmal habe ich schon ein bisschen Angst, dass jemand ins Zimmer kommt. Eine Krankenschwester vielleicht oder der Briefträger. Die würden ja nicht schlecht staunen, was da so abgeht.
Zwischen Trudi und mir.
Aber wie gesagt, ich will sie ja eigentlich loswerden. Aber wie es mit solchen Partnerinnen eben so ist, erschlagen darf man sie nicht, aber ertragen kann man sie auch nicht. Trudi ist nämlich eine Nörglerin. Wegen jeder Kleinigkeit regt sie sich gleich auf. Wenn ich ein bisschen schief im Rollstuhl sitze oder wenn es draußen regnet. Ich könnte mir ja einen Schnupfen holen. Vom Regen. Nicht vom schiefen sitzen. Aber ich ziehe mich ja warm an und decke mich zu, wenn ich rausfahre.
Damit ist auch sichergestellt, dass niemand Trudis Lieblingskörperteil von mir sehen kann. Sicher denken Sie jetzt da an ein ganz bestimmtes Organ, das nur Männer haben.
Also, ich muss schon sagen...Sie haben ja vielleicht eine Phantasie. Ts, ts, ts.
Aber sie haben recht.
Trudi hängt tatsächlich genau an dem Körperteil so sehr, dass nur wir Männer haben. Und glauben Sie mir, es sind keine Fußballschuhe. Oh, nein.
Trudi plagt mich jeden Tag. Kennen Sie das? Es gibt solche Leute. Die verbreiten einfach nur schlechte Laune und sind ständig stinkig. Man fragt sich, wie diese Typen es immer wieder schaffen, einem schon am frühen Morgen den ganzen Tag zu verderben. Genau so eine Person ist die Trudi. Die holde Meine. Sie zwickt, stottert, verursacht bei mir Krämpfe und Verrenkungen, streikt, wenn sie nicht kriegt, was sie will und manchmal platzt sie fast aus allen Nähten.
Und Trudi ist nicht gerade schlank, wenn Sie verstehen, was ich meine. Sie trinkt einfach zu viel. Süße Getränke. Das bekommt ihr nicht so gut, aber wenn sie dann fett wird, macht sie wieder schlechte Luft.
Sie ist blond wie eine Semmel, und darum nenne ich sie immer "das gelbe Scheusal". Sicher kennen Sie den Film "Sin City". So ungefähr sieht sie aus.
Nein, Trudi ist keine Krankenschwester. Auch keine Therapeutin. Aber sie arbeitet im medizinischen Bereich. Ihre Arbeit macht sie gut, und auch in unserem Privatleben ist sie ordentlich und sauber. Ich möchte eigentlich ganz gerne heiraten. Aber auf keinen Fall Trudi. Die müsste ich dann nebenher laufen lassen. Wobei, dass es nebenher gelaufen ist, haben wir auch schon erlebt, und glauben Sie mir, eine solche Beziehung ist ziemlich stressig. Oft wäre das Leben ohne Trudi leichter, aber meistens wäre es sehr viel schwerer für mich. Außerdem ist sie eine treue Seele. Sie hat mich nie betrogen, hatte nie etwas mit einem Anderen.
Aber wer ist Trudi?
Wahrscheinlich fragen Sie sich das gerade. Soviel kann ich Ihnen schon verraten: Trudi ist nicht mein transversaler Stoma. Nein, ich bin auch nicht aus Transsylvanien und auch kein Transvestit. Obwohl, mit meinen schicken weißen Thrombosestützstrümpfen sehe ich ein bisschen so aus. Aber das macht ja nix. Die stehen mir gut und halten die Haut trocken. Fehlen nur noch die Strapse, aber die passen sowieso nicht zur Windel...äh Einlage.
Im medizinischen Pflegebereich pflegt man ja auch die Sprache und bedient sich einer Art Orwellscher Neusprech- und Neudenkmethode. Man wird auch nicht gefüttert, sondern beim Essen unterstützt. Ebenso sagt man nicht mit Salbe einschmieren, sondern eincremen. Und der Galgen mit dem Dreieck über dem Bett heißt Trapez. Ich bin auch noch nie gefragt worden, ob es mir gut geht, sondern immer nur "Geht' s bei Ihnen?"
Nein, es geht nicht. Es rollt. Es rollt in einem elektrischen Aufstehrollstuhl mit sich selbst aufblasendem Sitzkissen.
Und mit Trudi auf dem Schoß.
Grübel, grübel. Schoß? Gelb? Intime Beziehung? Ich weiß, was Sie jetzt schon wieder denken, und wieder muss ich Sie enttäuschen.
Nein, Trudi ist keine Geranie.
Noch nie hat mich ein Wesen so anhänglich und innig behandelt wie sie. Sie ist immer für mich da, bei Tag und bei Nacht.
        Night and day...you are the one..
Und jetzt kommt das, womit Sie, lieber Leser, nicht rechnen:
Trudi ist tatsächlich ein Mensch!
Und zwar ein Unmensch. Ein ganz gemeiner Vertreter der Gattung. Ich glaube ja, dass sie gar kein normaler Mensch ist, sondern eher ein Homo Erectus. Ja, das trifft es ganz gut. Na ja, ich gebe zu, das stimmt nicht so ganz. Eigentlich ist sie doch kein Mensch, hat aber menschliche Anteile.
Ein Affe?
Nein.
Trudi kann ihre Farbe wechseln.
Ein Chamäleon?
Mitnichten.
Rot, gelb grün...
Eine Ampel.
Ne, is' klar! Sehr clever überlegt. Ich schleppe in meinem elektrischen Rollstuhl eine Ampel mit mir herum, falls ich mal die Straße zum Hauptgebäude überqueren muss. Nein, Trudi ist auch keine Ampel. Auch keine Discokugel. Wobei...Der Gedanke, Trudi an die Zimmerdecke zu hängen und von innen zu beleuchten, ist ganz witzig.
Sie ist stachelig.
Ein Kaktus?
Schon besser. Sowas Ähnliches.
Also eine Pflanze.
Ja..na ja...noch besser. Sie wächst jedenfalls, wenn sie gegossen wird.
Sag' s uns! Sag' s uns!
"Jetzt soll der endlich die Katze aus dem Sack lassen", denken Sie sich vielleicht gerade.
Sack. Aha. Da kommen wir der Sache ja schon näher. Manchmal bin ich ein fauler Sack, ich hänge oft im E-Rolli wie ein nasser Sack, und wenn man mir sagt, dass es für mich besser sei Wasser statt Cola zu trinken, interessiert mich das sosehr, als würde in China ein Sack Reis umfallen.
Na gut, ich will des Rätsels Lösung, des Pudels Kern, des Knaben Wunderhorn und die Hölle auf Erden für Sie beim Namen nennen:
Sie denken sich jetzt vielleicht "Trudi ist sicher keine Frau."
Richtig gedacht.
Was Trudi macht, würde einer Frau nicht einmal im Traum einfallen: Sie saugt mich aus bis zum letzten Tropfen.
Trudi ist mein transurethraler Dauerkatheter.

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