Samstag, 20. Juni 2015

Männliche Gefühle

Heute möchte ich wieder einmal allen Menschen, die auch am Guillain-Barré-Syndrom leiden, ein paar Tipps geben, wie sie sich ihren Alltag erträglicher machen und das Leben erleichtern können. Das ist nicht leicht, und in diesem Blogartikel geht es hauptsächlich um das Thema Überwindung.
Selbstüberwindung, um genau zu sein. Ich habe lange gebraucht, gewisse Formen der Scham und des Zweifels abzulegen, aber letztlich habe ich es dann doch getan. Wenn der Leidensdruck groß genug ist, bittet man um Dinge, die man davor nie im Leben in Erwägung gezogen hätte.
Ich fange am besten gleich mit der schwierigsten Form der Selbstüberwindung an. Nein, es sind nicht der innere Schweinehund, das Engelchen und das Teufelchen oder Jimmy, die Grille, die mir oft ins Ohr geflüstert haben, ich solle doch lieber den Mund halten und die Sache durchstehen, bis sie vorbei ist.
Nein, es war die vielleicht urälteste Angst meines Volkes. Ich spreche vom Volk der Herren der Schöpfung, das sich selbst gerne als Männer bezeichnet:
Die Angst, Gefühle zu zeigen.
Damit meine ich nicht, einer feschen Krankenschwester nachzupfeifen. Das kann ich sowieso nicht. Nicht, weil ich nicht pfeifen könnte, sondern, weil es keine feschen Krankenschwestern gibt.
Sie haben richtig gelesen. In den zwei Jahren meiner Krankheit ist mir nicht eine einzige fesche Krankenschwester begegnet. Nicht eine, die mir gefallen hätte. Weder in Vöcklabruck, noch am Gmundnerberg und schon gar nicht hier in Altenhof. Einerseits ist das gut, weil es verhindert, dass einem die Krankenschwestern den Kopf verdrehen. Es reicht, wenn sie das mit dem Katheter machen. Das allerdings vorzüglich.
Warum es keine feschen Krankenschwestern gibt, ist eine andere Geschichte und soll an einem anderen Tag erzählt werden. Na ja, vielleicht sage ich Ihnen am Ende dieses Artikels, warum.
Doch zurück zu der männlichen Angst vor Gefühlen. Besonders männlich war mein Verhalten in den ersten eineinhalb Jahren der Krankheit nicht. Kaum hatte es irgendwo gezwickt oder gezwackt habe ich einen halben Nervenzusammenbruch bekommen und geglaubt, mein letztes Stündlein hätte geschlagen. Meistens hat es ja gleichzeitig gezwickt und gezwackt. Sein wir doch ehrlich...Wenn' s zwickt, dann zwackt' s auch. Da fährt die Eisenbahn drüber. Aber auch das ist eine andere Geschichte für einen anderen Tag, genau wie die mit den Krankenschwestern.
Aber warum fällt es meinem Volk so schwer, Gefühle zu zeigen? Es liegt wohl an der Sozialisierung in der Kindheit. Buben weinen nicht, ein Indianer kennt keinen Schmerz, und sei keine Heulsuse und kein Waschlappen. Glücklicherweise haben meine Eltern so etwas nie zu mir gesagt. Darum habe ich zumindest keine Probleme damit, Gefühle zu empfinden. Ich bin keiner von diesen verstockten "Ich-kann-nicht-weinen"-Typen. Wir kennen doch alle so einen, oder? So einen Helden, der nicht zum Lachen in den Keller geht, sondern zum Heulen.
Es ist in unserer Gesellschaft einfach nicht üblich, dass Männer weinen. Wir haben immer alles im Griff, stehen über den Dingen und können uns beherrschen. Wir sind Vorbilder und bieten eine Schulter zum Anlehnen.
Leider stimmt das nicht. Nein, das nehme ich zurück. Gott sei Dank, stimmt das nicht. Wenn es wirklich so wäre, dann wären wir keine Menschen, sondern Zombies. Vielleicht sogar etwas noch Schlimmeres. Selbst die Zombiefrau in George A. Romeros Film "Land of the Dead", blickt in den Nachthimmel, sieht ein Feuerwerk und sagt: "Schööön!"
Was ich Ihnen, lieber GBS-Kollege, und auch allen anderen Angehörigen meines Volkes, sowie allen Frauen sagen möchte:
Scheuen Sie sich nicht, Ihre Gefühle zu zeigen! Wenn Sie Angst haben, sagen Sie es jemandem. Suchen Sie sich eine Vertrauensperson. Auch, wenn die nicht rund um die Uhr für Sie da sein kann, so haben Sie doch jemanden, mit dem Sie über Ihre Sorgen, Ängste und Zweifel reden können. Am besten sind eine Krankenschwester oder ein Krankenpfleger dafür geeignet, weil die am öftesten da sind. In dem Fall gibt es natürlich das Problem des Zeitmangels. Aber für den Anfang und als Nothelfer sind sie ideal, gerade auch, weil sie das medizinische Fachwissen haben. Dabei ist es völlig egal, wie die Krankenschwestern aussehen.
Fragen Sie unbedingt nach einer Psychotherapie. Psychotherapeuten haben die richtige Ausbildung für den Umgang mit Angstmenschen. Am besten eignet sich eine Gesprächstherapie mit einem wöchentlichen Termin. Ich empfehle Ihnen die klientenzentrierte Gesprächstherapie nach Carl Rogers. Seit einem halben Jahr mache ich sie selbst, und meine Therapeutin gibt mir dabei immer ausgezeichnete Denkanstöße. Außerdem tut es gut, den ganzen Seelenschrott, den man schon seit der Kindheit mit sich herumschleppt, endlich loszuwerden. Ich war dazu erst nach eineinhalb Jahren bereit. Ich hatte davor im Krankenhaus zwar Psychotherapie in Form von Entspannungs- und Visualisierungsübungen, aber keine Gesprächstherapie. Ich habe mich nicht getraut.
Machen Sie nicht denselben Fehler wie ich! Bitten Sie um eine Gesprächstherapie, und Sie werden sehen, dass Sie davon profitieren werden. Meine Gesprächstherapie machte ich früher mit meiner Mutter, aber Mama ist letztes Jahr im August gestorben. Das alleine schon ist für mich Grund genug für eine Psychotherapie, obwohl ich über Mama und ihren Tod noch nicht so recht reden kann.
Ich habe Angst vor meinen Tränen.
Haben Sie das nicht! Weinen Sie, wenn Sie das Bedürfnis danach haben. Auch, wenn viele andere Menschen dabei sind. Lassen Sie Ihre Gefühle raus.
Schämen Sie sich nicht für Ihre Tränen. Manchmal passiert es mir schon, dass mir bei Gesprächen das Wasser in den Augen steht (gegen das Wasser in den Beinen bekomme ich Lymphdrainagen), aber ich unterdrücke sie dann. So gut ich kann. In dem Moment, wo sie am ganzen Körper gelähmt auf der Intensivstation aufwachen, ist es an der Zeit, jedes Schamgefühl abzulegen. Sonst werden Sie wahnsinnig. Ich kann es gar nicht zählen, wie viele 20jährige Krankenschwestern bei mir Intimwäsche und Katheterpflege durchgeführt haben. Geschämt habe ich mich nie. Aber zum Glück kamen dabei auch nie andere Gefühle auf. Sie wissen sicher, was ich meine. Wenn nicht, auch egal. Ich habe diese Form der Pflege jedenfalls nie genossen, ich war einfach nur dankbar dafür und froh, wenn es wieder vorbei war. Außerdem...Na, vielleicht zum Schluss.
Am meisten Rückhalt und Trost werden Sie natürlich aus Ihrer Familie bekommen. Familienmitglieder als Kummerkasten sind einem natürlich vertrauter als die Menschen im Krankenhaus, haben aber den Nachteil, dass sie wahrscheinlich nicht vom Fach sind und wenn doch, mit den medizinischen und pflegerischen Details Ihres Falles nicht vertraut.
Darum noch einmal mein Rat: Suchen Sie sich eine Vertrauensperson aus dem medizinischen Bereich, seien es Ärzte, die wahrscheinlich sehr wenig Zeit haben werden, Schwestern und Pfleger oder Therapeuten.
Letzlich geht es darum, sich zu trauen, um Hilfe zu bitten. Das ist nicht leicht, sowohl aus seelischen, als auch aus körperlichen Gründen. Als ich noch auf der Intensivstation lag, konnte ich aufgrund meiner Lähmung den Notrufknopf nicht drücken. Wenn ich Hilfe brauchte, musste ich schreien. Das hat natürlich genervt. Nicht nur mich. Eine Krankenschwester kam dann auf die Idee, mir ein Babyphone auf den Nachttisch zu stellen. Ich war begeistert. Erleichtert und glücklich. Diese Idee war fantastisch.
Leider nur die Idee. Das Ding hat nicht funktioniert. Wahrscheinlich, weil ich kein Baby mehr bin. Also schrie ich weiter. Manchmal erfolgreich, manchmal nicht. So eine Tetraparese (klingt wie eine italienische Pizzasorte) hat aber auch etwas Gutes: Ich habe gelernt, dass es nicht unbedingt notwendig ist, sich zu kratzen, wenn es irgendwo wirklich extrem lästig juckt.
Das Jucken hört nach vier Stunden von selber auf. Nur schlafen kann man dann leider nicht. Das ist aber auch nicht so schlimm, weil gerade in der Anfangsphase des Guillain-Barré-Syndroms bekommt man oneiroide Träume. Wenn Sie jemals dachten, Sie hätten einen Alptraum gehabt, warten Sie, bis Sie Ihren ersten oneiroiden Traum haben. Realistischer und bizarrer geht es nicht. Noch eine Geschichte für einen anderen Tag. Dieser fette Typ mit der Machete...
Wenn Sie völlig hilflos sind ist es sinnlos, den Helden zu spielen und sich durchzubeissen und über den Dingen zu stehen und all so ein Unsinn. Mit einer Tetraparese können Sie sowieso nicht stehen, außer im Stryker, einer aufstellbaren Liege mit Gurten. Soll gut für den Kreislauf sein. Mein Kreislauf war anderer Ansicht. Er beantwortete diese Form der Physiotherapie, indem er vor meinen Augen Millionen kleiner schwarzer Mücken herumsausen ließ. Kein Wunder, dass man mutlos wird, wenn man nur noch einen Wunsch im Leben hat: wieder gelähmt im Bett zu liegen, anstatt eine halbe Stunde gelähmt im Stryker zu stehen.
Also: Trauen Sie sich, um Hilfe zu schreien! Brüllen Sie das ganze Haus zusammen, wenn es sein muss. Weinen Sie, aber vergessen Sie das Lachen nicht.
So, das war' s. Ich habe alles gesagt und nichts vergessen.
Oder? Da war doch noch was...Irgendwas, das Sie neugierig gemacht hat und das ich nur in diesen Artikel reingeschrieben habe, damit Sie den restlichen Schmarrn lesen. Was war denn das noch? Fällt mir nicht mehr ein. Egal. Eine andere Geschichte für einen anderen Tag.
Stimmt! Das war' s. Ich wollte Ihnen noch sagen, warum es keine feschen Krankenschwestern gibt.
Das ist ganz einfach: Fesch ist ein blödsinniges Wort, das man sogar zu einem faulen Fettsack im E-Rolli sagt. Dieses Wort trifft auf Krankenschwestern einfach nicht zu.
Krankenschwestern sind nicht fesch.
Alle Krankenschwestern sind umwerfende Schönheiten! Sie sind bezaubernde, liebreizende und liebevolle Wesen, immer für einen da, wenn man sie braucht. Krankenschwestern lesen einem jeden Wunsch vom Harnsackerl ab. Ich mache keine Scherze. Ich meine das wirklich so, wie ich es schreibe.
Alle Krankenschwestern sind wunderschön!
Und alle Männer sind Lügner.

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