Samstag, 28. November 2015

Angst ist ein Affe!

Das Leben mit der Angst zehrt an den Nerven. Es ist reines Gift für Menschen mit dem Guillain-Barré-Syndrom. Schließlich sind es doch die Nerven, die sich erholen sollen. Die schützende Isolierschicht aus Myelin soll sich wieder aufbauen, nachdem das eigene Immunsystem sie fast im ganzen Körper weggefressen hat.
Inwiefern sich Stress, Angst und Depressionen auf die Neubildung der Myelinschicht auswirken, kann ich Ihnen zwar nicht sagen, aber ich weiß, dass diese drei Faktoren den Weg zur Heilung noch länger und beschwerlicher machen.
Möglichkeiten, die Angst zu bewältigen gibt es viele. Von Meditation, Gesprächen mit Verwandten, Freunden oder Therapeuten, Techniken des Neurolinguistischen Programmierens (NLP), kognitiver Verhaltenstherapie bis hin zu Sport, gesunder serotoninreicher Ernährung und im schlimmsten Fall Psychopharmaka ist die Palette der Farben zur Stimmungsaufhellung breit sortiert. Manche versuchen es mit Alkohol, Süßigkeiten oder gar Drogen und verschlechtern ihren Zustand damit auf gefährliche oder sogar tödliche Art und Weise. Die Angst ist dann zwar weg, das Leben aber auch.
Mir liegen zwar keine statistischen Werte über die Patienten mit Guillain-Barré-Syndrom vor, die ihr Leben langsam mit Giftstoffen (auch Genussmittel genannt) zugrunde richten, aber ich weiß, dass die meisten Menschen, die von dieser Krankheit befallen wurden, sehr an ihrem Leben hängen, weil sie es im Laufe ihrer Zeit mit GBS schon mehrmals fast verloren hätten. 
Einer davon bin ich. Ich habe fast alles, was mit dem Guillain-Barré-Syndrom einhergeht, erlebt und überlebt, und dazu gehörten nicht nur die akut lebensbedrohlichen Symptome, sondern eben auch die emotionalen Begleiterscheinungen wie Angst und Depressionen. Beides war bei mir zwar nur in geringem Maße ausgeprägt, aber schlimm genug, um mir nicht nur das Leben zur Hölle zu machen, sondern auch meine Fortschritte zu verzögern. Ich glaube, dass meine Genesung viel schneller vorangeschritten wäre, wenn ich nicht aus durch Angst verursachte Antriebslosigkkeit so nachlässig gewesen wäre. Das hat zum Glück keinen Schaden angerichtet und die Heilung auch nicht beeinträchtigt, aber mir viele Monate im Rollstuhl eingebracht, die gar nicht nötig gewesen wären.
Den Rollstuhl brauche ich allerdings immer noch, weil ich zwar schon aufstehen, aber noch nicht frei gehen kann, doch ich bin mittlerweile so optimistisch geworden, dass ich ihn nicht mehr als ewiges Schicksal betrachte. Das ist GBS nämlich nicht. Für mich nicht, und für Sie auch nicht. Sicher gibt es immer wieder Rückschritte, aber die sind keine Hammerschläge wie bei anderen Erkrankungen, bei denen keine Heilungschance mehr besteht. Auch wenn das vielleicht überheblich klingt, aber bei GBS ist es nicht sosehr eine Frage der Heilungschance, sondern der Heilungswahrscheinlichkeit. Letztlich geht es von Anfang an, wenn man in der Plateau-Phase nicht erstickt oder an Herzversagen gestorben ist, nur darum, wie viele Restschäden zurückbleiben. Das gilt sowohl für die körperlichen, als auch die seelischen.
Ich habe zwar schon öfter darüber geschrieben, aber auch heute möchte ich das Thema Angst wieder aufgreifen.  Ich werde Ihnen einige meiner besten Angstbewältigungsstrategien vorstellen, die mir sehr gut geholfen haben und die auch Ihnen nützen werden. In diesem Artikel gibt es einen kurzen Überblick, aber in Zukunft werde ich diese und weitere Techniken genauer vorstellen. Diese Methoden helfen nicht nur gegen die tückische unbegründete Angst, die generalisierte Angststörung, sondern auch gegen allgemeinen Stress bei der Arbeit oder im Privatleben, sowie gegen Depressionen, Traurigkeit und Trauer. Ich habe das alles erlebt und kann daher sagen, dass diese Tricks mir geholfen haben, den Weg von der Ganzkörperlähmung bis zur fast vollständigen Genesung unfallfrei zurückzulegen. Schlaglöcher gibt es immer, aber die sind ja bekanntlich ein Anzeichen für den Frühling.
Am einfachsten und jederzeit überall anwendbar ist die Methode des beruhigendes Atmens. Diese Technik erfordert kein großes Wissen über Meditation oder Tiefenentspannung. Alles, was man braucht, ist ein bisschen Ruhe. Zehn Minuten oder eine halbe Stunde, das ist eigentlich egal. Das beruhigende Atmen kann man gut vor dem Einschlafen praktizieren oder auch tagsüber, einfach so zwischendurch. Es ist sowohl für die akute Angstbewältigung und bei einer herannahenden Panikattacke eine gute Methode, sollte aber auch generell zur täglichen Übung werden. Je öfter und intensiver man das macht, desto größer ist der Nutzen.
Ich habe im Laufe der letzten fünfundzwanzig Jahre, also schon lange vor dem Ausbruch des Guillain-Barré-Syndroms, festgestellt, dass ich keine klassischen Meditationsstellungen brauche. Ich brauche weder den Lotussitz, noch eine Yoga-Haltung, um meine Atemmeditation zu machen. Es geht bei normalem entspannten sitzen oder liegen. Auch, wenn ich nicht entspannt bin, funktioniert es. Und gerade da brauche ich es am dringendsten. Selbst, wenn meine Körperposition im elektrischen Rollstuhl unbequem ist, kann ich mich durch ruhiges konzentriertes Atmen gut beruhigen und meine Anspannungen lockern. 
Ich zähle dabei im Geiste meine Atemzüge beim Ausatmen. Wenn ich erschöpft bin, beispielsweise nach der Physiotherapie, konzentriere ich mich bewusst darauf, meine Atmung zu verlangsamen. Ich glaube, dass wir alle viel zu schnell atmen. Darum geht uns so schnell die Luft aus. Wenn Sie es einmal ausprobieren, werden Sie bemerken, dass schnelles und hektisches Atmen gar nicht notwendig ist.
Atmen Sie tief, aber nicht zu tief, gerade so, dass es angenehm ist. Achten Sie dabei darauf, nicht nur bis in die Höhe Ihrer Brust zu atmen, sondern in den Bauch. Der Solarplexus, also die Gegend um den Nabel, ist die beste Stelle, um seinen Atem zu sammeln und den Körper optimal mit Sauerstoff zu versorgen. Und mit positiven Energien, falls Sie an sowas glauben.
Das ist das ganze Geheimnis der beruhigenden Atmung. Manche sagen, es sei sogar die einfachste und wirkungsvollste Form der Meditation. Wenn Sie sich zusätzlich zum Atmen auch noch auf den Moment besinnen, den Sie gerade erleben, werden Sie umso mehr davon profitieren. Das bezeichnet man als Achtsamkeit. Man konzentriert seine volle Aufmerksamkeit auf den momentanen Augenblick. So, als gäbe es kein Verstreichen der Zeit, sondern nur ein ewiges Jetzt. Wichtig dabei ist, dass man auch den Gedanken an den gegenwärtigen Moment ausschaltet. Es hat keinen Sinn, sich in Achtsamkeit zu üben, indem man sich ständig denkt, ich lebe im Jetzt, ich lebe im Jetzt, ich lebe im Jetzt...
Tun Sie' s einfach. Denken Sie nicht darüber nach, was sie gerade erleben. Ziehen Sie Ihre Aufmerksamkeit aus der Gegenwart zurück und versuchen Sie, einfach nur zu sein. Hören Sie. Riechen Sie. Fühlen Sie. Atmen Sie.
Und wenn Sie keine Lust mehr auf diesen esoterischen Blödsinn haben, lassen Sie es wieder bleiben. Stehen Sie auf, wenn Sie können, und machen Sie irgendetwas anderes, das Ihnen Freude bereitet. Was genau Sie tun, ist egal, aber nehmen Sie Ihren Atem mit.
Angst und Furcht sind zwei unheimliche Gesellen, die oft fälschlicherweise als Synonyme gebraucht werden. Umgangssprachlich sagt man zwar, man habe vor etwas Angst oder fürchte sich vor etwas, aber diese beiden Begriffe haben doch ihre Unterschiede.
Die Furcht ist ein Überbleibsel der Evolution. Der Fluchtinstinkt bei drohender Gefahr. Alle Lebewesen mit Selbsterhaltungstrieb empfinden Furcht, wenn sie sich plötzlich einer lebensbedrohlichen Situation ausgesetzt fühlen. In diesem Fall ist es eine natürliche Reaktion wegzulaufen oder sich zu verteidigen. All das wird von dem Teil des Hirns gesteuert, das für die emotionalen und irrationalen Verhaltensweisen zuständig ist, genannt Amygdala. So ist die Furcht vor einer unmittelbaren und gegenwärtigen Gefahr eine Reaktion, für die wir uns nicht bewusst entscheiden.
Die Angst hingegen wird vom Großhirn erschaffen. Es sind die Vorstellungen einer schrecklichen Situation in der Zukunft. Das Hirn spiegelt uns verschiedene Trugbilder vor, was alles mit uns geschehen könnte. Eine tatsächliche Bedrohung gibt es in diesem Moment nicht. So entsteht eine generalisierte Angststörung durch die Vorstellungskraft des Menschen. Selbst wenn Vernunft und Bildung sehr genau erkennen lassen, dass keine unmittelbare Gefahr besteht, malt man sich alle möglichen grauenhaften Konsequenzen aus. Der eine mehr, der andere weniger. Je nachdem, wieviel Phantasie man hat.
Einstein hat gesagt, Phantasie sei wichtiger als Wissen, denn das Wissen ist begrenzt. Und genau daran leiden Menschen mit ausgeprägter Vorstellungskraft. So wird ein kleiner harmloser Abszess zur klaffenden Wunde aus Blut, Schmerz und Tränen. Mir geht es zumindest so. Schnell sehe ich mich im Endstadium einer schweren Erkrankung auf der Palliativstation liegen, oder, was noch schlimmer ist, draußen auf dem Krankenhausgang oder in irgendeiner kleinen Kammer, in die man abgeschoben wird, damit man als Sterbender die anderen Patienten oder gar die Besucher nicht stört. Zumindest habe ich das so vor vielen Jahren einmal bei einem Krankenhausbesuch beobachtet.
Das Großhirn mit seiner Phantasie kann zwar sehr bereichernd sein, gerade, wenn man ein kreativer Mensch ist, aber es kann einen das Leben auch sehr schwer machen. Irgendwann verselbstständigt sich der Strudel aus Sorgen und Grübeleien und wächst zu einem Monster heran, gegen das man alleine nur sehr schwer ankämpfen kann.
Und wie überhaupt kämpft man gegen solch eine Kreatur? Soll man es machen wie Beowulf aus der alten isländischen Sage, der gegen das Ungeheuer Grendel gekämpft und es schließlich durch Mut, Tapferkeit und Geschick besiegt hat, oder soll man dem asiatischen Pfad des ausweichenden Weges folgen und die Worte des chinesischen Philosophen Sun Tsu beherzigen, der in seinem Werk "Die Kunst des Krieges" zu der Erkenntnis kommt, die beste Art einen Krieg zu führen, sei ihn zu vermeiden?
Spielen wir diesen Gedanken doch einmal kurz durch.
Im Laufe meiner Erfahrungen mit dem Guillain-Barré-Syndrom habe ich immer wieder festgestellt, dass sich beängstigende Momente und drohende Panikattacken sehr gut kontrollieren lassen, indem man nicht gegen sie ankämpft. Man muss nicht immer kämpfen. Das hört man ja oft, wenn man in einer schwierigen Situation ist. Ich zumindest habe es immer wieder erlebt, dass mir Menschen, die es ja nur gut mit mir meinen und die mir ja nur helfen wollen, den Rat gegeben haben: "Du musst kämpfen!" Ich habe darauf nie geantwortet, sondern mir immer gedacht, warum? Warum muss ich kämpfen? Was geschieht mit mir, wenn ich es nicht tue? Was passiert, wenn man die Waffen niederlegt und den Kampf aufgibt?
Damit meine ich nicht, sich vollkommen aufzugeben, wie die arme alte Frau mit dem rosa Schlafanzug, die ich gesehen habe, als sie in einer der Therapieeinrichtungen, in denen ich war, über das Geländer des Balkons im zweiten Stock geklettert und in den Tod gesprungen ist. Ich konnte das Gesicht dieser weißhaarigen Dame nur im Halbprofil erkennen, aber eines ihrer Augen und den Ausdruck in ihrem Gesicht habe ich gesehen. Einer der Gäste im Aufenthaltsraum hat später gesagt, sie hätte einen "entschlossenen Blick" gehabt. Glauben Sie mir, lieber Leser, den hatte sie nicht. Im Gesicht dieser Frau lag ein leerer Blick aus traurigen Augen, die schon gestorben waren, lange bevor sie gesprungen ist.
Diesen Blick möchte ich niemals im Spiegel sehen. Niemals. Und darum gebe ich nicht auf, aber ich versuche, den Kampf zu vermeiden. Am einfachsten ist das, indem man die Angst, die einen zu verschlingen droht, einfach annimmt. Ich habe es ausprobiert. In Augenblicken der Beklemmung habe ich mir oft gedacht. "Ich wehre mich nicht gegen die Angst. Ich akzeptiere sie. Ich gehe einfach durch die Angst hindurch." Das war zu einer Zeit, als ich noch gelähmt auf der Abteilung für Neurologie lag. Seitdem sind meine Ängste sehr viel geringer, schwächer und seltener geworden. Gelegentlich flackern sie noch auf, aber durch vernünftiges Denken, ruhiges atmen und das zwanglose Annehmen der Angst, kann ich sie mittlerweile im Keim ersticken. 
Möchten Sie das auch können?
Blöde Frage, ich weiß. Aber auch eine Prise Humor kann nicht schaden. Das hilft mir vor allem im Nachhinein. Rückblickend kann ich über vieles lachen, was mich früher extrem belastet hat. Heute würde ich nicht mehr die ganze Nacht von neun Uhr abends bis sechs Uhr früh mit Blasenkrämpfen im Bett liegen, nur weil sich im ganzen Krankenhaus kein Arzt findet, der mir den Katheter rauszieht oder ihn solange spült, bis er wieder durchgängig ist. Dieses Erlebnis hat maßgeblich dazu beigetragen, warum der Dauerkatheter für mich länger als zwei Jahre lang der Inbegriff meiner Krankheit war. An ihm habe ich mehr gelitten als an der ganzen Tetraparese.
Solche Ängste brauchen Sie nicht. Sie sind in keiner Weise nützlich. Es sei denn, Ihr Name ist Stephen King, dann können Sie damit sicher etwas anfangen. Friedhof der Kuschelkatheter, oder so ähnlich. Wenn Sie aber nicht mein Lieblingsschriftsteller sind, kann ich Ihnen nur empfehlen, durch die Angstmomente, die sie im Laufe der Krankheit Guillain-Barré-Syndrom erleben werden, einfach hindurchzugehen. Schämen Sie sich nicht für Ihre Angst. Kämpfen Sie nicht zwanghaft dagegen an, sondern warten Sie einfach ab, bis die Gespenster wieder im Keller verschwunden sind.
Heute haben Sie nicht das letzte Mal über das Thema Angst gelesen. Zumindest, wenn Sie mir treu bleiben. Aber wenn Sie das Guillain-Barré-Syndrom haben, können Sie ja sowieso nicht wegrennen. Noch nicht. Denken Sie immer daran, wenn Sie wieder einmal fast verzweifeln. Nehmen Sie Ihr Schicksal einfach an und denken Sie sich: "Noch nicht!"
Mein wichtigster Rat an Sie: Treffen Sie die bewusste Entscheidung gegen die Angst!
Sie dürfen Sorgen, Ängste und Augenblicke der Schockstarre nicht Ihr Leben kontrollieren lassen! Sie können bewusst dagegen ankämpfen! Aktiv, aber auch passiv. Nur, wenn Sie das tun, werden Sie Ihre Ängste besiegen. Lassen Sie es nicht zu, dass diese Gefühle Sie am Leben hindern, an den Dingen, die Sie lieben, an den Plänen, die Sie schmieden und an dem Glauben an eine wunderbare Zukunft.
Sie können die Angst vertreiben!
Aber dazu müssen Sie sie zuerst umarmen. Sie müssen ihr gegenübertreten, sich ihr stellen und sie schließlich in die Arme nehmen. Die Angst ist eigentlich Ihr Freund. Sie meint es nicht böse, sie kann halt nicht anders. Ich weiß, das klingt widersprüchlich, aber ich habe es selbst so erlebt, und darum kann ich Ihnen garantieren, dass es mir geholfen hat. Noch nicht vollkommen, aber all den Monstren, die mich gejagt haben, geht allmählich die Luft aus.
Mir nicht!
Und Ihnen auch nicht!
Einen Arztbesuch können meine Tipps natürlich nicht ersetzen. Vielleicht sollten Sie die unten aufgeführten Punkte sogar mit Ihrem Arzt besprechen, aber ich glaube nicht, dass sie Ihnen schaden können. Und wenn Sie nicht am Guillain-Barré-Syndrom leiden, können Sie sie natürlich auch anwenden.
Es ist schwer, mit Existenzängsten, Zukunftsängsten, Mutlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Depressionen und blanker Todesangst zu leben. Die Angst, für den Rest des Lebens im eigenen Körper eingeschlossen zu sein ist etwas, das sich die wenigsten Menschen vorstellen können. Falls Sie jemand sind, der das noch nicht erlebt hat, aber glaubt, sich durch Phantasie und Einfühlungsvermögen in dieses Erlebnis hineinversetzen zu können, glauben Sie mir eines:
Sie können es nicht!
Und obwohl ich es länger als ein halbes Jahr erlebt habe, fällt es mir jetzt schwer, dieses Gefühl zu beschreiben. Es ist zweieinhalb Jahre her, dass das Guillain-Barré-Syndrom bei mir mit voller Wucht zugeschlagen hat, aber die Erinnerung an das Gefühl, vollständig gelähmt zu sein und nur den Kopf bewegen zu können, verblasst allmählich. Das menschliche Hirn ist schon ein Wunderwerkzeug. Es ist tatsächlich so nett, einem die Erinnerung an die schrecklichste Zeit des Lebens wieder vergessen zu lassen. Danke, Hirn!
Aber zugleich ist unser Cortex auch ziemlich störanfällig. Damit meine ich nicht organische Hirnschäden, sondern die natürliche Reaktion unseres Kleinhirns auf Stress und Gefahr. Der Fluchtinstinkt setzt ein, unsere Muskeln spannen sich an, wir beginnen, schnell durch den Mund zu atmen, um unsere Energie zu maximieren, wir schwitzen, uns sträuben sich die Nackenhaare, und unser Herz pumpt wie ein Presslufthammer. Zugleich haben wir das Gefühl, dass sich uns der Brustkorb zuschnürt.
Und das ist gut so. Man will dem Raubtier ja nicht zum Opfer fallen. Angst ist also ein ausgesprochen wichtiges Instrument, das uns das Überleben sichert. Dazu sollte man wissen, dass es nur zwei sogenannte Urängste gibt, nämlich die Angst vor dem Fallen und die Angst vor plötzlichen lauten Geräuschen. Urangst bedeutet, dass schon unsere Verwandtschaft in der Steinzeit diese Ängste hatte und sie uns in einer langen, Millionen Jahre alten Kette aus DNA vererbt hat. Die Angst ist ein Affe. Sie sitzt auf unseren Schultern und versucht uns durch den Dschungel zu jagen. Wie in dem Song von Creedence Clearwater Revival. Run Through The Jungle. Sicher waren diese Ängste bei der Mammutjagd und in der Höhle praktisch, aber in unserer modernen Zivilisation brauchen wir sie nicht mehr.
Außer Plumps und Peng gibt es keine vereblichen Ängste. Aber woher kommt dann die Angst der Menschen vor kleinen kuscheligen Krabbeltierchen? Oktopoden? Arachniden? Oder einfacher: Spinnen? Diese Ängste sind erlernt. Alle sogenannten Phobien, wie die Klaustrophobie, Agoraphobie, Arachnophobie und Phobophobie sind erlernte Ängste. Wir haben sie uns irgendwann angeeignet. Niemand wird mit der Angst vor engen Räumen, weiten Plätzen oder Spinnen geboren. Und insbesondere die letztgenannte Angst, die Phobophobie, ist wohl eher ein Zeichen unserer Zeit. Das ist die Angst vor der Angst.
Diese Angst vor der Angst kennen viele Menschen mit generalisierter Angststörung, Panikattacken, dem posttraumatischen Stresssyndrom und auch dem Guillain-Barré-Syndrom. Irgendwann habe ich festgestellt, dass ich in Wirklichkeit gar keine Angst vor ewiger Lähmung, Lungenembolien oder Inkontinenz hatte. Was mich wirklich geplagt hat, war die Angst vor der Angst vor solchen Dingen. Jetzt, wo ich auf die chaotischten, aber auch lehrreichsten Momente meiner Krankengeschichte zurückblicke, stelle ich fest, dass ich mir nie gedacht habe, mein Gott, ich werde nie wieder gehen können, ein Blutgerinnsel wird in meine Lunge krachen oder ich werde für den Rest meines Lebens einen glühenden Stacheldraht in der Blase haben.
Meine größte Furcht galt immer der Angst. Und da ich weiß, dass es anderen Menschen auch so geht, insbesondere GBS-Patienten, werde ich auch weiterhin einige Tipps geben, wie man die Angst abschalten kann.
Schnell. 
Sofort.
Jetzt! 

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