Samstag, 15. November 2014

Im Behindertendorf

Es sieht aus wie eine Ferienhaussiedlung. Hier könnte man einen wunderschönen Urlaub verbringen. Nur das Meer fehlt. Und die ausgelassene Stimmung. Man hört kein Kindergeschrei, riecht nicht den Duft von Pizza und Cevapcici. Auf den kleinen Straßen, die von Nussbäumen und Pappeln gesäumt werden, kommen einem keine Menschen mit Luftmatratzen und Sonnenhüten entgegen.
Die Menschen, die man hier in Altenhof am Hausruck auf den Straßen antrifft, fahren in elektrischen oder konventionellen Rollstühlen, manche davon liegen flach ausgestreckt auf ihren Sitzen, andere gehen mit Rollatoren oder Krücken herum. Einige können nicht sprechen oder nur schwer verständliche Laute von sich geben. Diejenigen, die auf ihren eigenen Beinen die Wege beschreiten, sind meist Therapeuten oder Krankenschwestern- und Pfleger.
Aber bei all den Schicksalen, die den Bewohnern des Dorfes ins Gesicht geschrieben stehen, liegt noch etwas anderes in der Luft, das sich nur schwer beschreiben lässt.
Ich würde es am ehesten einen Klang der Fröhlichkeit nennen. Vielleicht interpretiere ich das falsch oder sehe es durch eine Brille des Mitleids, aber ich glaube nicht. Wenn ich darüber nachdenke, muss ich sagen, dass ich nirgendwo sonst so vielen gut gelaunten Menschen begegnet bin. Ich weiß, dass die meisten von ihnen schwer krank sind, aber diese Athmosphäre der heiteren Freundlichkeit scheint mir hier allgegenwärtig zu sein.
Bei einigen Bewohnern habe ich mich schon oft gefragt, wie sie es machen, oft in einer sehr heiteren Stimmung zu sein. Ich komme mir dann klein und wehleidig vor, wenn ich mit meinen vergleichsweise geringen Problemen fast verzweifle und keine Hoffnung auf Besserung mehr habe. Viele arbeiten auch. Es gibt eine Werkstatt, in der Lederwaren wie Taschen und Geldbörsen hergestellt werden. Es sind sehr schöne Arbeiten. Außerdem gibt es ein Kunstatelier, ein Kaffeehaus und eine Gärtnerei.
Ich höre die Menschen auch oft lachen. Eine Stimmung der Verzweiflung und Trostlosigkeit sucht man hier vergebens. Natürlich weiß ich nicht, wie es in den Köpfen und Herzen der Menschen von Altenhof aussieht, und ich frage mich, ob die Traurigkeit und die Schwermut sie überfallen, wenn sie allein in ihren Zimmern sind. Mir geht es oft so. Besonders, seit meine Mutter gestorben ist.
Draußen auf den schmalen Wegen und den kleinen Plätzen ist es jedenfalls nicht so. Besonders auffällig ist die Aura der Geschäftigkeit. Jeder hat etwas zu tun. Niemand sitzt nur traurig herum. Ich habe auch nie das Gefühl, verzweifelten oder gebrochenen Menschen zu begegnen. Das Symbol des Behindertendorfes Assista Altenhof ist eine Sonne. Ich habe immer den Eindruck, diese Sonne strahlt mir von den Menschen hier entgegen. Nicht nur von den Bewohnern, sondern auch von den Mitarbeitern. Alle sind freundlich, grüßen und viele lächeln dabei. Und das ist alles echt. Nichts davon wirkt aufgesetzt oder gespielt.
Altenhof ist ein schöner Ort. Ein Ort, der Mut macht.

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