Samstag, 10. Oktober 2015

Trudi ist tot!

Trudi ist tot. 
Endlich. 
Ich konnte die Alte schon nicht mehr sehen. Sie war ein grauenhaftes Weibstück. So anhänglich, und sie musste immer und überall mit dabei sein. Den Hals hat sie auch nie voll gekriegt, und ein paar Mal ist ihr sogar der Kragen geplatzt. Trudi war eine Schmarotzerin übelster Sorte. Sie hat mich total ausgesaugt.
Aber irgendwie war sie lieb. Schluchz. Sie hat mir viel Ärger und Kummer bereitet, aber ebensoviel davon erspart. Vermissen werde ich sie nicht. Sie hat ja nicht einmal vor meinem Blut zurückgeschreckt. Einmal hat sie sich ihren fetten Bauch damit richtig vollgeschlagen. Und zum Nachtisch noch ein paar Koageln. Sie war eine richtige Vampirin.
Jetzt hat sie endlich das Zeitliche gesegnet. Keine Träne weine ich ihr nach. Na ja, so ganz freundlich war ich auch nicht immer zu ihr. In den letzten beiden Monaten habe ich sie jeden Abend heftig gewürgt. Ich meine, so richtig. Da ist ihr nicht nur die Luft weggeblieben.
Moment...Jetzt fällt mir ein, dass Sie, lieber Leser, vielleicht gar nicht wissen, wer Trudi ist. War. Sie weilt ja nicht mehr unter den Lebenden. Und für diejenigen, die meine Ex-Freundin schon aus einem früheren Blogartikel kennen, muss ich ja nicht so tun, als würde der große Knalleffekt erst am Schluss kommen.
Sicher sind Sie jetzt bis ins Innerste erschüttert, wie ich über diese Frau schreibe. Das tut man doch nicht. Schließlich war sie ein...
Katheter. Ich weiß, der Gag funktioniert nicht mehr, aber ich konnte gerade nicht widerstehen. Aber egal, jetzt wird' s sowieso wieder ernst. Ich will nicht viel über meine Zeit mit Trudi erzählen, aber glauben Sie mir, sie war die schlimmste Begleiterscheinung meiner Krankheit. Sie hat mir mehr zu schaffen gemacht als die Lähmung meines Körpers. Wie sehr, wird mir erst jetzt bewusst, seit mir am vergangenen Mittwoch der Dauerkatheter entfernt wurde. Nach zwei Jahren und drei Monaten. Selbstverständlich wurde er alle fünf Wochen gegen einen neuen ausgetauscht, wegen der Infektionsgefahr. Ein Blasenkatheter ist nämlich ein Fremdkörper und eine Brutstätte für Keime. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich diesen Satz in den letzten 27 Monaten gehört habe. Jedesmal, wenn ich ein Ziehen, Brennen, Stechen, eine Stauung oder einen Harnwegsinfekt hatte, derselbe Spruch.
Eine Brutstätte für Keime.
Na ja, jetzt hat es sich ausgebrütet. Das Pisshendl Trudi weilt jetzt in den ewigen Uringründen.
Oder doch nicht?
Ich weiß, dass das ein bisschen merkwürdig klingt, aber ich hatte nach jedem Katheterwechsel den Eindruck, als hätte ich wieder denselben eingesetzt bekommen. Selbstverständlich war das nicht so. Aber ich habe eine vollkommen logische Erklärung dafür.
Katheterreinkarnation.
Seelenwanderung.
Der Katheter war nur ein Silikonkörper, beliebig austauschbar. Und Trudi, die gelbe Göttin des Grauens, hat alle fünf Wochen von einem neuen Körper Besitz ergriffen. Zwei Jahre und drei Monate lang wurde Trudi unaufhörlich in neuen Silikonschläuchen wiedergeboren.
Jetzt könnte man sagen, gut das war früher, aber jetzt ist sie ja weg. Aber was, wenn Sie sich einen neuen Wirtskörper sucht? Zum Beispiel meine Finger. Falls Sie mich einmal irgendwo sehen und ich dabei unanständig gestikuliere...Das bin nicht ich! Das ist Trudi! Oder falls Sie einen völlig bescheuerten Blogartikel über die Reinkarnation von Dauerkathetern lesen.
Ich habe den nicht geschrieben!
Oder wenn wir miteinander plaudern und ich Sie ansehe, meinen Blick der Natur zuwende und dann zurück auf Sie und sage: "Ihre Nase passt nicht in die Landschaft". Das ist Trudi, die aus mir spricht. Vielleicht sind Sie sogar ein Therapeut, und ich sage zur Begrüßung zu Ihnen: "Hey, Meister! Lass' uns Weiber klarmachen!" Oder Sie sind Arzt und hören von mir: "Oki-Doki, Dottore...Der Totengräber verdient sich ja ganz schön blöd mit Ihnen."
Trudi war' s.
Ein bisschen fehlt sie mir ja schon. Ich muss jetzt so viel Verantwortung übernehmen und alle zwei Stunden zu einem grünen Trichter, der eigentlich ein Kegel ist, greifen. Wissen Sie, was ich dort mache? Ich glaube, Sie wollen das gar nicht wissen. Aber Sie haben meinen Blog angeklickt, darum müssen Sie da jetzt durch.
Also, der Trichter ist eine Erfindung von mir. *ganzstolzgrinslol*.
Die Krankenschwestern hier in Altenhof am Hausruck haben zu mir gesagt, sowas hätten Sie noch nie gesehen. Wissen Sie, was das für ein Lob ist? Das ist ja schon fast ein Ritterschlag. Sehen Sie sich im Internet doch mal Dekubitus- oder Stomafotos an. Sowas bekommen Krankenschwestern für gewöhnlich zu sehen. Ich fühle mich richtig geehrt.
Aber zurück zum Thema. Sie haben ja sicher großes Verständnis für meine Schilderungen, denn vielleicht sind ja gerade Sie auch ein Mensch mit Guillain-Barré-Syndrom. Dann haben Sie sicher dieselben Probleme wie ich. Dauerkatheter sind ausgesprochen ungemütlich. Man sitzt im Rollstuhl praktisch drauf, nur, dass sich der Schlauch im Inneren des eigenen Körpers befindet. In den letzten 27 Monaten gab es keinen Tag, an dem ich ihn nicht auf irgendeine Art gespürt habe. Entweder ist der Schlauch an der Innenwand der Blase angestoßen, oder es hat einfach nur so gezogen, gebrannt, gezwickt, gestochen und geblutet. Jetzt, wo er weg ist, wird mir erst langsam bewusst, was für ein Horror das wirklich war. Seit Mittwoch sitze ich in meinem E-Rolli und spüre...
Nichts. Ich sitze einfach nur. Wie Herrmann in dem Zeichentrickfilm von Loriot.
Kennen Sie den?
Berta: "Herrmann?" 
Hermann: "Ja?" 
Berta: "Was machst du da?" 
Hermann: "Nichts!" 
Berta: "Überhaupt nichts?" 
Hermann: "Nein, ich sitze hier!" 
Berta: "Du sitzt da?" 
Hermann: "Ja." 
Berta: "Also was willst du denn nun?" 
Hermann: "Ich möchte hier sitzen!" 
Berta: "Du kannst einen ja wahnsinnig machen!" 
Hermann: "Ach." 
Berta: "Du kannst doch tun, was Dir Spaß macht!" 
Hermann: "Ich sitze hier, weil es mir Spaß macht!" 
Berta: "Sei doch nicht gleich so aggressiv!" 
Hermann: "Ich bin doch nicht aggressiv!" 
Berta: "Warum schreist du mich dann so an?" 
Hermann: "ICH SCHREI DICH NICHT AN!"
So, ungefähr, ist meine Beziehung mit Trudi verlaufen. Ich wollte auch nur in Ruhe in meinem E-Rolli sitzen und mich darauf konzentrieren, wieder gesund zu werden. Heute schüttle ich den Kopf über mich selbst, wenn ich daran denke, wieviel Zeit ich vergeudet habe, weil ich dauernd besorgt war, dass der Katheter Krämpfe, Schmerzen und ein ständiges ziehendes Gefühl verursachen könnte, das einfach nicht mehr aufhören will.
Ich will gar nicht darüber nachdenken, wie weit ich heute schon wäre, wenn ich mutiger gewesen wäre und mich von den lächerlichen Problemchen mit dem Katheter nicht so sehr hätte einschüchtern lassen. Wenn ich die Idee mit dem Trichter und dem Schlauch schon vor einem Jahr gehabt hätte, könnte ich jetzt vielleicht schon wieder normal gehen. Heute hat mir eine meiner Krankenschwestern gesagt, dass ich bei ihr und ihren Kolleginnen Gesprächsthema Nummer eins war. Sie sagte, ich hätte im Laufe des letzten Jahres unglaubliche Fortschritte gemacht. Und sie würden sich alle freuen, weil sie sehen, dass jemand hier im Dorf Fortschritte macht und nicht immer mehr abbaut. Es war zwar schön, das zu hören, und ich bin auch sehr dankbar für die viele Hilfe, Geduld, Pflege und Therapien hier in Altenhof am Hausruck. Trotzdem erzeugt es in mir ein Gefühl des Unbehagens, ja fast schon der Scham, wenn ich die anderen Menschen hier sehe, die nicht soviel Glück haben wie ich. Ich weiß zwar, dass es im Dorf noch einen anderen Bewohner mit Guillain-Barré-Syndrom gibt, aber ich habe ihn noch nie gesehen.
Meine eigenen Fortschritte erkenne ich nur, wenn ich bewusst darüber nachdenke oder darauf angesprochen werde. Ich bin eben ein Mensch, der sehr in der Vergangenheit lebt. So bin ich in meiner Vorstellung nicht der ehemals schwerkranke Patient, der jetzt nur noch trainieren muss, um wieder auf die Beine zu kommen, sondern in meinem Selbstbild liege ich immer noch im Bett auf der Intensivstation, gespickt mit Schläuchen, oder ich sitze im E-Rolli neben dem Sarg meiner Mutter.
Wenn Sie auch schon so weit sind, dass sie ohne Hilfe Ihres Therapeuten aus dem Rollstuhl aus normaler Sitzhöhe am ungebremsten Rollator aufstehen können, sich aber nicht trauen, weil Sie Angst haben zu stürzen, kann ich Ihnen nur den Rat geben:
Haben Sie ruhig Angst, aber tun Sie es trotzdem.
Selbst wenn Sie der Länge nach hinknallen, werden Sie sich nicht schwer verletzen, und Ihr Therapeut ist auch dabei und stützt Sie. Ein super Rat, oder? Jetzt muss ich ihn nur noch selbst befolgen!
So, das war' s für heute. Den Anfangssatz möchte ich etwas freundlicher formulieren:
Trudi ist erlöst. Sie lebt jetzt in einer besseren Welt. Im Schlaraffenland, wo **** und ******** fließen.
Ruhe in Frieden, Trudi. Du altes Pisshendl!

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