Dienstag, 9. September 2014

Die Angst ist ein Alien

Ich weiß nicht, wie ich mich selbst am besten beschreiben soll. Nach außen hin wirke ich ziemlich ruhig, innerlich bin ich aber meistens angespannt und oft nervös, insbesondere, wenn es mir schlecht geht und dann irgenwelche Kleinigkeiten schief laufen. Leider neige ich auch dazu, ein ängstlicher Mensch zu sein. Gerade was meine Krankheit betrifft, erlebe ich immer noch Momente, in denen ich nicht besonders zuversichtlich bin. Ich habe richtige Angstanfälle erlebt, und auch jetzt passiert das gelegentlich.
Ich bin kein besonders mutiger Mensch, nicht sehr unternehmungslustig und eher verschlossen. Das liegt zu einem großen Teil natürlich an den Erlebnissen meiner Jugend. Dass ich mich immer unverstanden und nie richtig akzeptiert gefühlt habe, hat mich  seit meiner Kindheit geprägt und dazu geführt, dass ich mich immer mehr nach innen gekehrt habe. Auch heute noch lebe ich mit dem Gefühl, dass andere Menschen mich irgendwie seltsam finden und nicht wirklich mögen.
   Was bin ich für ein Charakter? Ich würde sagen, ich bin geduldig, kreativ, manchmal etwas weltfremd und gelegentlich ganz witzig, obwohl mir das Lachen im Laufe des letzten Jahres gründlich vergangen ist. Ich bin manchmal fröhlich, manchmal traurig, aber ein Gefühl, das mich ständig begleitet und mir das Leben oft schwerer macht, als es meine Krankheit jemals geschafft hat, ist Angst. Etwas ängstlich war ich immer schon, aber ein halbes Jahr im Krankenhaus und über ein ganzes Jahr mit dem Guillain-Barré-Syndrom haben mich zu einem überängstlichen Menschen gemacht. Dabei waren es nie konkreten Ängste, die mich plagten. Meine Vernunft funktioniert einwandfrei, das rationale Denken hat meine Krankheit nicht beeinflusst.
Nein, es war eine diffuse Angst, die mich immer wieder quälte. Dabei sind es immer kleine, bedeutungslose Auslöser, die mich in solche Phasen stießen, die oft tagelang andauerten. Ein bißchen Blut im Katheterschlauch reichte da schon aus. Zwar vergingen diese Momente wieder, aber wenn sie da waren, verdarben sie mir den ganzen Tag.
Auf der Neuro in Vöcklabruck war es eine junge Psychologin, die mir gegen meine Ängste half. Mit Entspannungsübungen und dem Visualisieren von Problemlösungen konnte ich die schlimmsten Ängste in den Griff kriegen. Angst hat die Eigenschaft, einen Menschen vollkommen zu vereinnahmen. Zumindest war es bei mir so. Es waren Existenzängste. Wie und wo soll ich leben? Werde ich bei einer Operation sterben? Wird meine Mutter sterben? Was, wenn ich nie wieder gehen kann oder meine Hände nie wieder bewegen? Kommen noch weitere Krankheiten hinzu? Werde ich an den Folgen der Thrombose sterben und und und.
Eine der Übungen, die mir meine Psychologin empfohlen hat war, mich zu entspannen, ruhig zu atmen und mir innerlich immer wieder vorzusagen: »Ich beobachte meine Angst und bin dadurch mehr als meine Angst.« das hat zuerst ein bißchen und dann immer mehr geholfen. Auch heute wende ich diese Technik unter anderen an.
Es kann schon sein, dass meine Angstzustände eine unterbewusste Selbstbestrafung waren, aber diese schrecklichen Angstanfälle sind meinem bisherigen Lebenverlauf nicht angemessen. Sicher bin ich kein guter Mensch, aber so ein schlechter, dass ich so bestraft werde, bin ich auch nicht.
Ich hatte diese ständige Angst unglaublich satt. Sie hat mich von einem Menschen in ein zitterndes Tier verwandelt. Das wollte ich nicht mehr sein. Ich wollte mein Selbstbewusstsein zurückhaben und endlich der Mensch sein, der ich immer schon sein wollte: selbstbewusst, stark, frei von Angst, kreativ, erfolgreich und beliebt.
So ganz geschafft habe ich das noch nicht. Ich weiß nicht, ob ich es jemals schaffen werde, aber ich sehe jetzt wenigstens den Weg, den ich beschreiten muss. Ich weiß, dass ich das alles sein kann, aber es ist leider keine Willensentscheidung. Die Angst kommt einfach und legt sich auf mich wie ein Leichentuch. Ich habe mir die Angst nicht ausgesucht, sie hat mich ausgesucht.
Die Angst ist ein Alien. Sie setzt sich auf mein Gesicht, dringt in mich ein und platzt aus mir hervor. In Form von Angstattacken zerreisst sie mich von innen. Danach ernährt sie sich von mir, wächst, verfolgt und bedrängt mich und droht, mich aufzufressen.
Ich weiß, dass man die Angst nur überwinden kann, wenn man sich ihr stellt. Aber das tue ich ja. Ich stelle mich seit Juni 2013 allen meinen Ängsten. Die schlimmste davon war die Angst vor dem Tod meiner Mutter. Schon seit frühester Kindheit gab es nichts, vor dem ich mich mehr gefürchtet habe, als vor dem Tag, an dem Mama stirbt. Dieser Tag ist gekommen, und er ist wieder gegangen. Die Angst auch. Diese Angst ist zusammen mit meiner Mutter gestorben, aber die anderen Ängste leben weiter. Sie leben in mir weiter, solange ich selbst lebe. Ich habe nur die Chance, sie unter Kontrolle zu bringen und vielleicht sogar zu vertreiben.
Die einzigen zwei Werkzeuge, die ich kenne, um die Angst zu zerschlagen sind Information und Vernunft. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ein undichter Ballon die Ursache meiner Katheterprobleme sein könnte. Ich habe zwar vermutet, dass er nicht genug geblockt ist, aber 10 Milliliter sind ausreichend. Diese Information, es könne nur ein undichter Ballon sein, die mir der Arzt gegeben hat, hat ausgereicht, meine Angst kleiner zu machen. Und letztlich ist es nur noch die Vernunft, die über die Angst triuphieren kann. Die rationale Erkenntnis, dass diese Probleme, die mir der Katheter beschert hat, letztlich nichts Gefährliches sind. Zwar unangenehm, aber ungefährlich.
Information und vernünftige Schlussfolgerungen sind das Ergebnis einer genauen Betrachtung des zugrundeliegenden Phänomens. Diese Betrachtung verändert das Ereignis. Sie verändert es in seiner Form, seinem Gewicht und seinem Energiegehalt.
Die Beobachtung meiner Angst macht mich größer als die Angst.

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