Dienstag, 30. September 2014

Der innere Schrei

Das Gefühl, keinen Boden unter den Füßen zu haben, wird nur von dem Gefühl, den Boden mit den eigenen Füßen nicht mehr spüren zu können, in den Schatten gestellt.
    Ich kann nicht im Detail rekonstruieren, wie ich die Zeit auf der Intensivstation verbracht habe. Manchmal haben sich Traum und Wirklichkeit so miteinander vermischt, dass ich sie nicht mehr unterscheiden konnte
    Ich liege in dem Bett, das man am ehesten als Monstrum bezeichnen kann. So wie mich auch. Es ist ein bißchen länger als ich groß bin und sehr breit, sodass ich auch hineinpasse. Ich bin 1, 80 groß und wiege so um die 165 Kilo. Dieses enorme Gewicht habe ich mir angesessen. Angegessen und angetrunken. In der Zeit unmittelbar vor meiner Erkrankung und auch in den Jahren davor war es für mich normal, zwölf bis sechzehn Halbliterdosen Bier zu trinken. Welche Marke, sage ich nicht, sonst verklagt mich der Hersteller noch oder macht mich zum Werbeträger und ich lande auf riesigen Plakaten. Und glauben Sie mir, so wie ich damals ausgesehen habe, müssten die wirklich gigantisch sein.
    So wie mein Bett. Es ist von einem weißen Metallrahmen umgeben, von dem ich bis heute nicht weiß, wofür der war. Niemand wußte das..Aber alle hassten es. Es ist schwer zu bewegen, fast so, als sei es selbst gelähmt. Ich liege auf einer blauen Luftdruckmatratze, die der Bildung eines Decubitus vorbeugen soll. Das ist ein wundgelegener, offener Rücken. Das tut sie auch. Dieses Problem habe ich nicht. Ab und zu ein paar Rötungen, aber nichts Gefährliches.
    Ich liebe diese Matratze. Im Laufe meines Krankenhausaufenthalts wird sie für mich zu einem Zufluchtsort werden, einem Pralleluniversum, das mir fast ganz alleine gehört und in dem ich mich sicher fühle. Zumindest einigermaßen.
    All die Menschen, die kommen, um mir wehzutun oder Todesangst einzujagen, auch, wenn sie mir helfen wollen, können nicht lange bleiben. Sie müssen sich unter dem Rahmen über das Bett beugen, und das verursacht Rückenschmerzen. Ich will mich darüber gar nicht lustig machen. Heute weiß ich, dass Krankenschwestern- und Pfleger wirklich darunter leiden.
Aber für mich ist dieses Bett mein Raumschiff, das mich durch ein unendlich dunkles Universum führt. Ich fühle mich wie verloren im Delta-Sektor, genauso wie die Besatzung der Voyager.
    So liege ich also in diesem Bett, von Geräten umgeben, an Schläucheni hängend, eine Sauerstoffbrille auf meinem Gesicht und jede Menge Kanülen in meinem Körper, meine Augen brennen, es juckt an verschiedenen Körperstellen und ich denke an früher, ans Schnorcheln im Meer in Kroatien. Ich rieche das salzige Meerwasser, spüre die Wellen an meiner Haut, spüre das Sonnenlicht, sehe die Zypressen und Pinien und die kleinen Häuser mit den roten Dächern, und im blaugrünen Wasser sehe ich die Steine, die Seeigel und das Seegras. Oft habe ich das erlebt, viele Stunden habe ich im Meer verbracht. Ich erinnere mich an diese Gefühle des absoluten Glücks und schreie innerlich, wenn ich daran denke, dass ich das nie wieder erleben werde. Nie wieder werde ich so unbeschwert und glücklich sein.

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