Freitag, 5. September 2014

GBS - Verzweiflung und Tod

"I see the bad moon arising 
I see trouble on the way 
I see earthquakes and lightnin' 
I see bad times today."

Creedence Clearwater Revival, "Bad Moon Rising"


Es gehört nicht zu meinen Angewohnheiten, in fremden Betten aufzuwachen, aber auf der Intensivstation machte ich eine Ausnahme.
    Zuerst dachte ich, es wäre nur ein Traum, aber dann hörte ich eine männliche Stimme. Sie sprach ruhig und besonnen, aber was sie sagte, war alles andere als beruhigend:
    "Sie sind auf der Intensivstation im Landeskrankenhaus Vöcklabruck. Sie sind vom Hals abwärts gelähmt, aber ihre Krankheit ist heilbar. Es wird nur sehr lange dauern."
    Ich sehe eine weiße Zimmerdecke über mir und aus den Augenwinkeln erkenne ich einige Geräte, einen Computermonitor und Schläuche mit einer roten Flüssigkeit. Mir ist klar, dass es sich dabei um mein eigenes Blut handelt.
    "Außerdem hatten Sie ein Nierenversagen und hängen an der Dialyse. Aber auch das werden wir in den Griff bekommen. Ihre Mutter haben wir verständigt." Der Mann stellt sich vor, aber ich verstehe kaum ein Wort.
    "Mama", denke ich. "Warum bist du nicht da? Wo bist du?"
    Ich erinnere mich an die letzten Tage und daran, dass ich auf keinen Fall ins Krankenhaus wollte. In meiner Erinnerung sehe ich unser Wohnzimmer. Ich liege am Boden auf dem schönen dunkelroten Teppich, den meine Eltern vor vielen Jahren im Urlaub in Jugoslawien gekauft hatten. Durch mein enormes Gewicht, meine Füße und den Fernsehsessel, auf dem ich die meiste Zeit meines Lebens verbracht habe, ist er ganz abgewetzt und an einigen Stellen durchgescheuert. Von dem kunstvoll gewobenem Muster ist nicht mehr viel zu erkennen.

    Vor einigen Tagen lag ich noch mit tauben Fingern und kraftlosen Beinen zu Hause im Bett. Ich erinnere mich daran, wie ich immer wieder versucht habe aufzustehen, aber einfach nicht konnte. Vor meinem inneren Auge sehe ich mich, wie ich mich vorsichtig aus dem Bett gleiten lasse und auf den Unterarmen ins Wohnzimmer robbe. Es ist mühsam, geht aber doch voran. Wenn ich erst einmal im Wohnzimmer bin, kann ich mich auf den schwarzen Ledersessel stemmen und dann viellueicht aufsteehen. Es muss ja irgendwie gehen. Ein paar Tage zuvor konnte ich das ja auch. Zwar nur schwer und dank meines Gewichts von 165 Kilo nur unter Schmerzen und mit einem Spazierstock, aber ich habe die dreißig Schritte vom Fernsehsessel bis zur Toilette geschafft. Da wußte ich noch nicht, dass meine Gehschwierigkeiten Anzeichen meiner Lähmung waren.

    "Sie haben eine Krankheit namens Guillain-Barré-Syndrom", sagt die Stimme neben mir.
    Ich kriege das nur irgendwie am Rande mit. Den Namen der Krankheit konnte ich mir lange nicht merken und schon gar nicht, wie man ihn richtig ausspricht. Aber da war ich nicht der Einzige.
    Vom Hals abwärts gelähmt.
    Diese Worte hallen wie ein Echo durch meinen Kopf.
    Ich versuche, mich zu bewegen. Meine Arme, meine Finger, meine Beine.
    Nichts.
    Keine Regung. Keine Bewegung, nicht einmal meine Zehen. Ich drehe meinen Kopf nach rechts, um den Mann zu sehen, der mit mir spricht. Heute weiß ich nicht mehr, wer es war. Vielleicht war es der Oberarzt der Intensivstation oder ein Pfleger. Jedenfalls beruhigt er mich, und mir kommt es so vor, als wäre alles gar nitcht so schlimm.

    Vom Kopf abwärts gelähmt.
    Ja, natürlich denke ich in diesem Moment an Stephen Hawking und Christopher Reeve. Superman ist tot. Er ist an seiner Lähmung gestorben. Superman. Wie soll ich da eine Chance haben?
    "Wie lange wird das dauern?" höre ich mich fragen. Meine Stimme klingt hoch, flach und heiser. Ich hoffe auf eine gute Nachricht, aber sie kommt nicht. Ein Erlebnis, das ich im Laufe der nächsten Monate noch oft haben werde. Sehr oft.
    "Das kann ich Ihnen nicht sagen, aber Sie haben einen langen Weg vor sich." Der weiß gekleidete Mann sieht mich an. "Sie können es schaffen, aber es wird Monate dauern. Vielleicht sogar länger. Die Lähmung hat sich von den Füßen aufwärts ausgebreitet und löst sich in umgekehrter Richtung wieder auf."
    Ich warte auf das nächste "Aber".
    "Aber das ist ein langwieriger Prozess", sagt er. Inzwischen weiß ich, dass es der Oberarzt war, und dass sich das Gespräch so oder sehr ähnlich abgespielt hat.
    Mehr weiß ich nicht. Irgendwannf schlafe ich wieder ein.
    Das Wort "Stoma" höre ich noch und "künstlicher Darmgausgang" und "starke Blutungen".
    Ich bin mir nicht sicher, ob das alles wirklich passiert.

    "Was habe ich gemacht?, frage ich mich, während alles um mich herum trüb wird, neblig und grau. "Was habe ich nur aus meinem Leben gemacht?"
    Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt noch lebe.
    Ein Traum ist es jedenfalls nicht. Dazu ist alles zu realistisch. Der Krankenhausgeruch, der Hauch von Verzweiflung und Leid.
    Und der Tod.
    Die Träume kamen später. Die Schmerzen auch. Die Angst. Die Hoffnungslosigkeit.
    Und die Geister
    Und die Klingen.
    Und das Blut.

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