Samstag, 27. Dezember 2014

Gezeichnet fürs Leben

Ich kann mir noch immer nicht vorstellen, aus dem Rollstuhl jemals wieder rauszukommen. Schließlich ist es ein Rollstuhl und kein Skateboard, von dem man einfach absteigt. Dabei bin ich doch schon draußen. Ich kann problemlos aufstehen, wenn ich mich dabei an einem Rollator oder Stangen an der Wand festhalte und hochstemme. Ich weiß, wie verrückt das klingt, aber ich glaube trotzdem nicht daran. Ich kann meine Beine hoch genug anheben, um wieder gehen zu können. Da habe ich einfach eine totale psychische Blockade.
Aus einem Rollstuhl kommt man nie wieder raus. Diese Überzeugung ist in meinem Denken so fest verankert, dass sie mich buchstäblich an den E-Rolli fesselt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie einfach es ist. Ich kann gar nicht glauben, was ich in den letzten vier Wochen alles geschafft habe. Erstes, zögerliches Aufstehen mit hochgestelltem Sitz. Brauche ich nicht mehr. Der erste, angstvolle Versuch, mich ein Stück nach vorne fallen zu lassen, um überhaupt in den Richtigen Aufstehwinkel zu kommen. Mein Stratosphärensprung. Das ist allerdings schon etwas länger her. Heute frage ich mich, warum ich solche Angst hatte. Ich mache mir beim Aufstehen gar keine großen Gedanken mehr. Ich zögere nicht, und ich fürchte mich auch nicht. Ich glaube, das erste Mal habe ich das im September geschafft.
Jetzt ist Ende Dezember 2014. im Juni 2013 wurde ich krank, war lange Zeit vom Hals abwärts gelähmt. Länger als ein halbes Jahr. Ich habe zwei Monate auf der Intensivstation verbracht. Auf dem Rücken liegend. Danach vier Monate Neuro. Auf dem Rücken liegend. Nur zu den Therapien wurde ich mit einem Hebelifter aus dem Bett gehoben. Danach vier Monate Reha, den ersten davon größtenteils auf dem Rücken liegend. Ich konnte mich nicht kratzen, wenn es gejuckt hat, mir meine Haare nicht aus den Augen wischen, mich nicht schneutzen, nicht selber essen und trinken. Ich konnte mich nicht waschen und musste praktisch rund um die Uhr gepflegt werden.
Dann wurde es allmählich besser, und ich muss sagen, die Therapien waren nie besonders hart. Ich kann nicht behaupten, dass ich mich jemals geschunden habe. Darum glaubte ich auch lange nicht an die Wirksamkeit der Physio- und Ergotherapie. Ich dachte mir, es sei doch völliger Schwachsinn, ein Papiertuch auf einem Tablett millimeterweise herumzuschieben. Selbst, als ich dann am Gmundnerberg schon Kegeln übereinanderstapeln konnte, glaubte ich nicht, dass das einen Sinn hat.
Jetzt kann ich essen, trinken, schreiben, meinen ganzen Körper fast normal bewegen, jede Menge Schritte im Stand machen.
Und glaube es immer noch nicht.
Ich glaube noch immer nicht, dass ich aus dem Rollstuhl wieder rauskommen und normal gehen können werde. Obwohl ich am Rollator ja auch schon die ersten drei Fortbewegungsschritte gemacht habe. Ich bin einfach schon so lange krank und war so lange gelähmt, dass ich es nicht glauben kann.
Ich kann auch nicht glauben, dass ich inzwischen wieder ein halbwegs selbstständiger Mensch bin. Ich kann mit dem E-Rolli herumfahren, ich habe mit meinem iPad Zugang zum Internet, ich kann mit den beiden Zeigefingern lange Zeit flüssig und ziemlich schnell schreiben und so weiter.
Aber leider bin ich ein Pessimist und ein ziemlich ängstlicher Mensch. Zumindest bin ich das durch das Guillain-Barré-Syndrom geworden. Ich war zwar früher auch kein großer Held, aber die Krankheit hat meine Zaghaftigkeit und meine Skepsis noch verschlimmert. So sehr verschlimmert, dass ich mich nicht traue, die einfachen und nicht einmal besonders anstrengenden Aufstehübungen an den Stützstangen im Bad zu machen, aus Angst, sie könnten in meinem Dauerkatheter etwas auslösen, das dann nicht mehr aufhört. Lieber bleibe ich im Rollstuhl hocken und habe die Scherereien mit dem Katheter trotzdem.
Das ist doch verrückt. Das ist doch total verrückt.
Aber so bin ich. Es ist beschissen, dass ich so bin, aber so ist es eben. Ich bin Grafiker. Gezeichnet fürs Leben. Ich hoffe nur, dass ich nicht als unvollendetes Meisterwerk enden werde. Oder, dass die besten Farbschichten von mir abbröckeln.
Nur hoffen allein wird nicht reichen.

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