Sonntag, 20. August 2017

Ausgerechnet Bananen!

Es war ein verregneter Samstag. Um halb zwölf war die letzte Therapie vorbei, danach habe ich den Rest des Tages damit verbracht, im Foyer im E-Rolli zu sitzen und zu versuchen, mich zu entspannen. Ich war müde, wollte im Foyer aber nicht einschlafen. Ein paar mal wäre ich fast eingenickt, konnte mich aber wach halten und habe dann in ein Notizbuch meine Gedanken über den Verlauf dieser Reha am Gmundnerberg niedergeschrieben. Ich habe einen Cappuccino aus dem Automaten getrunken, gelesen und weiterhin gegen die Müdigkeit angekämpft. Ich habe in der Nacht nur drei Stunden geschlafen. 

Um sechs Uhr werde ich jeden Morgen zum Blutdruck messen aufgeweckt. Ergebnis, wie so oft: 120/ 80. Einmal habe ich mich darüber beschwert und bekam zur Antwort, das sei die Gepflogenheit des Hauses. Ach so. Na dann weiter mit dem Schlafentzug. Wenigstens die unnötige Umlagerung meiner Schlafposition mitten in der Nacht um zwei Uhr konnte ich dem Haus abgewöhnen. Ich bin nicht mehr gelähmt, meine lieben Pflegerinnen und Pfleger, Diplom hin oder her.

So anstrengend die Therapien auch manchmal waren, so langatmig waren die Wochenenden. Leider gehöre ich nicht zu den Menschen, die leicht Kontakte knüpfen oder Freunde finden. Ich habe beobachtet, wie sich andere Patienten miteinander unterhalten und anfreunden. Dafür brauchten sie nur ein- oder zwei kurze Smalltalks. Ich war natürlich wieder einmal völlig unfähig, mich einer Gruppe anzuschließen oder mich wenigstens an einem Gespräch zu beteiligen. Ich rechne schon mit Ablehnung, noch bevor ich überhaupt versuche, Kontakte zu knüpfen. Früher war das oft so, und das verfolgt mich bis heute und sitzt mir tief in den Knochen.

Ich glaube aber, dass der Grund dafür, mich abzusondern und in mich selbst zurückzuziehen, ist, dass die Probleme mit meinem Blutzucker mein Selbstbewusstsein extrem angeschlagen haben. Diskussionen darüber, aber auch über andere Themen, die ich mit einigen der Pfleger, Ärzte und der Physiotherapeutin hatte, haben dazu geführt, dass ich mich von Anfang an in die Enge getrieben gefühlt habe. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie mich nicht mögen, weil ich mich ihren Kommandos widersetzt habe. Zudem habe ich einen Langzeitblutzuckertest verweigert, und so wurde nichts aus der Verschreibung von Medikamenten. Werde ich aber nachholen. Zumindest den HbA1c-Test. Für das Geschwader der Pillenbomber stehen die Siegeschancen aber schlecht. 

Und noch ein Wort zum Thema engmaschige Blutzuckerkontrolle: Es ist mein Blut. Es ist mein Zucker. Es ist meine Kontrolle.

Never go effect, sagen die Amerikaner. Werde niemals zur Wirkung. Sei die Ursache, nicht die Wirkung. Ob ich das immer schaffen werde, weiß ich nicht, aber in den letzten vier Jahren mit dem Guillain-Barré-Syndrom habe ich mich strikt daran gehalten. Mir wurde von einem Arzt geweissagt, dass ich vielleicht den Rest meines Lebens von Kopf bis Fuß gelähmt bleiben würde. Leider wusste er nicht, dass es in der medizinischen Fachliteratur hinsichtlich des Guillain-Barré-Syndroms keinen einzigen dokumentierten Fall dieser Art gibt. Hätte er recht behalten, wäre ich in die Medizingeschichte eingegangen. Mist. So ein Pech. Fast wäre ich ein Star geworden. Ich mache auch wirklich alles falsch...

Hier am Gmundnerberg mag es niemand, wenn ein Patient einen eigenen Willen hat und nicht zu einem dankbaren Mitläufer wird. Die Ansicht, die absolute Elite unter allen Rehainstituten zu sein, macht insbesondere einige der Therapeuten arrogant und rechthaberisch. Meine Physiotherapeutin ist der Ansicht, dass meine Stabilität und Ausdauer besser geworden sind. Für ihren Endbefund hat sie hoch präzise standardisierte Tests durchgeführt, wie Hände drücken ohne und mit Widerstand. Na gut, vielleicht hat sie ja einen Chip mit Sensor unter der Haut, der die Daten meines Fortschrittes sammelt, analysiert und ihren Daumen schließlich nach oben oder nach unten dreht. 

Was meine Ausdauer betrifft, gebe ich ihr Recht, eine Verbesserung der Standfestigkeit, wenn ich versuche, frei zu stehen, kann ich aber nicht feststellen. Wenn ich mit dem Gehbock aus dem E-Rolli aufstehe und die Griffe loslasse, habe ich größte Schwierigkeiten, nicht nach hinten umzukippen. Sie meint aber, ich würde nicht mehr so schnell umfallen. Wo sie da einen Fortschritt erkennen will, verstehe ich nicht. Mir fällt sowohl das stehen als auch das gehen schwerer als vor der Reha. Aber na ja, wie man hier in Oberösterreich sagt. Es feigit. A so a Schmoarr' n, a so a bleda.

Für die Statistiken habe ich Fortschritte gemacht, für mein Alltagsleben aber nicht. Bei dem Endbefund der Physiotherapie spielte nur der direkte Vergleich vor und nach der Reha eine Rolle. Beim Blutzucker ebenfalls. Meinungen und Befunde früherer Untersuchungen und Therapien wurden einfach ignoriert. Kein Wort über alternative Diabetes-Therapien ohne Medikamente. Keine Stärkung der Muskelkraft in meinen Beinen durch rein mechanisches Training. Dabei gibt es in der hoch effektiven und unerlässlichen Physiotherapie so schöne Spielsachen: Motomed zur Stärkung der Beinkraft. Beinpressen.

Beides wurde übrigens schon vor vier Jahren während meines Krankenhausaufenthalts in Vöcklabruck angewandt. Damals konnte ich nur meinen Kopf und die Schultern bewegen, aber meine Therapeuten haben mich trotzdem an den Motomed gesetzt, weil sie der Meinung waren, es würde mir viel bringen. Und recht hatten sie. Danke, Olli und Rutti, falls ihr das lest.

Aber jetzt, vier Jahre später, wo ich bei dem Pedaltreter selbst mitstrampeln könnte, geht es aus irgendeinem Grund nicht. Das hätten wir früher einplanen müssen. Da hätten wir von Anfang an ganz anders vorgehen müssen. Da ist Ihr E-Rolli im Weg. Wie bitte? Ja, normale Stühle gibt es schon, ach so, Sie meinen, sie könnten mit dem Gehbock den Transfer in einen Stuhl machen und dann mit dem Motomed. Ja. Gut. Wollen Sie das ausprobieren? Heute geht es aber nicht mehr, und nächste Woche schaut' s auch schlecht aus. Ich würde sagen, wir machen mit dem Gehbock weiter. Möglichst weit, oder? Oder was sagen Sie?

Die Gehversuche am Gang waren purer Stress für mich. Viele Ablenkungen. Leute kamen mir entgegen oder standen im Weg. Die Therapeutin rief mir ständig Kommandos zu. Aufrecht gehen. Brustbein raus. Ganz locker bleiben. Nicht zu sehr am Gehbock abstützen. Gleich lange Schritte machen. Linken Fuß weit vor den rechten setzen. Mit den Absätzen zuerst auftreten. Vorfüße anheben. Becken nach vorne bringen. Ruhig und entspannt atmen. Geht das schneller?

Wie soll ich das bitte alles machen, wenn meine volle Aufmerksamkeit darauf gerichtet ist, nicht hinzufallen? Meinem Physiotherapeuten in Altenhof fällt so etwas sofort auf. Dann passt er die Übung meiner Sicherheit an. Einige Gmundnerberger Übungen, wie das hochstemmen einer 2 kg schweren Hantel hoch über den Kopf und so tief wie möglich in Richtung Boden. hingegen waren sehr effektiv. Da hat mir nicht einmal die Anstrengung etwas ausgemacht. Meine Kraft und Stabilität sind eindeutig besser geworden. Meine Gehübungen waren nichts anderes als reine Sturzvermeidung. Wenigstens das ist mir gelungen.

Aber egal. Die strapaziösen Therapien sind vorbei, die Reha auch. Am Montag werde ich wohl noch einige Therapien auf dem Plan haben, aber besonders anstrengen werde ich mich nicht mehr. Ich werde mich mit meiner Turnlehrerin aber auch nicht weiter über die Frage Fortschritte oder Rückschritte unterhalten. Ich will wenigstens am letzten Rehatag keinen Ärger haben.

Da man mich vor meiner Abreise am Dienstag sicher fragen wird, wie es mir gefallen hat, kann ich den zuständigen Organen meine Enttäuschung und Kritik nicht ersparen. Ich werde mich bei meinen Beschwerden kurz fassen und niemandem die Schuld zuweisen. Trotzdem muss ich sagen, dass ich von dieser Reha enttäuscht bin. Fortschritte habe ich für die Statistiken gemacht, aber nicht für mein Leben im Alltag. Mit den Krücken komme ich nicht einen einzigen Schritt weiter.

Die wichtigsten Kritikpunkte:

•Keine Fortschritte in der Physiotherapie
•Fortschritte durch andere Therapien fraglich (Redcord, Koordinationsgruppe)
•Keine Steigerung bei der Gangsicherheit
•Arroganz und Ignoranz gegenüber meiner Vorgeschichte
•Inkompetenz bei der Stomaversorgung
•Blutzucker-Warnungen haben mich total verunsichert
•Blutzucker-Warnungen haben Optimismus und Zuversicht zerstört
•Kopf nicht frei für Therapien 
•Kein Hinweis auf natürliche Diabetes-Therapien ohne Medikamente 
•Schwächung durch Diät
•Generalisierte Angststörung wurde am Gmundnerberg restimuliert
•Aussicht auf gesundheitliche Verschlechterung 

Nun aber zum Positiven, zum verdienten Lob für die Reha am Gmundnerberg:

Super Aussicht!

Echt jetzt. Berge, Hügel und ein See. Grüne Graserln. Blauer Himmel mit Schäfchenwolken drauf. Das erholsame Idyll des herrlichen Almpanoramas klebt wie Stomapaste am himmelblauen Hintergrund. Kein lästiges Vogelgezwitscher. Keine keifenden Weiber. Nein, ich korrigiere mich: doch keifende Weiber. Sehr viele sogar. Nicht nur, aber taubstumm war keine. Wobei, stumm alleine hätte auch gereicht. Die Herren der Alm waren dafür ziemlich smooth, unaufgeregt und gelassen.

Es gab aber auch liebreizende Damen. Auch Blumen gab' s im Revier, würde Goethe vielleicht sagen. Besonders die Krankenschwestern und Pflegehelferinnen. Nicht, dass die jetzt glauben, sie wären im vorangegangenen Absatz gemeint. Die Pflege am Gmundnerberg war großartig. Wirklich. Ganz ohne Ironie. Pünktlich, schnell und sauber. Trotz Zeitnot und Überarbeitung. Danke!

So. Mir reicht' s. Moment, einen hab' ich noch.

Reha ist meines Wissens nach die Abkürzung für Rehabilitation. Und das bedeutet soviel wie "Wiedererlangung von Fertigkeiten". Gegoogelt habe ich auch. Die WHO meint: „Rehabilitation umfasst den koordinierten Einsatz medizinischer, sozialer, beruflicher, pädagogischer und technischer Maßnahmen sowie Einflussnahmen auf das physische und soziale Umfeld zur Funktionsverbesserung zum Erreichen einer größtmöglichen Eigenaktivität zur weitestgehenden Partizipation in allen Lebensbereichen, damit der Betroffene in seiner Lebensgestaltung so frei wie möglich wird.“

Na ja. Knapp daneben ist auch vorbei.

Und weil' s so schön war, hab' ich noch einen. Das Beste kommt ja bekanntlich immer zum Schluß. Es ist ein besonders süßes Schmankerl aus dem E-Book "Diabetes Adé" von Markus Brandt (cooler Vorname):

Kann die Ausbreitung von Diabetes Typ-2 durch eine Lebensstiländerung gestoppt werden? Die Deutsche Diabetes Stiftung formuliert dazu wie folgt: „Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass durch einen veränderten Lebensstil nicht nur die Entwicklung eines Typ-2 Diabetes verhindert werden kann. Mehr noch – mit einer konsequenten Lebensstiländerung kann man  Typ-2 Diabetes sogar loswerden. Mediziner sprechen in so einem Fall von einer Remission, bei der die Blutzuckerwerte – ohne Medikamente – im Normbereich liegen.“

Hmm. Klingt interessant. Normbereich ohne Medikamente. Hat mir hier keiner gesagt.

Oh, nein! Meine Generalisierte Angststörung klopft gerade an und brüllt mir ins Ohr: "Hilfe! Was soll ich jetzt machen? Bin ich rettungslos verloren? Wetzt der Chirurg schon seine Amputationsklinge? Kann nur die Schulmedizin mit ihren Pillen mein Leben retten? Werde ich ein Opfer der dunklen Seite der Macht und muss den Rest meines Lebens Tabletten schlucken, mit denen man jeden Menschen problemlos in ein hypoglykämisches Koma versetzen kann? Ist die medikamentöse Diabetestherapie gar eine Form der Sterbehilfe? Also, Du lebst doch gerne, Markus, oder? Na klar.

Also hör auf, Süßigkeiten und Kohlehydrate in Dich hineinzustopfen, dann brauchst Du keine Medikamente. Diabetes vom Typ 2 ist nichts anderes als eine Kohlehydratintoleranz. Wenn ein laktoseintoleranter Mensch auf den Verzehr von Kuhmilchprodukten verzichtet, passiert ihm nichts.

Wenn ein kohlehydratintoleranter Mensch auf Weißmehl, Reis und Semmeln verzichtet, sich insgesamt gesund ernährt und Sport betreibt, freut sich seine Bauchspeicheldrüse und funktioniert wieder ganz normal. 

Diabetes mellitus Typ 2 ist nichts anderes als eine Unverträglichkeit von Kohlehydraten!"

Das behauptet zumindest die lästige Stimme meiner Generalisierten Angststörung. Oder spricht das Cola aus mir? Versucht es mich gegen die Schulmedizin mit ihren Rezeptblöcken aufzuhetzen?

Ich weiß es nicht. Ich bin ja nur der blöde Patient und muss zittern und bibbern und alles tun, was der Onkel Doktor sagt, weil sonst werden mir alle paar Wochen scheibchenweise die Füße amputiert. Das ist doch ein überzeugendes Argument, oder? Das habe ich kürzlich in einer sogenannten Diabetesschulung gehört. Und auch, dass der Aufbau von Muskelmasse zu einer stark verbesserten Insulinaufnahme führt. Und dass es reicht, den HbA1c-Wert um nur 1% zu senken, um die gröbsten Spätfolgen zu verhindern. Der Vortragende hat auch gesagt, dass er kein Freund der Diabetestabletten ist. 

Also, was mache ich jetzt?

Rehabilitation oder Remission?

Ich bin eindeutig für die Remission. Typ-2-Diabetes loswerden und ohne Medikamente in den Normbereich bringen. Normbereich scheint das neue Wort für Heilung zu sein. Denn Heilung darf es in unserer Welt, die von Wirtschaftsinteressen und unterdrückerischen Personen aller Art regiert wird, ja bekanntlich nicht geben. Wo kämen wir denn da hin? Wie soll man denn, bitteschön, das Machiavellische Prinzip anwenden? Teile und herrsche. Das geht nur, indem wir zuerst einen scharfen Keil in die Gesellschaft treiben. Wir verbieten den Menschen, frei zu denken und frei zu sprechen. Wir ersetzen ihre natürliche Art zu denken und zu reden gegen ein Neudenk und Neusprech. So wie bei George Orwell.

Wehe, es spricht jemand von Heilung! Das heißt jetzt gesundheitlicher Normbereich. Die Lebensfreude haben wir gleichgeschalteten und gehirngewaschenen Sklavenherden längst verloren, aber dafür haben wir jetzt umso mehr Lebensqualität.

Ach was, sollen sie doch. Hauptsache, sie denken nicht nach. Sonst könnten sie ja auf die Idee kommen, die abgrundtiefe Kluft in unserer Gesellschaft mit Heilerde aufzufüllen. Man stelle sich das einmal vor! Alt und jung, klug und dumm, arm und reich, schwarz und weiß, dick und dünn, krank und gesund, füllen das Drecksloch der modernen Zivilisation gemeinsam mit der Erde, die voller Freundschaft, Gemeinschaft, Liebe und Heilung ist.

Wie soll man solchen Querdenkern und Quersprechern denn da noch Gift verkaufen, das sie für Medizin halten? Wussten Sie, dass Metformin die Bauchspeicheldrüse dazu anregt, immer mehr Insulin zu produzieren? Dadurch wird sie noch schneller erschöpft und quittiert schließlich ihren Dienst. Nein? Aber jetzt wissen sie es. Metformin schadet der Bauchspeicheldrüse mehr als der Diabetes selbst.

So. Bin müde. Spät geworden. Das letzte Wort hat meine Diätologin, die mir viel Mut und Hoffnung gemacht hat. Sie hat zu mir gesagt, ich darf ab und zu eine halbe Banane essen.

Ausgerechnet Bananen! 





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