Donnerstag, 10. August 2017

Still sitzen

Still sitzen
Nichts tun
Der Frühling kommt
Das Gras wächst

Aus dem Zen-Buddhismus
(https://www.aphorismen.de/zitat/23810)

Anfang dieses Jahres habe ich begonnen, eine Form der Meditation auszuprobieren, die als Achtsamkeit bekannt ist. Man könnte sagen, dass die Achtsamkeit momentan in aller Munde ist. Seit einigen Jahren schon breitet sich diese Entspannungstechnik, ausgehend von den USA, auch in Europa aus. Der eigentliche Ursprung liegt natürlich in Asien. Entsprechende Methoden, seinen Körper und seinen Geist von negativen Einflüssen zu reinigen, sind schon in den Veden beschrieben, Jahrtausende alten indischen Weisheitsbüchern. Formen der Achtsamkeit findet man im Hinduismus, Taoismus, Buddhismus, im Zen und in der verwestlichen Form, die man in Amerika als Mindfulness kennt.

Sehr vereinfacht dargestellt, geht es bei der Achtsamkeit darum, seine volle Konzentration auf den gegenwärtigen Augenblick zu richten. Wenn mich jemand fragen würde, was Achtsamkeit ist, würde ich sagen: Konzentriere dich nur auf das, was jetzt gerade passiert. Alles andere muss dabei außer acht gelassen werden, insbesondere die Bewertung des Geschehenden. Sie verlieren im Augenblick der Beurteilung an Achtsamkeit. Die Überwindung der persönlichen Interpretation und die Hinwendung der Aufmerksamkeit auf das, was gerade ist. Das ist Achtsamkeit.

Wenn du gehst, geh. Wenn du lachst, lache. Wenn du liebst, liebe. Wenn du stirbst, stirb.

Die Bewertung eines Geschehens als gut oder schlecht, angenehm oder unangenehm, schön oder hässlich, entfremdet den Geist von der Achtsamkeit. Die Ereignisse geschehen einfach. Das ist alles. Und alles andere ist Ablenkung. Irritation. Geistige Fehlsichtigkeit. Achtsamkeit ist der konzentrierte punktuelle Blick auf das Jetzt.

Und all das ist falsch. Glauben Sie mir nicht. Achtsamkeit lässt sich nicht definieren, denn das wäre bereits eine Bewertung. Nichts ist wertvoller als etwas anderes. Es ist auch nicht schrecklicher oder jünger. Es ist einfach da, und das ist Achtsamkeit. Und all das ist falsch.

Wenn Sie Achtsamkeit ausprobieren wollen, versuchen Sie es so: Setzen oder legen sie sich so entspannt wie möglich hin. Lockern Sie Ihren Körper, Ihre Gedanken und Ihren Geist. Atmen Sie tief, langsam und ruhig. Sie brauchen weder eine Yogamatte, noch Räucherstäbchen, noch Meditationsmusik und auch keine Aufnahmen von zirpenden Grillen, nächtlichem Regen oder Meeresrauschen. Es sei denn, Sie wollen sich bewusst und achtsam genau darauf konzentrieren.

Nützlich ist ein Fixpunkt, auf den Sie Ihre Aufmerksamkeit richten können. Ich schließe am liebsten die Augen und suche mir ein kontinuierliches Geräusch, das sich nicht verändert. Während ich dies schreibe, weht draußen ein Wind und lässt die Leine einer Flagge an einen Fahnenmast schlagen. Ideal für Achtsamkeitsmeditation. Was ich auch mag, ist jede Form von undefinierbarem Klang. Wenn Sie sich einmal bewusst darauf konzentrieren, werden Sie feststellen, dass in Ihrer Umgebung irgendetwas surrt, zischt oder piept. Vielleicht tropft ein Wasserhahn oder Sie hören das Geräusch einer Klimaanlage. 

Verwenden Sie das. Konzentrieren Sie Ihre Achtsamkeit auf den Rasenmäher vor Ihrem Haus. Mit der Zeit werden Sie bemerken, dass Sie noch ruhiger werden. Verharren Sie in diesem Zustand. Hören Sie ein entferntes Donnergrollen oder eine Kreissäge, ein vorüberfahrendes Auto, einen bellenden Hund und so weiter. Spüren Sie die Empfindungen an Ihrer Haut. Kühl, heiß, egal was. Wenn Sie im Frühling die Geräusche, die Gerüche und den Anblick der Natur um sich herum wahrnehmen, tun Sie nur das. Nehmen Sie wahr. Bewerten Sie den Augenblick nicht als schön, erholsam oder friedlich. Mit etwas Übung können sie das Geräusch eines Bohrers in der Wand Ihres Nachbarn genauso neutral beobachten.

Es geschieht einfach, und das ist alles.

Und wozu das alles? Wenn Sie regelmäßig Ihre Übungen in Achtsamkeit machen, werden Sie feststellen, dass Sie insgesamt gelassener, ruhiger und zuversichtlicher werden. Sogar in extremen Situationen. Das klingt wie die Lösung für alle Probleme, oder? Natürlich ist sie das nicht, da es keine Lösung für alle Probleme gibt. All das ist übrigens falsch.

Mit der Zeit können Sie auf diese Art lernen, körperliche Schmerzen besser zu ertragen. Wenn Sie nächstes Mal einen unangenehmen, vielleicht sogar starken, aber harmlosen Schmerz spüren, beobachten Sie ihn einfach nur achtsam. Aber ignorieren Sie den Schmerz nicht. Bewerten Sie den Schmerz nicht als stark, schrecklich, bohrend, ziehend oder stechend. Auch nicht als bedrohlich, gefährlich oder schicksalshaft. Wenn Sie sich sicher sind, dass der Schmerz zwar stark, aber ungefährlich ist, lösen Sie Ihre persönliche Anteilnahme von ihm.

Beobachten Sie den Schmerz als Schmerz. Nichts weiter.

Achtsamkeit führt zu Gelassenheit in allen Lebenslagen. Es gibt nur eine Gefahr, auf die Sie achten sollten. Schon nach wenigen Wochen könnten Sie bemerken, dass Sie sich selbst, aber auch anderen Menschen gegenüber, gefühllos werden. Wenn Sie Ihre Sorgen, Probleme und Krankheiten damit lindern können, ist das gut. Gefährlich wird es, wenn Ihnen vollkommen gleichgültig ist, was mit Ihnen passiert. Glauben Sie mir, diesen Zustand gibt es. Es ist ein gefährliches Land. Ich war dort.

Leiden Sie? Natürlich. Jeder leidet. In unserer verrückten Zeit haben wir nur verlernt, unser Leid einzugestehen. Das ist übrigens nicht dasselbe wie jammern. Wobei, auch das kann ab und zu ganz gut tun. Vielleicht leiden Sie an einer undefinierbaren, Sie umklammernden Angst. Oder an Schmerzen, körperlichen wie seelischen. Möglicherweise leiden Sie an einer chronischen Krankheit, die Sie Ihr Leben kosten könnte. Oder auch nur unter einer Fliege in Ihrem Schlafzimmer. Allerdings ist das unmöglich. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass es eine Fliege gar nicht gibt? Es sind immer zwei oder drei oder mehr. Aber es ist nie eine einzige, denn die wäre ja erträglich.

Ich schweife ab. Sie auch, weil Sie noch immer weiterlesen. Genau das passiert auch während der Achtsamkeitsmeditation. Die Gedanken bewegen sich in alle möglichen Richtungen. In der Psychologie bezeichnet man das als Freie Assoziation. Und das ist das genaue Gegenteil von Achtsamkeit.

Achtsamkeit schenkt Frieden.

Nehmen Sie einfach nur wahr, was geschieht und denken Sie nicht weiter darüber nach. Fünf Minuten am Tag reichen. So lange Sie wollen.

Nehmen Sie einfach nur wahr, was um Sie herum und in Ihrem Körper geschieht. Denken Sie nicht weiter darüber nach. Sein Sie einfach nur. Haben Sie schon einmal versucht, einfach nur zu sein? Nicht da sein, nicht präsent sein, nicht achtsam sein.

Einfach nur sein.

KWATZ!


       
  


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