Montag, 21. August 2017

Der Knirpsgänger

       
 

Er blickt zum Fenster hinaus und sieht in der Wolkendecke ein hellblaues Band am Himmel. Einige Leute haben gesagt, dass es am Nachmittag schön wird. Wenn das stimmt, und wenn es nicht zu kalt ist, wird er in den Park hinaus fahren. Das blaue Band wird jetzt breiter, und die Wolkendecke bricht auch an anderen Stellen auf. Er vergißt immer, dass hinter den Wolken die Sonne scheint und der Himmel klar ist. Dabei hat er es schon so oft erlebt. Die Wetterprognosen waren falsch. Sie wurden mit sehr viel Sorgfalt erstellt, aber die Ignoranz gegenüber den schon seit vielen Jahren schwankenden Klimazone hat die Vorhersagen verfälscht. Allerdings ist es sinnlos, das den sturen Meteorologen zu sagen. Sie bleiben bei ihrem Standpunkt, denn da fühlen sie sich sicher.

Jede Veränderung der Prognoseerstellung wird abgelehnt, und wenn der Regen nicht einsetzt, obwohl er schon seit einer gefühlten Ewigkeit in der Luft steht, terrorisieren sie den Spaziergänger mit dem aufgespannten Knirps, indem sie ihm Blitze, Sturm und Hagelschlag androhen. Dabei meinen sie es nur gut, die Wetterfrösche mit ihren Unkenrufen. Sie wollen uns dumme Menschlein vor dem allerschlimmsten bewahren, und darum kündigen sie lieber Schlechtwetter an, als Sonnenschein.

Der Blick auf den fernen Himmel war klar, aber dann kam doch wieder eine Wolke und hat das Bild getrübt.

Doch wenn der Feuersturm nicht kommt, obwohl sie ihn schon vor zwanzig Jahren geweissagt haben, wenn der aufgeriebene Boden von selber wieder heilt und das Herz der Erde weiter schlägt, sagen sie, die Aufzeichnungen von früher seien bedeutungslos. Alles was zählt ist der aktuelle Wetterbefund. Und der lässt das Hereinbrechen von Katastrophen befürchten.

Was sie in den Seelen der Wetterfühligen damit anrichten, ahnen sie nicht. Sie haben kein Verständnis für ihn. Jenseits ihrer Wahrnehmung sind die Befürchtungen des Knirpsgängers, die Sonne nie wieder sehen zu können. Fast verzweifelt er und will sich ergeben, damit ihn der Hagel nicht allzu hart trifft. Er hat Angst vor den Blutegeln. Sie sind widerliche Kreaturen, die sich ihre Leiber mit dem süßen Blut vollschlagen. Sie laben sich am Lebenssaft des verängstigten Knirpses.

Eine Heilung für schlechtes Wetter gibt es nicht. Behaupten sie. Dabei verschweigen sie, dass man nur das Gestrüpp entfernen muss, und der Regen kann wieder in die Zellen der Erde eindringen. Das aber darf nicht sein. Wie sollen sie denn da dem Knirpsgänger die Samen des Unkrauts verkaufen, die - einmal geschluckt - das Unterholz noch schneller und üppiger sprießen lassen, bis das Organ des Erdbodens so erschöpft ist, dass es auseinanderfällt.

Dabei müssten sie den Wildwuchs nur ausrupfen und dem Knirpsgänger nahelegen, etwas schneller zu laufen. Wenn er seine Last abwirft, kann auch sein Blut wieder aufatmen.

Doch der Knirpsgänger ist nicht so blöd, wie sie denken. Er reißt sich die Blutsauger einfach von der Haut und wirft sie zurück in den Morast ihres manifesten Paradigmensumpfes. Er beschließt, den Kampf gegen die Vampire aufzunehmen und vertraut ganz fest darauf, dass die Sonne ihre vermeintliche Macht überstrahlt.

Eigentlich ist der Knirps ein Freund des Sonnenscheins. Er neigt nicht dazu, im Regen zu tanzen. Trotzdem rechnet er auf all seinen Wegen immer damit, völlig durchnäßt zu werden. Diese Lebensphilosophie verfinstert zwar oft sein von Haus aus sonniges Gemüt, aber dafür kann ihn ein plötzlicher Regenschauer nicht überraschen. Regentropfen sind eigentlich gar nicht so schlimm. Obwohl sie ihn an seine ungezählten Tränen denken lassen, reinigen sie doch alle Straßen.

So werden alle Himmelsrichtungen - nicht nur die blauen - wieder begehbar und erinnern ihn daran, daß der Weg immer noch da ist. Momentan hat sein Leben wieder einige Stolpersteine vor ihm ausgestreut, aber die werden von seinen Freudentränen weggespült.

So schnell schlägt das Wetter manchmal um, und die Wetterberichte mit ihren Langzeitprognosen und Folgeschäden erweisen sich als Schall und Rauch, an einem Lebenstag voll blauer Himmelsbänder.


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