Donnerstag, 9. Oktober 2014

Mein Leben: Jugend

In der Hauptschule Schörfling begann eine Zeit, die ich zwar nicht als paradiesisch bezeichnen würde, aber es war auf jeden Fall die schönste Zeit meiner Jugend, wenn nicht sogar meines Lebens. Wenn ich mir aussuchen könnte, welche Phase meines Lebens ich noch einmal erleben möchte, dann wären es diese vier Jahre. Ich fühlte mich auf Anhieb wohl, erbrachte gute schulische Leistungen und fand Freunde, die ich besuchte und die mich besuchten. Keine dieser Freundschaften hat bis heute gehalten, aber das liegt wohl an mir und nicht an meinen Freunden. Auch damals hatte ich das Gefühl, nirgends richtig dazuzugehören, aber es war trotzdem eine schöne Zeit mit großen Plänen für die Zukunft.
Es gibt nur wenig, was ich an diesen Jahren ändern würde. Wenn ich mutiger gewesen wäre, hätte ich vielleicht damals die Liebe fürs Leben gefunden, aber ich traute mich nicht, diesem Mädchen meine Gefühle zu gestehen. Meine Freunde waren mir da auch keine Hilfe. Na ja, es waren Pubertätszeiten, was soll' s? Aber sie war hübsch. Schlank, hatte langes brünettes Haar, das schönste Gesicht, das man sich vorstellen kann, blaue wache Augen und ein Lächeln das mich umgehauen hat. Trotzdem denke ich nicht gerne an sie zurück. Es tut weh.
Nach der Hauptschule kam ich auf die Wahnsinnsidee, in die Handelsakademie Vöcklabruck zu gehen. Einer meiner Schulfreunde war auch dort, und mit dem Zug war es nur eine Fahrt von zwanzig Minuten. Während meiner Hauptschulzeit hatte ich die ganzen vier Jahre lang Mathematik-Nachhilfeunterricht und zusätzlich den Förderunterricht in der Schule selbst. Und ausgerechnet ich wollte in die Handelsakademie. Na ja, zwei Jahre habe ich es dort ausgehalten und mich mit Buchhaltung und Steno gequält, dass ich gar nicht so viele Sünden begehen könnte, wie ich damals schon abgebüßt habe. Allerdings hatte die Zeit in der HAK einen unerwarteten Nebeneffekt: Ich ging gerne hin. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals in der Früh aufgewacht zu sein und mir gedacht zu haben, oh nein, nicht schon wieder. Ich verstand mich mit den Klassenkollegen gut und muss heute sagen, auch diese zwei Jahre muss ich noch zu den sorglosen zählen. Ich hätte mich damals mehr anstrengen und in dieser Schule bleiben, oder auf meine Mutter hören und die Fachschule für Gebrauchsgraphik in Linz besuchen sollen. Ich aber wollte später auf die Hochschule für Fernsehen und Film in Wien. Mit zwanzig Jahren habe ich dann dort die Aufnahmeprüfung gemacht, bin aber nicht über die erste Runde hinausgekommen, und mein Traum, Filme zu machen platzte für immer.
Es muss wohl damals im Jahr 1990 gewesen sein, als ich das Vertrauen in mich selbst verlor. Ausgerechnet auf dem Gebiet, das ich besonders liebte, dem Filmemachen, war ich gescheitert. Das führte sogar so weit, dass ich seitdem nicht mehr im Kino war.
        Die Monate bis zum September 1991 verbrachte ich zu Hause mit lesen, zeichnen und fernsehen. Dann besuchte ich in Vöcklabruck im Berufsförderungsinstitut einen zweijährigen Lehrgang zu Ausbildung zum Werbedesigner. Das war eine schöne Zeit, sie war von Kreativität und Ideen geprägt. Aber ich habe damals nicht mehr an mich selbst geglaubt, und so sah ich trotz ausgezeichneter Erfolge und Kontakten zu Werbeagenturen für mich keine wirkliche Zukunftsperspektive in diesem Beruf. Ab 1993 arbeitete ich als freier Werbegrafiker für einige Agenturen der Umgebung. Ich hatte keinen Führerschein, und so führte mich mein Vater zu den jeweiligen Auftraggebern. Damit fehlte mir, obwohl ich das Talent und die Ausbildung hatte, die wichtigste Grundlage für einen Beruf wie diesen: Mobilität. Ich hatte nie viele Aufträge und war sehr schlecht darin, welche zu requirieren. Wenn ich einen Auftrag hatte, verdiente ich zwar gut, aber leben konnte ich davon nie.
        Der Rest meines Lebenslaufes ist schnell erzählt. Eine Werbeagentur sperrte zu, die Arbeit wurde weniger, und so verbrachte ich meine Zeit zu Hause. Das war etwa ab 1995. ich widmete mich vorrangig dem Schreiben und lag meinen Eltern auf der Tasche. Zwar habe ich nie große Sprünge gemacht, brauchte also nie viel Geld, war im Grunde aber nichts anderes als ein Nichtsnutz.
2001 starb mein Vater, und ich war mit meiner Mutter allein. Ich ging zwar für sie einkaufen, aber ansonsten war ich ein Taugenichts, der zuviel gegessen und Bier getrunken hat. Zwar wurde ich nicht zum Alkoholiker, aber im Jahr 2007 bezahlte ich meinen Versuch, mein Übergewicht von mehr als 140 Kilo mit einer Flasche Wodka und ein paar Flaschen Bier pro Tag zu reduzieren, mit fünf Tagen im Koma und sieben Punkten auf der Glasgower Komaskala. Die wird von fünfzehn rückwärts gezählt, und ab Stufe fünf gilt man als praktisch tot. Es waren also nur zwei Punkte, die mich damals vom Tod trennten. Nachdem ich aus dem Koma aufgewacht war, verbrachte ich drei Wochen auf der internen Abteilung des Landeskrankenhauses Vöcklabruck. Danach ging ich wieder nach Hause und erholte mich schnell. Schon bald konnte ich wieder problemlos gehen und verbrachte ein sehr schönes Jahr 2008, in dem ich im Sommer fast jeden Tag am Attersee war und viel schnorchelte. Mit meiner Mutter besuchte ich oft ein kleines Gasthaus, wo wir zu Abend aßen, und das ganze Jahr verbrachte ich viel Zeit mit schreiben, zeichnen und malen.
Ich weiß nicht, wie ich mich selbst am besten beschreiben soll. Nach außen hin wirke ich ziemlich ruhig, innerlich bin ich aber meistens angespannt und oft nervös, insbesondere, wenn es mir schlecht geht und dann irgendwelche Kleinigkeiten schief laufen. Leider neige ich auch dazu, ein ängstlicher Mensch zu sein. Gerade was meine Krankheit betrifft, erlebe ich immer noch Momente, in denen ich nicht besonders zuversichtlich bin. Ich habe reichtige Angstanfälle erlebt, und auch jetzt passiert das noch gelegentlich. Eine schwere Krankheit ist auch eine Egokränkung.
Ich bin kein besonders mutiger Mensch, nicht sehr unternehmungslustig und eher verschlossen. Das liegt zu einem großen Teil natürlich an den Erlebnissen meiner Jugend. Dass ich mich immer unverstanden und nie richtig akzeptiert gefühlt habe, hat mich natürlich seit meiner Kindheit geprägt und dazu geführt, dass ich mich immer mehr nach innen gekehrt habe. Auch heute noch lebe ich mit dem Gefühl, dass andere Menschen mich irgendwie seltsam finden und nicht wirklich mögen. Eigentlich war ich immer ein Außenseiter. Das lag auch an meinem Interesse für Film, Literatur, Kunst, Filmmusik, zeichnen und malen. Niemand, den ich in meinem Leben kennengelernt habe, interessierte sich auch nur annähernd für diese Dinge. Zumindest nicht im selben Ausmaß wie ich.
So war ich allein mit meinen Interessen, nur zu Hauptschulzeiten traf ich mich mit Freunden, und wir sahen uns Videos an. Filme, die ich damals sehr liebte und die ich heute nicht mehr sehen will, weil sie mich an schöne, unbeschwerte Zeiten erinnern, die unwiederbringlich verloren sind. »Krieg der Sterne«, »Jäger des verlorenen Schatzes« und »Blade Runner« sind einige meiner damaligen Lieblingsfilme. Aber besonders identifiziert habe ich mich mit James Bond, und der Film, der bis heute für mich der Film ist, in dem ich mich wiederzuerkennen glaube ist »Der Elefantenmensch«. Früher wollte ich Regisseur werden und solche Filme drehen. Einer der vielen verlorenen Träume.
In der Literatur ist es besonders Ernest Hemingways Roman »Der alte Mann und das Meer«, den ich schon als Kind gelesen habe und dessen Geschichte vom alten Fischer Santiago, der in Wahrheit gar nicht gegen einen Schwertfisch kämpft, sondern gegen sich selbst, erscheint mir heute wie ein Symbol meines eigenen Lebens. Ich habe dieses Buch auf deutsch und auf englisch gelesen, und heute lese ich es wieder und habe es immer bei mir. Als E-Book auf meinem Handy.

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