Donnerstag, 9. Oktober 2014

Mein Leben: Schulzeit

Ich sitze in einem elektrischen Rollstuhl und warte auf meine Genesung nach einer langwierigen Erkrankung mit dem Namen Guillain-Barré-Syndrom. Näheres dazu gibt es auf meiner Webseite www.gbsblog.at. Die Seite ist zwar noch im Aufbau, aber ein paar Artikel sind schon drauf. Es fällt mir schwer, über die Zeit meiner Krankheit zu schreiben. Noch bin ich nicht gesund, und ich weiß nicht, ob ich es überhaupt jemals sein werde.
Die Tatsache, dass ich im Alter von zwei Jahren von der Steiermark nach Oberösterreich gekommen bin und der Riss in den Beziehungen zu den Menschen um mich herum, haben dazu geführt, dass ich niemals ein Heimatgefühl entwickelt habe. Ich fühle mich zwar da und dort irgendwie zu Hause, aber ich weiß nicht, was Heimat ist.
Ich habe seit frühester Kindheit die Welt und die Menschen immer als Bedrohung empfunden. So fand ich in meiner Phantasie, in Büchern, Hörspielen und im Fernsehen meine Zufluchtsorte. Als ich noch jünger und gesund war, hat mir das nicht viel ausgemacht. Ich habe nach dem Motto gelebt »Meine Heimat bin ich selbst«. Aber da lag das Leben noch vor mir, die Welt war neu, und der Tod war weit entfernt.
Obwohl ich in meiner Kindheit eine schöne Zeit mit meinen Freunden verbrachte und einen halbglücklichen Glanz in den Augen bekomme, wenn ich an die Volksschule zurückdenke, habe ich doch nie ein Dazugehörigkeitsgefühl entwickelt. Ich war zwar kein Außenseiter, aber auch nie ein vollwertiger Teil einer Gruppe. Ich hatte keinen Freundeskreis, sondern eher einen Freundeshalbkreis. Auch das hat sich nie geändert.
Die Volksschulzeit kann ich kurz zusammenfassen: lernen, basteln, schnapsen. Aber in diesen drei Wörtern steckt der ganze Glanz eines wundervollen Kinderlebens. Trotz allem. Danach kam ich ins Gymnasium in Vöcklabruck, und das war ein Moment den ich aus heutiger Sicht als das Ende meines Lebens bezeichne. Man sagt ja, das Sterben beginne mit der Geburt, aber zumindest jetzt habe ich das Gefühl, dass mein Sterbeprozess mit dem Eintritt ins Gymnasium begann. Nicht körperlich, aber seelisch.
Ich fühlte mich in dieser Schule nicht nur nicht wohl, ich war dort vollkommen verloren. Ich fand keine neuen Freunde, konnte mich nicht auf den Lehrstoff konzentrieren, war dick und unsportlich und wurde schnell zum Außenseiter. Zu allem Überfluss erkrankte ich noch an etwas, das nie einwandfrei diagnostiziert wurde. Ich entwickelte Kopfschmerzen, Übelkeit, Angst- und Zwangsvorstellungen und eine Unfähigkeit, leserlich zu schreiben. Das begann praktisch über Nacht. Ich hatte auf einmal Vorstellungen, wie die Befürchtung, etwas Schreckliches würde passieren, wenn ich nicht ein paar Schritte zurückgehe. Ich dachte mir, ich könne mit meinen Blicken Menschen die Köpfe abschneiden oder es würde Unglück bringen, wenn ich über das Unglück rede. Wodurch diese Erkrankung ausgelöst wurde, weiß ich nicht. Aber ich erinnere mich daran, dass ich damals als Haustier eine Tanzmaus hatte. Dieses Tier muss sich selbst einen Virus oder ein Bakterium eingefangen haben. Die Maus begann plötzlich zu zittern, unkoordinierte Bewegungen zu machen, sie wie im Wahn im Kreis zu drehen und ist schließlich nach einigen Tagen gestorben. Ich habe mit der Tanzmaus oft gespielt und sie in die Hände genommen. Zwar kann ich mich nicht daran erinnern, von ihr gebissen worden zu sein, aber vielleicht hat sie mich gekratzt oder den Krankheitserreger auf eine andere Art übertragen.
       Meine Krankheit ging zwar wieder vorbei, aber sie führte dazu, dass ich drei Monate nicht zur Schule gehen konnte. Obwohl ich danach wieder gesund war und schließlich die erste Klasse Gymnasium wiederholte, ging es so weiter wie gehabt, nur ohne Krankheit. Ich war schlecht in der Schule, und eines Tages empfahl ein Mathematik-Narchhilfelehrer, ich solle doch in die Hauptschule wechseln. Gesagt, getan.

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